Sozialverbände kritisieren Lindners Äußerungen zur Kinderarmut / Photo: DPA (dpa)
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Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erntet für seine Aussage zu Kinderarmut in Deutschland massive Kritik von Sozialverbänden. „Ich halte es für unsäglich, wenn der Finanzminister nun anfängt, arme Kinder aus Deutschland auszuspielen gegen die Kinder, die mit ihren Familien aus der Ukraine zu uns flüchten mussten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“.

Lindner hatte Zweifel am Konzept der Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus angemeldet, mit der die Grünen-Politikerin Leistungen für Familien zusammenfassen und zugleich erhöhen will. Von Kinderarmut seien vor allem Familien betroffen, die seit 2015 nach Deutschland eingewandert seien, sagte der FDP-Politiker am Sonntag.

Er wolle gerne diskutieren, wie man diesen Kindern und Jugendlichen am besten helfen könne. „Hilft man ihnen am besten dadurch, dass man den Eltern mehr Geld aufs Konto überweist?“, fragte er. „Oder ist nicht vielleicht mindestens diskussionswürdig, in die Sprachförderung, Integration, Beschäftigungsfähigkeit der Eltern zu investieren und die Kitas und Schulen für die Kinder so auszustatten, dass sie vielleicht das aufholen können, was die Eltern nicht leisten können?“

Natürlich brauche es für diese Familien besondere Angebote und es sei auch richtig, dass Eltern befähigt werden sollten, in Arbeit zu kommen, sagte Schneider dazu. „Das darf doch aber kein Argument sein, um Kinder in Armut zu belassen“. Ähnlich äußerte er sich in den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Es entsteht der Eindruck, dass Lindner versucht, die Kindergrundsicherung als wirkungsvolles Instrument gegen Armut zu verhindern“, sagte er.

Gerhard Brand: Linderns Vorstoß ein Affront gegen Kinderarmut

Auch der Chef des Verbands Bildung und Erziehung, Gerhard Brand, sagte der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“: „Der Vorstoß von Bundesfinanzminister Christian Lindner ist ein Affront gegen von Armut betroffene Kinder.“

Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen tatsächlich einen Anstieg der Zahl ausländischer Kinder, die Hartz IV oder Bürgergeld erhalten. Während ihre Zahl im Dezember 2010 bei rund 305.000 lag, waren es im Dezember 2022 rund 884.000. Nach Angaben der BA erhielten im März 2023 als größte Gruppe rund 275.500 ukrainische Kinder und Jugendliche Bürgergeld. Die mit Abstand zweitgrößte Gruppe waren Kinder und Jugendliche aus Syrien. Anders als Asylbewerber erhalten ukrainische Kriegsflüchtlinge unmittelbar Zugang zum deutschen Sozialsystem, was den zuletzt sprunghaften Anstieg erklärt. Der Trend zeigte sich aber schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine etwa bei syrischen Flüchtlingen.

Die BA-Zahlen gehen zurück auf eine AfD-Anfrage. Daraus geht auch hervor, dass in der Zeit von 2010 bis 2022 die Zahl von Kindern und Jugendlichem mit deutschem Pass, die die entsprechenden Sozialleistungen erhielten, gesunken ist: und zwar von rund 1,37 Millionen im Dezember 2010 auf rund 895.000 im Dezember 2022. Der Wert für März 2023 liegt nach BA-Angaben bei 1,02 Millionen.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte am Montagabend im WDR: „Keiner würde bezweifeln, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt die beste Methode ist, dass Eltern gut verdienen, dass ihre Kinder nicht in Armut leben.“ Zugleich machte er deutlich, dass dies ein längerer Prozess sei, von Armut betroffene Kinder aber jetzt Lösungen bräuchten und nicht erst in einigen Jahren.

Das DIW hatte in der vergangenen Woche gemeinsam mit der Diakonie Deutschland eine Studie zu den Folgen von Kinderarmut vorgestellt. Armutsbetroffene Kinder haben demnach zufolge ein höheres Risiko, gesundheitliche Probleme zu bekommen und arbeitsunfähig zu werden als Kinder aus ökonomisch starken Familien.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte am Montagabend bei einer Veranstaltung des Nachrichtenportals „The Pioneer“, die Kindergrundsicherung sei aus ihrer Sicht gerade in diesen Zeiten ein „enorm wichtiges Projekt“. Anders als in anderen Ländern gebe es in Deutschland „verdeckte Armut“. Das heiße nicht, dass gehungert werden müsse, sondern dass Teilhabe nicht möglich sei.

FDP-Generalsekretärs Bijan Djir-Sarai sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, es gehe um mehr Effizienz und weniger - „und nicht um immer mehr Geld“. So bräuchten gerade Familien und Kinder mit Migrationshintergrund eine sachorientierte Förderung, sagte Djir-Sarai.

dpa