Symbolbild: Frau mit Kopftuch in einem Gerichtssaal. (dpa)
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Fast drei Jahre nach der Verkündung eines entsprechenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat Belgien am Montag sein Gerichtsverfassungsgesetz geändert. Muslimische Frauen dürfen künftig nicht mehr gezwungen werden, im Gerichtssaal ihr Kopftuch abzunehmen. Dies geht aus mehreren Medienberichten hervor.

Anlassfall reicht ins Jahr 2007 zurück

Bereits im Jahr 2018 hatte der EGMR in einem Anlassfall Belgien wegen des Verstoßes gegen die Freiheit des Glaubens und Gewissens verurteilt. Der belgische Staat musste der Klägerin zudem 1000 Euro an Schadensersatz bezahlen. Das Ereignis, das der Beschwerde zugrunde lag, spielte sich bereits am 20. Januar 2007 vor dem Berufungsgerichtshof in Brüssel ab.

Die Betroffene, die zusammen mit anderen Familienmitgliedern Nebenklägerin im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Tod ihres Bruders war, sollte dort an einer Anhörung teilnehmen. Der Gerichtsdiener teilte ihr im Auftrag des Kammerpräsidenten mit, dass sie den Gerichtssaal erst betreten dürfe, nachdem sie ihr Kopftuch abgenommen habe.

Gestützt wurde die Anordnung auf den Artikel 759 der belgischen Gerichtsverfassung, in dem es hieß:

„Die Person, die einer Verhandlung beiwohnt, steht unbedeckt (découvert), respektvoll und ruhig: Alle Anordnungen des Gerichts zur Aufrechterhaltung der Ordnung werden unverzüglich und an Ort und Stelle vollstreckt.“

Der Artikel wurde von zahlreichen Richtern in Belgien als generelles Kopftuchverbot ausgelegt, nur in einzelnen Fällen ließen Richter Ausnahmen zu. Frau Lachiri, so der Name der Betroffenen, weigerte sich, der Anordnung des 2007 zuständigen Kammervorsitzenden nachzukommen. Nachdem ihr deshalb der Einlass verwehrt worden war, beschritt sie erfolgreich den Klageweg.

Belgien ignorierte das Urteil über mehrere Jahre

Der Artikel 759 blieb auch nach dem Urteil des EGMR vom 18. September 2018 in Kraft, in dem dieser Lachiris Beschwerde stattgab und feststellte, dass die Beschwerdeführerin in ihren Rechten nach Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit verletzt wurde.

Der Gerichtshof hatte damals festgestellt, dass „die Notwendigkeit der fraglichen Einschränkung nicht nachgewiesen wurde“ und dass die Verletzung von Frau Lachiris Recht auf freie Religionsausübung „in einer demokratischen Gesellschaft nicht gerechtfertigt ist“.

Das „Interföderale Zentrum für Chancengleichheit“ wandte sich im März 2019 an das Ministerkomitee des Europarats, das die Einhaltung der Urteile des EGMR überwacht. Die Institution wies darauf hin, dass Artikel 759 des Gerichtsgesetzbuchs geändert werden müsse, um den Vorgaben des EGMR zu entsprechen. Dies ist nun geschehen.

Ungewissheit bleibt – vor allem für Gerichtsbedienstete

Damit darf jedenfalls muslimischen Frauen, die als Verfahrensbeteiligte an Gerichtsterminen teilnehmen, diese Teilnahme nicht mehr mit der Begründung untersagt werden, das Tragen eines Kopftuchs sei im Gerichtssaal untersagt.

Unklar bleibt, inwieweit das Urteil auch Gerichtspersonal betrifft. Belgien hatte in den vergangenen Jahren mehrere diskriminierende Bestimmungen gegen Personen erlassen, deren religiöses Bekenntnis durch nach außen wahrnehmbare Symbole sichtbar ist. Die Vorschriften betrafen den gesamten öffentlichen Dienst und zuletzt auch Universitäten.

Ishane Haouach, eine Gleichstellungsbeauftragte der belgischen Regierung, hatte daher auch aus Protest und in Reaktion auf rassistische Beleidigungen und Drohungen ihr Amt niedergelegt.

Die im Süden des Landes gelegene Wallonie hatte im Vorjahr jedoch einige der paternalistischen Bestimmungen aufgehoben, die sich vorrangig gegen die muslimische Community richten. Dieser gehören in Belgien zwischen fünf und sieben Prozent der Bevölkerung an. Der EGMR war in seiner Rechtsprechung in Sachen religiöser Symbole bis dato uneinheitlich.

TRT Deutsch