Die Große Türkische Nationalversammlung in Ankara ist das Parlament der Türkischen Republik. / Photo: DPA (dpa)
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Die Wahlen vom 14. Mai in Türkiye waren für die Opposition eine Enttäuschung. Sowohl bei der Präsidentschafts- als auch bei der Parlamentswahl blieb die oppositionelle Allianz der Nation weit hinter den Erwartungen zurück.

Bei der Präsidentschaftswahl lag Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan mit 49,52 Prozent der Stimmen vor seinem Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu, der 44,88 Prozent erreichte. Das von Erdoğan angeführte Bündnis errang auch die Mehrheit im Parlament.

Vor den Wahlen hatten sich sechs ideologisch unterschiedliche Oppositionsparteien - von Linken über Nationalisten bis hin zu Konservativen - zur Allianz der Nation unter Führung der Republikanischen Volkspartei (CHP) zusammengeschlossen. Einige Umfragen sahen das Oppositionsbündnis sogar vor der Volksallianz von Erdoğan.

Die vier konservativen Partner des sogenannten Sechsertisches – die Zukunftspartei (GP), die Partei für Demokratie und Fortschritt (DEVA), die Partei der Glückseligkeit (SP) und die Demokratische Partei (DP) – brachten der Allianz der Nation und Kılıçdaroğlu offenbar nicht die von ihrer politischen Basis erwarteten Stimmen.

Gewinner der Allianz der Nation sind die Kleinparteien

Dennoch stellen diese vier Parteien in der Liste der CHP zahlreiche Abgeordnete und sind somit die klaren Gewinner ihres Bündnisses. Umfragen zufolge hätten diese Parteien bei den Parlamentswahlen deutlich schlechter abgeschnitten, wenn sie einzeln angetreten wären.

Trotz dieser ungewöhnlichen Allianz hat sich der Stimmenanteil der größten Oppositionspartei (25,3 Prozent) im Vergleich zu den Wahlen 2018 (22,6 Prozent) nicht wesentlich erhöht. Bei den Umfragen vor den Wahlen wurde der Stimmenanteil der vier Parteien durchschnittlich auf etwa fünf Prozent geschätzt.

Die Zukunftspartei des Ex-Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu stellt nun 10 Abgeordnete, genauso wie die Partei der Glückseligkeit. Die DEVA-Partei des ehemaligen Finanzministers Ali Babacan kommt sogar auf 14 Abgeordnete.

Die Neue Wohlfahrtspartei (YRP) von Fatih Erbakan aus der Volksallianz erhielt dagegen knapp drei Prozent der Stimmen, schickt aber nur fünf Abgeordnete ins Parlament.

Auch die Demokratische Partei, die nach Umfragen vor den Wahlen weit unter einem Prozent lag, zieht mit drei Abgeordneten ins Parlament ein. Gemessen am Stimmenanteil ist dies eine unverhältnismäßig hohe Zahl von Abgeordneten.

„Der größte Taschendiebstahl in der politischen Geschichte von Türkiye“

Der überproportionale Erfolg dieser vier Oppositionsparteien hat die Aufmerksamkeit vieler politischer Analysten und Politiker auf sich gezogen. Auch Staatschef und Präsidentschaftskandidat Erdoğan äußerte sich nach den Wahlen dazu.

„Die CHP hat den größten Taschendiebstahl in der politischen Geschichte von Türkiye erlitten – durch ihre Partner, mit denen sie bei den Wahlen angetreten ist“, schrieb Erdoğan auf Twitter. Kılıçdaroğlu sei „von seinen Freunden über den Tisch gezogen worden“. Damit spielte Erdoğan auf den Spitznamen des Bündnisses an, den sogenannten Sechsertisch.

Neben dieser Kritik, die sowohl aus Teilen der Opposition selbst als auch aus der Regierung kommt, hat die CHP ein weiteres Problem: Die Abgeordneten der vier konservativen Parteien könnten die Hauptopposition verlassen und eine eigene Fraktion im Parlament anstreben. In diesem Fall wäre Kılıçdaroğlus Partei nur noch mit 130 Abgeordneten im Parlament vertreten. Damit würde die älteste politische Partei des Landes schlechter abschneiden als bei den Wahlen 2018, als sie 146 Abgeordnete stellte.

Die Konservativen sind die Sieger der Wahl

Die Wahlen vom 14. Mai haben die Konservativen Parteien im Parlament insgesamt gestärkt. Sie haben auch gezeigt, dass Erdoğan die richtigen Verbündeten gewählt hat. Dazu gehören neben der bereits genannten YRP die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die Partei der Großen Einheit (BBP) und die Partei der Freien Sache (HÜDA-PAR) – eine Bewegung mit stabiler Basis in den südöstlichen und östlichen Regionen des Landes.

Eine einfache Addition der Stimmen dieser Parteien zeigt, dass Erdoğan im Gegensatz zu Kılıçdaroğlu die richtige Wahl getroffen hat. Während Erdoğan als Kandidat der Volksallianz 49,47 Prozent der Stimmen erhielt, errang seine AK-Partei mit 35,61 Prozent der Stimmen und schickt damit 268 Abgeordnete ins Parlament. Auch die MHP, die seit langem von Devlet Bahçeli geführt wird, konnte entgegen den Wahlprognosen ihren Stimmenanteil von 2018 weitgehend verteidigen und erhielt 50 Abgeordnete.

Die YRP erzielte ein starkes Ergebnis, obwohl sie erst vor fünf Jahren gegründet wurde, während die BBP ihren Stimmenanteil von rund einem Prozent halten konnte. HÜDA-PAR, die in der Liste der AK-Partei antrat, erhielt vier Abgeordnete.

Damit verfügt die von Erdoğan geführte Volksallianz über eine parlamentarische Mehrheit und bekommt 323 der insgesamt 600 Sitze.

Strategie von Oppositionsführer Kılıçdaroğlu geht nicht auf

Kılıçdaroğlu und seine konservativen Partner in der Allianz der Nation hofften auf die Stimmen der politischen Mitte und der Mitte-Rechts-Wähler. Der Oppositionsblock erhielt jedoch nur 35,02 Prozent der Stimmen – ein geringer Zuwachs von knapp einem Prozent im Vergleich zur Wahl 2018. Vor der Wahl hatte die Opposition noch mit einer Parlamentsmehrheit gerechnet. Sie konnte jedoch nur 212 der 600 Parlamentssitze erringen.

Die CHP konnte zwar ein Viertel der Gesamtstimmen auf sich vereinen und insgesamt mehr Wähler für sich gewinnen. Doch Kılıçdaroğlus nationalistische Verbündete von der Guten Partei (IYI-Parti) konnten ihren Stimmenanteil nicht steigern und blieben mit 43 Abgeordneten knapp unter zehn Prozent.

Die Grüne Linkspartei (YSP), unter deren Dach die mit der Terrororganisation PKK nahestehende HDP ihre Abgeordneten stellt, kam auf 8,82 Prozent der Stimmen. Damit verlor die HDP, die bei den letzten Wahlen noch 11,7 Prozent der Stimmen erhalten hatte, an Unterstützung. Die HDP hatte erklärt, den Präsidentschaftskandidaten der Allianz der Nation gegen die Volksallianz zu unterstützen.

TRT Deutsch