Illustration: 12 Euro liegen auf einem Tisch. (dpa)
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Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland soll ab 1. Oktober ein Mindestlohn von 12 Euro gelten. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch den Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die Erhöhung der Lohnuntergrenze. Damit gab die Ministerrunde grünes Licht für die Umsetzung eines zentralen Versprechens von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Wahlkampf.

Heil: Signal im Sinne der „Leistungsgerechtigkeit"
Für den Minister ist das ein wichtiger Schritt hin zu mehr Armutsfestigkeit. „Es geht natürlich darum, dass Menschen mehr Geld im Portemonnaie haben, um besser über die Runden zu kommen“, sagte Heil bei einem Besuch einer Bäckerei in Wolmirstedt bei Magdeburg. Aber es gehe um mehr – um Leistungsgerechtigkeit und Respekt vor „Arbeiten, die unser Land am Laufen halten“. Die Menschen, die in den betroffenen Bereich arbeiteten, die auch in der Corona-Pandemie „abgefeiert“ wurden, hätten mehr verdient als warme Worte.
Auch volkswirtschaftlich werde die Erhöhung nicht schaden, so Heil. „Es wird die Kaufkraft in Deutschland stärken.“ Derzeit beträgt der Mindestlohn 9,82 Euro. Er gilt für nahezu alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Bis zu 6,2 Millionen Beschäftigte sollen von der Erhöhung profitieren.
Zum 1. Juli 2022 ist bereits eine Anpassung auf 10,45 Euro geplant. Drei Monate später dann soll das Niveau der Lohnuntergrenze einmalig außerhalb der üblichen Erhöhungsschritte angehoben werden. Normalerweise wird der Mindestlohn im Wesentlichen an die vorige Steigerung der Tariflöhne in Deutschland angepasst.

Begründung: Steigende Lebenshaltungs- und Wohnkosten

Der Gesetzentwurf begründet die Erhöhung auch mit steigenden Lebenshaltungs- und Wohnkosten. Diese stellten in Frage, ob eine Vollzeitbeschäftigung mit geltendem Mindestlohn zur „Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage“ reiche.
Auch die Grenze für Minijobs wird von 450 auf 520 Euro erhöht – vom 1. Oktober an bleiben Monatsverdienste bis zu der Grenze für Beschäftigte steuer- und sozialabgabenfrei.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kritisierte, die Politik breche die Zusage, dass die Mindestlohnkommission die Lohngrenze festlege. In diesem Gremium bestimmen Arbeitgeber und Gewerkschaften normalerweise die Erhöhungsschritte. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit dort werde schwer gestört. Dulger sprach von einem „Systemwechsel von einer tarifpolitisch geprägten Mindestlohnentwicklung hin zu einer Staatslohnentwicklung“. Die Politik solle mit den Arbeitgeberverbänden zurück an den Tisch kommen, „um eine fatale Fehlentwicklung im sozialen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden“.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund wies die BDA-Kritik als realitätsfern zurück. „Der einzige Staatslohn ist der Dumpinglohn, der nur mit staatlichen Zuschüssen zum Existieren reicht“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Die Erhöhung sei eine Frage der Wertschätzung der Arbeit. Körzell forderte einen zügigen Bundestagsbeschluss. Zu rechnen sei mit einem Kaufkraftgewinn von rund 4,8 Milliarden Euro.

Künftig soll wieder Mindestlohnkommission entscheiden
Als Fehler kritisierte der DGB die geplante Ausweitung der Minijobgrenze, die künftig an die Höhe des Mindestlohns gekoppelt werden soll. Die Chance auf eine Reform werde vertan, Millionen Beschäftigte seien weiter nicht sozialversichert. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, warnte vor höheren Preisen etwa bei Obst und Gemüse.
Die Linke-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Bundesregierung täte gut daran, sich von der Kritik der Arbeitgeber nicht beeindrucken zu lassen. Schon bei der Einführung des Mindestlohns 2015 wurde der Untergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland prophezeit, das Gegenteil war der Fall.“ Ausnahmen oder großzügige Übergangsregeln dürfe es nicht geben. Damit reagierte sie auf Forderungen der BDA.
Laut dem Gesetzentwurf soll über künftige Anpassungen wieder die Mindestlohnkommission entscheiden. Ihre nächste Entscheidung soll es zum 30. Juni 2023 geben – für die Erhöhungsstufe 1. Januar 2024. Heil verteidigte die Pläne: „Es ist richtig, das jetzt zu machen auch aus gesellschaftlichen Gründen.“ Die Kommission werde für weitere Erhöhungsschritte in den kommenden Jahren zuständig sein.
Deutschland zählt in der EU zu den Ländern mit vergleichsweise hohem Mindestlohn. Die seit Jahresanfang geltenden 9,82 Euro pro Stunde entsprechen bei einer Vollzeitstelle rechnerisch 1621 Euro brutto im Monat, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Höhere Mindestlöhne werden demnach in Luxemburg (2257 Euro), Irland (1775 Euro), den Niederlanden (1725 Euro) und Belgien (1658 Euro) gezahlt. Frankreich liegt mit 1603 Euro darunter.

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dpa