30.11.2020, Äthiopien, Addis Abeba: Abiy Ahmed, Premierminister von Äthiopien, reagiert auf Fragen von Parlamentsmitgliedern im Büro des Premierministers. (dpa)
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Nach achtmonatiger Militäroffensive in der nördlichen Region Tigray hat die äthiopische Regierung überraschend eine einseitige Waffenruhe angekündigt. Die Feuerpause solle ab sofort gelten, hieß es in einer Mitteilung vom Montagabend. Nach Angaben der Rebellen, der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), soll die Regionalhauptstadt Mekelle wieder unter ihrer Kontrolle sein. Man habe einen „atemberaubenden Sieg“ errungen, hieß es. Ob sie die Waffenruhe respektieren werden, ließen die Rebellen offen. Der BBC zufolge feierten die Menschen den Truppenabzug in der Nacht zum Dienstag auf den Straßen Mekelles.

Friedensnobelpreis startete im November Militäroffensive
Der seit 2018 amtierende Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed hatte im November eine Militäroffensive gegen die TPLF begonnen, die bis dahin in Tigray an der Macht war. Hintergrund waren jahrelange Spannungen zwischen der TPLF und der Zentralregierung. Inzwischen sind weitere Akteure beteiligt, darunter eritreische Truppen. Hunderttausende Menschen in Tigray sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, allerdings hatten Hilfsorganisationen wegen der Sicherheitslage und bürokratischer Hürden lange keinen vollen Zugang zu den Notleidenden.
Die Feuerpause soll es Bauern in Tigray nach Angaben der äthiopischen Regierung auch ermöglichen, ihre Felder zu bestellen. Zudem sollen humanitäre Organisationen demnach ungehindert in der Region arbeiten können. Die Waffenruhe soll zunächst bis zum Ende der Erntesaison im September gelten. Zuvor hatte sich bereits die Übergangsregierung in Mekelle für eine Waffenruhe ausgesprochen.
Die Ankündigung kam für viele Beobachter überraschend. Seit Tagen gab es unbestätigte Berichte über heftige Kämpfe zwischen Sicherheitskräften der Zentralregierung und der TPLF in Tigray. Der Feind habe einen erniedrigenden Verlust erlitten, teilte die TPLF in der Nacht zum Dienstag mit. UN wirft Äthiopien Verstoß gegen internationales Recht vor
Nach unbestätigten Berichten sollen Repräsentanten der äthiopischen Zentralregierung überstürzt die Stadt verlassen haben. Der Rückzug der Regierungstruppen aus Tigray habe am Samstag begonnen, und sei am Montag abgeschlossen worden, sagte ein Augenzeuge der Deutschen Presse-Agentur. Anwohner in Mekelle sagten der BBC, dass die Rebellen seit Montagabend in der Stadt seien, und auch den Flughafen kontrollierten. Eine unabhängige Überprüfung der Berichte war zunächst nicht möglich.
Mit dem Rückzug des äthiopischen Militärs und der Beamten aus Mekelle habe der bewaffnete Widerstand in Tigray einen „großen Sieg“ errungen, sagte der Äthiopien-Analyst der International Crisis Group, William Davison. Die große Gegenoffensive sei den Rebellen gelungen, indem sie sich den Rückhalt der Bevölkerung sicherten sowie Waffen und Bestände des Gegners erobern konnten, sagte Davison.

Sicherheitskräfte sollen UNICEF-Büro zerlegt haben
Das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) warf äthiopischen Sicherheitskräften unterdessen vor, gegen internationales Recht verstoßen zu haben. Nach Angaben der UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore sollen äthiopische Sicherheitskräfte am Montag in die UNICEF-Räumlichkeiten in Mekelle eingedrungen sein und die Satelliten-Ausstattung zerlegt haben. Fore verurteilte die Aktion auf das Schärfste. Humanitäre Organisationen beanstanden seit Monaten die Sicherheitslage ihrer Mitarbeiter. Zuletzt waren drei Mitarbeiter der Organisation Ärzte ohne Grenzen in der Region unter ungeklärten Umständen umgekommen.
UN-Generalsekretär António Guterres telefonierte nach Angaben der Vereinten Nationen am Montagabend mit Ministerpräsident Abiy Ahmed. Guterres ließ danach mitteilen, dass er auf ein Ende der Kämpfe hoffe. Die Situation in Tigray sei „äußerst besorgniserregend“.
Bald soll sich auch der UN-Sicherheitsrat mit dem Konflikt beschäftigen. Die USA, Großbritannien und Irland beantragten am Montag ein Treffen des mächtigsten UN-Gremiums. Ein Tag für die Sitzung stand Diplomaten zufolge noch nicht fest.

dpa