25.06.2020, Nordrhein-Westfalen, Gütersloh: „Gütersloh“ steht auf einem Ortsschild am Ortsausgang der Kreisstadt. (dpa)
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Angesichts des Corona-Massenausbruchs im ostwestfälischen Kreis Gütersloh haben führende Politiker vor der unverändert großen Gefahr durch das Virus gewarnt. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) maß der Infektionsserie beim Tönnies-Fleischkonzern nahe Gütersloh am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag ein „enormes Pandemierisiko“ bei. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mahnte, wenn man es „diesem Virus zu leicht macht, dann breitet es sich auch ganz schnell wieder aus“.

Spahn verwies im ARD-„Morgenmagazin“ auf den Corona-Ausbruch vom Februar im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg, der als ein Ausgangspunkt für die deutschlandweite Verbreitung des Coronavirus zu Jahresbeginn gilt. Damals sei erkennbar geworden, „wie schnell aus lokalem Geschehen dann auch bundesweites werden kann“.

Laschet sagte im Landtag: „Diese Krise ist noch nicht zu Ende. Das Virus ist weiter unter uns.“ Die Corona-Fälle bei Tönnies seien das „bisher größte Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland“. Neben dem massiven Ausbruch in Ostwestfalen verzeichneten die Behörden in den vergangenen Tagen auch kleinere Corona-Infektionsherde in anderen Bundesländern.

Urlaub in Niedersachsen nur mit Attest

Aus diesem Grund entschied das Bundesland Niedersachsen, Beschränkungen für Urlauber aus Gütersloh und Warendorf einzuführen. Nur noch mit ärztlichem Attest soll für Anreisende aus diesen Gebieten eine Übernachtung in Hotels, Ferienwohnungen oder auf Campingplätzen möglich sein.

Die Testung dürfe bei Ankunft in der Beherbergungsstätte höchstens 48 Stunden zurückliegen, heißt es in der geänderten niedersächsischen Corona-Verordnung. Ohne ein solches Attest gilt ein Beherbergungsverbot. Die neue Verordnung gilt vorerst bis zum 5. Juli.

Nach dem Corona-Ausbruch in dem Fleischbetrieb in Rheda-Wiedenbrück hatten die Behörden in den Kreisen Gütersloh und Warendorf erstmals wieder weitreichende Beschränkungen des öffentlichen Lebens verfügt, die am Mittwoch in Kraft traten. Von dem zunächst bis zum 30. Juni befristeten teilweisen Lockdown in den beiden Kreisen sind insgesamt rund 640.000 Menschen betroffen.

Laschet zufolge wurden laut aktuellen Zahlen bei Tönnies 6139 Beschäftigte getestet, 1413 davon positiv. Auch weitere 353 Menschen aus dem Umfeld dieser Beschäftigten seien infiziert. Allerdings könne es Doppelzählungen gegeben haben.

Wie der Landkreis Gütersloh am Mittwoch mitteilte, fielen bei den ersten 300 Corona-Tests unter Bürgern 299 negativ aus. In einem Fall war eine Infektion fraglich, wie Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) sagte. Mehr Testergebnisse lagen zunächst noch nicht vor. In dem Kreis laufen derzeit großangelegte Massentests, um die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung abschätzen zu können.

Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann musste einräumen, dass womöglich manche Tönnies-Mitarbeiter nicht auf Corona getestet worden sind. Es könne sein, dass „uns 20, 30 durch die Lappen gegangen sind“, sagte Laumann am Donnerstag in einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses. Er verteidigte aber das Vorgehen der Behörden: Es sei „sorgfältig durch die öffentliche Hand getestet“ worden. Laumanns Staatssekretär Edmund Heller verdeutlichte in der Sitzung, dass eine komplette Erfassung der Menschen auf dem Tönnies-Gelände rückwirkend zunächst kaum möglich gewesen sei.

SPD macht Fleischunternehmer verantwortlich

Der SPD-Agrarpolitiker Rainer Spiering machte den Fleischunternehmer Clemens Tönnies persönlich für den Ausbruch und den Lockdown in den Kreisen Gütersloh und Warendorf verantwortlich. Dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ sagte der Sprecher der Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion, Tönnies habe „nun einem der wirtschaftlich wichtigsten Landkreise in Deutschland schweren Schaden zugefügt“. „Dafür muss er geradestehen“.

Laschet verteidigte seinen Umgang mit der Corona-Pandemie und hob die Notwendigkeit einer ständigen Abwägung von Grundrechtseinschränkungen und vorsichtigen Lockerungsmaßnahmen hervor. „In dieser Lage muss man verantwortlich abwägen, immer wieder, jeden Tag neu“, sagte Laschet vor dem Düsseldorfer Landesparlament.

Die Bürger in den Landkreisen Gütersloh und Warendorf rief Laschet auf, die Kreise „nur in besonderen Fällen zu verlassen“. Menschen mit Reiseplänen in den bevorstehenden Sommerferien empfahl der Ministerpräsident: „Lassen Sie sich testen“. „Aber eines geht nicht - dass man öffentlich Menschen aus dem Kreis Gütersloh stigmatisiert. Ich stelle mich vor die Menschen im Kreis Gütersloh“, bekräftigte Laschet.

Urlauber aus den dem Kreis Gütersloh hatten zuletzt wegen ihrer Herkunft einen Aufenthalt in Mecklenburg-Vorpommern abbrechen müssen. Auch in anderen Bundesländern müssen sie mit Abweisung oder Quarantäneanordnungen rechnen. In Niedersachsen ist nach Angaben der Landesregierung vom Mittwoch eine entsprechende Verordnung in Arbeit.

Schleswig-Holstein hatte am Dienstag eine Quarantäne für Reisende aus Risikogebieten beschlossen. Dies gilt zumindest, wenn sie keinen negativen Corona-Test vorlegen können.

Österreich sprach wegen des Ausbruchs bei Tönnies eine partielle Reisewarnung für Nordrhein-Westfalen aus. Der Fall Tönnies zeige, „wie schnell es zu weiteren dramatischen Situationen kommen kann“, teilte Bundeskanzler Sebastian Kurz in Wien mit.

Die Bundesregierung wollte diese Entscheidungen auf Landesebene nicht kommentieren. Es liege „in der originären Zuständigkeit der Länder“ zu entscheiden, wie sie auf Geschehnisse in anderen Bundesländern reagierten, sagte Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin.

TRT Deutsch und Agenturen