27.04.2022, Baden-Württemberg, Stuttgart: Ein Angeklagter (r) wird vor dem Beginn seines Prozesses wegen schweren sexuellen Missbrauchs in den Gerichtssaal im Landgericht in Stuttgart geführt. (dpa)
Folgen

Die meisten seiner Schützlinge hatten vor allem Angst, nicht mehr zur Mannschaft zu gehören, nicht mehr gefördert zu werden vom Trainer, vielleicht sogar verstoßen zu werden von dem Mann, dem sie Vertrauen geschenkt hatten. Das soll der Jugendcoach aus Fellbach (Baden-Württemberg) ausgenutzt haben. Hunderte Male. Jahrelang.

Regungslos verfolgt er am Mittwoch im Stuttgarter Landgericht die Vorwürfe, die der Staatsanwalt minutenlang und monoton verliest, diese ellenlange Liste der Taten, detailreich und erbarmungslos. Dann gesteht er, kurz und umfassend, den schweren sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, der ihm zur Last gelegt wird. „Für mein Handeln übernehme ich die volle Verantwortung“, heißt es unter anderem in der von seinem Verteidiger verlesenen Erklärung. Seine früheren Schützlinge, deren Angehörige und auch den betroffenen Verein in Fellbach bittet er um Entschuldigung. Rund 15 Jahre lang Kinder in drei Vereinen trainiert Rund 15 Jahre lang soll der Ehrenamtliche Kinder und Jugendliche in drei Vereinen trainiert, er soll sich um sie gekümmert und Vertrauen aufgebaut haben. Gefügig machte er sie nicht nur durch Druck, sondern auch durch Geschenke, durch Gutscheine fürs Onlineshopping oder durch das gemeinsame Computerspielen. Die Staatsanwaltschaft dokumentiert in ihrer Anklageschrift mindestens 500 verschiedene Handlungen an meist 12- und 13-Jährigen, teils auch an Jugendlichen, aus den Jahren 2006 bis 2021. Die Enthüllungen über die mutmaßlichen Verbrechen des Jugendtrainers hatten im Verein und in der Stadt Fellbach für Entsetzen gesorgt. „Der mutmaßliche Täter hat Leid über viele Kinder, Jugendliche und Familien gebracht, welches schwer auszuhalten ist“, hatte der traditionsreiche Verein Mitte Dezember in einer offiziellen Erklärung reagiert. Alle seien von dem Ausmaß der Tat schockiert. Betroffene hätten im Verein den Mut aufgebracht, die Taten aufzudecken, heißt es in dem Rundschreiben weiter. Von dem nun angeklagten Mann habe sich der Verein bereits im Januar 2019 «aufgrund sportlicher Differenzen» getrennt. Allerdings müssten sich auch alle die Frage stellen, ob sie in der Vergangenheit nicht aufmerksamer hätten sein müssen. “Hätten wir die Erkenntnisse von heute gehabt, wäre das sicherlich der Fall gewesen“, schreibt der Verein und verspricht „eine Kultur des Hinschauens“. Im Januar hatte der Verein Jugendtrainer aus dem ganzen Handballbezirk zu einer Präventionsschulung eingeladen. Alle Betroffenen sind männlich, die meisten treten als Nebenkläger in dem Verfahren auf. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die tatsächliche Zahl der mutmaßlichen Übergriffe noch höher ist. Vorgeworfen werden dem Mann schwerer sexueller Missbrauch, der Besitz kinder- und jugendpornografischen Materials und der Missbrauch Schutzbefohlener. Bislang sind sieben Verhandlungstage angesetzt. Ähnlich, wenngleich weniger umfangreich klingen die Vorwürfe gegen einen weiteren Sporttrainer, der sich von der kommenden Woche an ebenfalls vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten muss. Er soll in Esslingen zwischen 2017 und 2018 zwei damals teilweise unter 14 Jahre alte Betroffene sexuell missbraucht haben. Mehr zum Thema: Zwölfjährige vergewaltigt und Tat gefilmt – Angeklagter räumt Vorwurf ein

dpa