17.09.2021, Russland, Moskau: Wladimir Putin, Präsident von Russland, nimmt in der Nowo-Ogarjowo-Residenz per Videoschalte an einer Konferenz mit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Duschanbe (Tadschikistan) teil. (dpa)
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Bei Parlamentswahl in Russland steuert die Regierungspartei Geeintes Russland trotz Stimmenverlusten auf einen Sieg zu. Nach Auszählung von knapp 55 Prozent der Stimmzettel kam die Machtbasis von Präsident Wladimir Putin auf 46,6 Prozent, wie die Wahlkommission in der Nacht zum Montag in der Hauptstadt Moskau mitteilte. Mit Spannung wird erwartet, ob sie in der neuen Staatsduma ihre absolute Mehrheit verteidigen kann. In den meisten Direktstimmkreisen lag „Geeintes Russland“ voran. Die Opposition um den inhaftierten nationalistischen Kremlgegner Alexej Nawalny sprach dagegen von „Wahlbetrug, den niemand hinnehmen sollte“.
Den ersten Ergebnissen zufolge werden im neuen Parlament mit seinen 450 Abgeordneten mindestens vier Parteien vertreten sein. Die Kommunisten erhielten demnach 21,3 Prozent. Die rechtspopulistische Partei LDPR des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski kam auf 8 Prozent und das sozialdemokratische „Gerechte Russland“ auf 7,6 Prozent. Sie alle gelten als systemische Oppositionsparteien und waren bereits in der Duma vertreten. Nawalny hatte in vielen Stimmkreisen zur Wahl der KP-Kandidaten aufgerufen.
Hoffnungen auf einen Einzug kann sich eine neue Kraft machen: die Partei Nowyje Ljudi - auf Deutsch „Neue Leute“. Sie landete nach dem Zwischenstand der Auszählung bei knapp 6 Prozent der Stimmen. Die im März vergangenen Jahres gegründete Bewegung kann demnach auch bei den Regionalwahlen in einigen Gebieten auf Erfolge hoffen. Bereits im vergangenen Jahr war sie bei mehreren Wahlen auf Regionalebene erfolgreich.
Wahlbeteiligung bei 45 Prozent
Die Wahlbeteiligung hatte die Wahlkommission am Abend mit 45 Prozent angegeben. Am Montag sollte mitgeteilt werden, wie viele Menschen tatsächlich wählen gegangen sind. In Russland und im Ausland waren rund 110 Millionen Menschen zur Abstimmung aufgerufen.
Am Montag wollte Putin zudem mit Wahlleiterin Ella Pamfilowa die Abstimmung auswerten. Die Wahl galt als ein wichtiger Stimmungstest für den Kremlchef und seine Politik. Wegen steigender Preise bei gleichzeitig sinkenden Löhnen war der Unmut zuletzt gewachsen.
Bei einer Wahlfeier in Moskau kündigten Parteifunktionäre bereits an, dass der Kurs Putins fortgesetzt werde. Obwohl der Staatschef wegen mehrerer Coronafälle in seinem Umfeld nicht anwesend war, wurde er von Anhänger mit „Putin, Putin, Putin“-Rufen gefeiert.
Am Tag nach der Wahl wollen auch die Anhänger von Nawalny Bilanz ziehen. Sie hatten mit der „schlauen Abstimmung“ zu einer Protestwahl gegen Geeintes Russland aufgerufen, um so ihr Machtmonopol zu brechen. Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow meinte, diese Methode habe in einzelnen Regionen Erfolge erzielt - konkret lässt sich das allerdings erst nach Vorlage der vorläufigen Endergebnisse sagen. In Summe werden der Kremlpartei nach derzeitigem Stand 195 von 225 Direktmandate zugebilligt.
Wolkow kritisierte im Kurznachrichtendienst Twitter: „Diese Wahlen sind schmutziger als die von 2011 - viel schmutziger.“ Die Wahlbeobachter der Organisation Golos haben mehr als 4000 angebliche Verstöße aufgelistet. Besonders verbreitet wäre demnach das Vollstopfen der Wahlurnen mit packenweise Stimmzetteln gewesen, aber auch erzwungene Stimmabgaben etwa unter Staatsbediensteten.
Der Politikwissenschaftler Gleb Pawlowski behauptete zudem, dass beim Auszählen der Stimmzettel das Ergebnis zugunsten der Regierungspartei nachgebessert würde. „Geeintes Russland ist nicht mehr die Partei der Macht“, sagte er gleichzeitig dem unabhängigen Internet-Fernsehkanal Doschd.
Kommunisten: Kein Fortschritt unter Putin
Der Parteichef der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, glaubt, dass Geeintes Russland bei „objektiver Betrachtung“ nicht mehr die absolute Mehrheit erreicht habe. Er warnte nach Angaben der Agentur Interfax einmal mehr vor „Wahlbetrug“. Die Kommunisten meinten, dass unter der Kremlpartei und Putin kein Fortschritt zu erwarten sei.
Kritik am Wahlverlauf kam auch aus Deutschland. Die FDP-Politikerin Renata Alt sprach in Berlin von einer „schlechten Inszenierung“. Die Manipulationsvorwürfe „erlauben massive Zweifel an der Legitimität der Wahlergebnisse“, sagte sie. „Tatsache ist: den wahren Willen des russischen Volkes werden wir heute nicht erfahren haben.“ Der FDP-Außenexperte Michael Link sagte der „Heilbronner Stimme“, Putin versuche in „fast schon paranoider Manier, die Stimmung in der russischen Bevölkerung in seinem Sinne zu kontrollieren“.

dpa