Ingo Siebert, Leiter der Geschäftsstelle der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und Stadtsoziologe (Others)
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von Ali Özkök Das Land Berlin hat unter dem Titel „Hinsehen-Erkennen-Handeln“ mehrere Kampagnen gestartet, um das öffentliche Bewusstsein für Erscheinungsformen von. Rassismus zu schärfen.

Neben dem Antisemitismus nimmt auch der antimuslimische Rassismus einen wichtigen Stellenwert im Bereich dieser Sensibilisierungsarbeit ein. Der Leiter der Geschäftsstelle der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und Stadtsoziologe, Ingo Siebert, hat mit TRT Deutsch gesprochen und eine erste Zwischenbilanz gezogen.

Anfang des Jahres haben Sie unter dem Slogan „Hinsehen-Erkennen-Handeln" eine Kampagne gegen antimuslimischen Rassismus gestartet. Können Sie uns einen ersten Eindruck vermitteln, wie die Resonanz auf diese bislang aussieht und was im Rahmen der Kampagne in den nächsten Monaten geplant ist?

Wir hatten insgesamt ein sehr positives Feedback und Zuspruch zu der Kampagne. Wir haben auch viel Unterstützung erhalten. So gibt es eine ganze Reihe von Nachfragen und Angeboten, die Kampagne zu unterstützen, beispielsweise durch Kirchen, außerschulische Bildungseinrichtungen und andere Institutionen.

Wir haben auch Rückmeldungen, die ein bisschen deutlich machen, dass die Thematik im Mainstream zum Thema antimuslimischer Rassismus noch nicht im Ganzen verstanden wird. Dieses Thema ist natürlich für einige, sage ich mal, ein Reizthema. Aber auch genau darum geht es uns ja, die Thematik stärker in die Öffentlichkeit zu rücken und mit den Menschen darüber ins Gespräch zu kommen.

Vor wenigen Wochen jährte sich zum zweiten Mal der rassistische Terrorangriff von Hanau. Welche Lehren hat das Bundesland Berlin daraus gezogen?

Das Bundesland Berlin hat gleich nach dem Anschlag in Hanau begonnen, sehr intensive Gespräche auch mit den Vertreterinnen und Vertretern der betroffenen Gruppen zu führen. Der Innensenator hatte einen Maßnahmenplan für den besseren Schutz muslimischer und von Rassismus betroffener Mitbürgerinnen und Mitbürger ins Leben gerufen.

Dazu gehören beispielsweise polizeiliche Sicherheitsmaßnahmen. Wir haben einen Fonds eingerichtet, um bauliche Schutzmaßnahmen zu realisieren. Wir haben innerhalb der Polizei begonnen mit der Sensibilisierung zum Thema des antimuslimischen Rassismus, damit auch da schneller und zielgerichteter reagiert werden kann.

Aber wir haben auch beispielsweise die Ausstiegsförderung im Bereich Rechtsextremismus verstärkt. Wir haben Registerstellen geschaffen und eine Stärkung der Beratungsstrukturen vorgenommen. Zusätzlich haben wir jetzt auch noch eine Stelle für verschwörungsideologische Weltbilder eingerichtet. Wir haben eine gute Grundlage, um aus diesem schlimmen Angriff in Hanau wirklich intensiv Lehren zu ziehen, um schneller handeln zu können und den Betroffenen auch helfen zu können.

Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass auch in Berlin bei Menschen mit rassistischem oder verschwörungsideologischem Weltbild die Hemmschwellen fallen? Welche Präventivmaßnahmen, die Sie ja teilweise schon angesprochen haben, hat die Stadt gegen solche Gefahren ergriffen?

Vorhersagen ist ja immer schwierig und die Landeskommission in Berlin gegen Gewalt versucht auch immer, alle ihre Maßnahmen und Strategien auf wissenschaftliche Basis zu stellen. Tatsache ist aber, dass antimuslimischer Rassismus nicht mit unseren Werten einer offenen Stadt in Einklang zu bringen ist und dass wir darauf reagieren müssen. Ganz unabhängig davon, wie stark jetzt diese Entwicklungen sind.

Zentral für uns ist deshalb, dass wir die genannten Präventionsmaßnahmen weiterführen und verstetigen. Schutzmaßnahmen sind wichtig, Beratungsangebote, aber auch eben Prävention für die gesamte Bevölkerung, um da zu sensibilisieren. Und deshalb ist es für uns auch wichtig, dass wir den Fonds zur Unterstützung der Betroffenen von politisch extremistischer Gewalt verstetigen. Aus dem sind auch die Finanzmittel aus dieser Kampagne gekommen. Zudem ist es so, dass in der Senatsverwaltung für Justiz und Antidiskriminierung eine Kommission eingesetzt worden ist, die langfristig weitere Maßnahmen entwickelt. Mein Eindruck ist, dass hier alle an einem Strang ziehen und dass die Präventionsmaßnahmen ausgebaut und verstetigt werden. Und das ist gut so.

Wie Ihre Kommission mitgeteilt hat, ist die Zahl von Vorfällen im Kontext mit antimuslimischem Rassismus im Laufe der vergangenen Jahre spürbar angestiegen. Warum ist das gerade jetzt der Fall? Und das ausgerechnet in einer Stadt wie Berlin, wo es eigentlich alltäglich ist, dass Menschen aus den verschiedensten und unterschiedlichsten Ländern und Kulturen dort leben?

Die Menschen sind sensibler geworden und über bestehende Melde- und Beschwerdestrukturen besser informiert als in der Vergangenheit. Deswegen lässt es sich schwer sagen, ob es wirklich ein Anstieg ist, weil ich glaube, dass ein Dunkelfeld sich langsam stärker erhellt. Genau da, wo viele unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen, gibt es auch Vorurteile, Vorbehalte und die äußern sich dann manchmal durch Gewalt und Diskriminierung. Und wir haben jetzt eine Situation, wo die Menschen auch stärker ihre Rechte kennen und verstanden haben, dass es einen Namen gibt für das, was sie da erleben, nämlich antimuslimischen Rassismus und dass man sich dagegen wehren kann.

Mit einer zunehmenden Sensibilisierung nimmt natürlich auch die allgemeine Wahrnehmung zu und das Bewusstsein für dieses Unrecht und natürlich erhöht das auch das Anzeigeverhalten. Es ist deswegen schwer, eine Aussage wirklich zu treffen. Wichtig ist, allen immer zu sagen, dass, wenn solche Vorfälle mit Gewalt verbunden sind, sie diese auch wirklich melden, zur Anzeige bringen und sich Unterstützung holen sollten.

Man sagt ja in der Regel: Umso mehr Menschen in Kontakt mit verschiedenen Menschen kommen, umso eher werden eigentlich rassistische Verhaltensmuster abgebaut. Gibt es da Erfahrungswerte, oder worauf beruht das eigentlich?

Man nennt es Kontakt-Hypothese. Also umso mehr Kontakt wir haben, umso weniger Vorurteile haben wir. Umso früher wir anfangen, Kontakte zu haben miteinander, umso früher wird auch die Erfahrung mit Vielfalt positiv umgesetzt. Immer dann, wenn wir aber um knappe Ressourcen konkurrieren, kommen natürlich andere Mechanismen ins Spiel. Und wenn es große Veränderungen gibt, kommen Versuche, das aufgrund von Vorurteilen zu erklären. Das sind beliebte Denkmuster, die da vorhanden sind und die auch erst mal aufgebrochen werden müssen. Also die Kontakt-Hypothese funktioniert, aber sie funktioniert unter bestimmten Bedingungen, nämlich dass alle gleichen Zugang zu Bildung, Arbeit, Kultur und so weiter haben. Ist das nicht vorhanden, ist das unterschiedlich, dann ist die Gefahr groß, dass man sich das anders erklärt.

Antimuslimischer Rassismus scheint zunehmend auch in der Mitte der Gesellschaft Fuß zu fassen. Wie gedenkt die Stadt Berlin ihr tolerantes und offenes Image langfristig gegenüber Weltvorstellung?

Antimuslimischen Rassismus, den erleben in der Tat viele Menschen in Berlin: Muslime, aber auch Menschen, die aufgrund ihrer Sprache, ihres Namens, Aussehens und so weiter vermeintlich als Muslime wahrgenommen werden. Und wir sehen da die Notwendigkeit eines breiten gesellschaftlichen Engagements in allen Bereichen.

Wir wollen Ausgrenzungserfahrungen und Diskriminierung, soweit es geht, minimieren und alle Maßnahmen, die ich hier genannt habe, gehen in diese Richtung. Es ist wichtig, dass wir vor diesen Tendenzen nicht die Augen verschließen, sondern dass wir wirklich in allen Institutionen und Bereichen genau hinschauen, welche Veränderungen es da gegeben hat.

TRT Deutsch