Aserbaidschanische Armee nimmt armenische Positionen im besetzten Berg-Karabach ins Visier.  (AFP)
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von Murat Sofuğlu

Die erneuten Zusammenstöße zwischen Aserbaidschan und Armenien in der besetzten Region Berg-Karabach sind für Russland und die Türkei gleichermaßen von Interesse. Doch wo steht der Iran, der wie Aserbaidschan ein mehrheitlich schiitisch-muslimischer Staat ist? Experten gehen davon aus, dass der Iran insgeheim Armenien unterstützt.

Offiziell rief der Iran beide Konfliktseiten zur Einstellung der Auseinandersetzungen auf. Er bot zudem Vermittlung im Territorialstreit an. Doch der Schein trügt: „Im Allgemeinen scheint der Iran Armenien (...) näher zu stehen“, kommentierte Bülent Aras, Professor für internationale Beziehungen am Istanbul Policy Center der Sabancı-Universität, im Gespräch mit TRT World.

Aras nennt mehrere Faktoren für die Unterstützung Irans gegenüber Armenien, die von der politischen Allianz des Iran mit Russland bis hin zu den Handelsbeziehungen Teherans mit Eriwan reichen. Vor allem spiele der sich verändernde politische Charakter der aserbaidschanisch-türkischen Bevölkerung des Irans eine wichtige Rolle bei den geopolitischen Erwägungen Teherans, so Aras.

„Der zunehmende türkische Nationalismus [unter den Aserbaidschanern] im Iran wird vom Iran als ein ernstes politisches Problem betrachtet. Die Verbindungen und Beziehungen zwischen dem Norden des Iran [wo eine beträchtliche aserbaidschanische-türkische Bevölkerung lebt] und der Republik Aserbaidschan sind ein wichtiger Faktor bei den politischen Problemen Teherans mit Aserbaidschan“, sagte der Professor.

„Wir müssen beobachten, was der Iran tun wird, wenn sich der politische Status quo ändert“, sagte der Professor mit Blick auf das Gleichgewicht in der von Armenien besetzten Region Berg-Karabach. Letzten Berichten zufolge rückt Aserbaidschan in Karabach militärisch vor.

„Wenn es eine klare Entwicklung zugunsten Aserbaidschans gibt, könnte man durchaus sagen, dass einige politische Gruppen im Iran ernsthaftes Unbehagen darüber empfinden würden“, sagt Aras.

Das „Türkenproblem“ des Iran

Der Norden Irans wird gerne auch als Südaserbaidschan bezeichnet, wo nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu 20 Millionen Aserbaidschaner leben – zwei iranische Provinzen tragen in ihrem Namen zudem die Bezeichnung „Aserbaidschan“. Einige aserbaidschanische Nationalisten und Intellektuelle haben lange Zeit sowohl den nördlichen als auch den südlichen Teil als kulturell und sozial identisch definiert. Sie forderten, dass beide Regionen im Rahmen einer politischen Union zusammengeschlossen werden sollten – für das politische Establishment in Teheran eine Schreckensvision.

„Im Iran gibt es aufgrund der enormen türkischen Bevölkerung historisch gesehen die politische Furcht, dass sich die zwei aserbaidschanischen Seiten, Baku [die Hauptstadt von Nordaserbaidschan] und Täbris [die Hauptstadt von Südaserbaidschan] sich irgendwann vereinigen könnten“, erklärte Eşref Yalınkılıçlı, ein in Moskau ansässiger Eurasien-Politikanalyst gegenüber TRT World.

„Auf der anderen Seite war im politischen Gedächtnis und in der Außenpolitik Aserbaidschans die Idee Groß-Aserbaidschans immer ein wichtiger Faktor“, erinnerte Yalınkılıçı.

Jahrhundertelang waren der Iran und Aserbaidschan von Staaten türkischen Ursprungs regiert worden: von den Seldschuken bis hin zu den Safawiden und schließlich den Qadscharen. Die Qadscharen verloren im 19. Jahrhundert einige entscheidende Schlachten gegen Russland und mussten wichtige Teile ihrer Territorien im Kaukasus an die Russen abtreten.

Während der nördliche Teil Aserbaidschans nach der kommunistischen Revolution von 1917 als Aserbaidschanische Republik Teil der Sowjetunion wurde, blieb der südliche Teil unter der Kontrolle der Qadscharen. Die türkische Dynastie wurde schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts von der persischstämmigen Pahlavi-Dynastie, der Gründerfamilie des heutigen Iran, abgesetzt.

Die Vision eines Groß-Aserbaidschans stelle seit langem eine Bedrohung für das iranische Establishment dar, das seine Unterstützung gegenüber Armenien als Gegenmaßnahme betrachte, um die aserbaidschanischen Bestrebungen im Iran und in der gesamten Region zu minimieren, sagt Yalınkılıçlı.

„Irans traditionelle Armenien-Politik war lange Zeit ein Balanceakt sowohl gegen Aserbaidschan als auch gegen die Türkei (...). Deshalb steht der Iran (...) hinter Armenien.“

Während der Iran eine schiitische Mehrheit hat und auch die Aserbaidschaner überwiegend schiitisch sind, sprechen diese aber einen Dialekt, der der türkischen Sprache in der Türkei sehr nahe steht. Baku baute seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion enge Beziehungen zu Ankara auf.

TRT Deutsch