9.10.2021, Österreich, Wien: Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich, kommt, um ein Statement zur Regierungskrise im Bundeskanzleramt abzugeben. (dpa)
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von Ali Özkök Mit der Vereidigung von Alexander Schallenberg als neuen Bundeskanzler zieht Österreich einen Schlussstrich unter eine kurze, aber heftige Regierungskrise. Der bisherige Außenminister folgt auf den bisherigen Regierungschef Sebastian Kurz, gegen den und dessen Umfeld wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue ermittelt wird. Laut der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft stehen Mitstreiter des Ex-Bundeskanzlers im Verdacht, sich positive Berichterstattung bei Medienhäusern erkauft zu haben. Das soll Kurz ab 2016 den Weg an die Parteispitze und in das Bundeskanzleramt geebnet haben. Dafür sollen Gelder aus dem Finanzministerium zweckentfremdet worden sein.

Dr. David F. J. Campbell ist Associate Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Wien sowie Experte für Innovations- und Qualitätsprozesse in Demokratie, Ökonomie und Kunst. Mit TRT Deutsch sprach er über die Bedeutung und Konsequenzen des Kurz-Rücktritts.

Wird Kurz trotz seines Rücktritts als Kanzler weiterhin die Strippen im Hintergrund ziehen und damit die Politik Österreichs entscheidend prägen?

Kurz hat sich quasi aus der ersten Linie des Bundeskanzlers zurückgezogen und sich somit in eine Art zweite Linie begeben – mit dem Posten des Klubobmanns im österreichischen Nationalrat und als Parteichef der Österreichischen Volkspartei. Das sind sehr mächtige Positionen.

Ich würde mir jetzt auch hineinprojizieren, dass der Plan von Kurz darin besteht, einmal diesen rechtlichen Prozess abklären zu lassen, mit der Hoffnung, dass er auch in rechtlicher Hinsicht dann reingewaschen wird und dann im Nachhinein wieder aufsteigen kann.

Aber da gibt es jetzt mehrere Problematiken, die auf Kurz zurollen werden. Alexander Schallenberg ist der Nachfolger. Das ist grundsätzlich auch mit seinem Koalitionspartner, den Grünen, akkordiert. Wir müssen natürlich sehen, was jetzt dann die Rolle sein wird. Vom österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen wird jedoch Alexander Schellenberg als Bundeskanzler vereidigt.

Wird Schallenberg ein kurzlebiger Kanzler, kann er vielleicht nicht seine Hausmacht aufbauen. Aber je länger Schallenberg in dieser Position als Kanzler ist und eventuell auch als erfolgreich wahrgenommen wird, kann sich das ändern. Also so gesehen meine ich aufgrund allgemeiner politikwissenschaftlicher Befunde, dass Sebastian Kurz natürlich auch ein großes Risiko eingegangen ist. Er hat keine Garantie, dass sein angedachtes Szenario so wirken wird.

Wieso hat Kurz trotz immer wieder aufkommender Skandale so einen großen Einfluss auf seine Partei?

Kurz hat die Österreichische Volkspartei in einer schwierigen Phase übernommen. Damals war die Volkspartei quasi immer die Partei Nummer zwei hinter der Sozialdemokratischen Partei. Die Österreichische Volkspartei war möglicherweise auch in einer gewissen Abwärtsspirale. Das Horrorszenario war, dass die ÖVP von der Freiheitlichen Partei überholt werden könnte und auch auf den dritten Platz absinkt.

Bei der Wahl 2017 hat Kurz es geschafft, die Österreichische Volkspartei von der Position zwei oder sogar von der Position drei auf die erste Position vorwärts zu katapultieren. Das wurde danach bei der Nationalratswahl 2019 gleichermaßen wiederholt, wo die Österreichische Volkspartei weiter Stimmen und Mandate gewonnen hat. Also ich würde sagen, Sebastian Kurz ist so etwas wie ein begnadeter Wahlkampfmanager.

Er hat es von der Position der Stimmenmaximierung quasi optimal angegangen und so gesehen: Warum soll eine Partei beginnen, einen Spitzenkandidaten oder Parteichef, der Wahlen gewinnt, infrage zu stellen? Das andere Argument ist, dass Kurz langfristig auf Personen seines Vertrauens an seiner Seite gebaut hat.

TRT Deutsch Interview mit Associate Professor David Campbell (TRT Deutsch)

Wie bewerten Sie die Vorwürfe gegen Kurz angesichts der politischen Erfolge, die er in den letzten Jahren erreicht hat?

Er ist letztlich angetreten als jemand, der dieses politische Spiel scheinbar perfekt gespielt hat. Perfekt gespielt dahingehend, dass er Wahlen gewonnen hat. Er hat irgendwie als unbesiegbar und unverwundbar gegolten.

Vielleicht war dieser kometenhafte Aufstieg letztlich für ihn in irgendeiner Form das Problem, dass er dann nicht genügend Vorsicht hat walten lassen.

Inwieweit spielen bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft politische Motive eine Rolle? Die ÖVP verweist ja unter anderem auf Terminologie in juristischen Schriftsätzen, die zum Teil an politische Schlagworte der Opposition erinnert.

Grundsätzlich kann man natürlich immer die Frage aufwerfen: Wie parteipolitisch neutral agieren verschiedene Institutionen? Also wenn jetzt dieser Vorwurf im Raum stünde, dass die Korruptionsstaatsanwaltschaft quasi politisch motiviert wäre, dann finde ich, müsste man diesen Vorwurf auch entsprechend begründen und in das Rechtssystem hineintragen. Dann müsste die ÖVP Klage einreichen gegen die Staatsanwaltschaft und sagen, die Ermittlungen seien unfair.

Ein österreichisches Medium, bei dem diese Hausdurchsuchungen stattgefunden haben, soll bereits rechtliche Schritte eingeleitet haben. Man muss natürlich dann in dem Zusammenhang sagen: Damit die Staatsanwaltschaft solche Hausdurchsuchungen durchführen kann, müssen diese auch von einem Richter genehmigt sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch