19.10.2021, Frankreich, Straßburg: Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, hält eine Rede im Europäischen Parlament. (dpa)
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Im Justizstreit mit Polen verklagt das Europaparlament die EU-Kommission wegen Untätigkeit. Parlamentspräsident David Sassoli erklärte am Freitag im Online-Dienst Twitter, die Klage solle die Kommission zum „Handeln“ bringen. Das Parlament wirft der Brüsseler Behörde von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, nicht alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft zu haben, um Polen zur Änderung seiner umstrittenen Justizreform zu zwingen. Das Parlament hatte der Kommission im Fall Polen ein Ultimatum gestellt. Konkret bemängelt die Volksvertretung, dass die EU-Kommission bisher nicht von dem sogenannten Rechtsstaatsmechanismus Gebrauch gemacht hat. Mit diesem Mittel können milliardenschwere EU-Zahlungen an einen Mitgliedstaat gekürzt werden, wenn dieser gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt. Polen und Ungarn klagten gegen Rechtsstaatsmechanismus Polen und auch Ungarn haben gegen diesen Mechanismus allerdings geklagt. Von der Leyen deutete zuletzt an, sie wolle das Urteil im Frühjahr abwarten. Für dieses Vorgehen hatte vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem EU-Gipfel vergangene Woche plädiert. Denn der seit Januar geltende Rechtsstaatsmechanismus birgt nach Berliner wie Brüsseler Einschätzung juristische Fallstricke. So muss die Kommission nachweisen, dass durch die Verstöße finanzielle Nachteile für den EU-Haushalt drohen. Das ist im Fall Polen schwierig, denn dort geht es um die Unabhängigkeit der Justiz von der Regierung. Die EU-Kommission und Länder wie Deutschland und Frankreich werfen der nationalkonservativen polnischen Regierung bereits seit Jahren vor, die Gewaltenteilung auszuhebeln und regierungstreue Richter zu installieren, bis hin zum Verfassungsgericht. Corona-Hilfsfonds stärkstes Druckmittel der EU-Kommission Als bisher stärkstes Druckmittel hält die EU-Kommission deshalb die Freigabe von insgesamt 36 Milliarden Euro aus dem europäischen Corona-Hilfsfonds für Polen zurück. Regierungschef Mateusz Morawiecki warf der EU auf dem Gipfel vergangene Woche deshalb „Erpressung“ vor. Zudem hat die Kommission Warschau vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt. Dieser ordnete daraufhin diese Woche ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro gegen Polen an. Die Luxemburger Richter begründeten dies mit dem „ernsthaften und irreparablen Schaden“, der Europa und seinen Grundwerten drohe. Im konkreten Fall ging es um die Disziplinarkammer am obersten polnischen Gericht, mit deren Hilfe die Regierung nach Brüsseler Einschätzung missliebige Richter maßregeln und suspendieren kann. Die polnische Regierung hat bereits angekündigt, das Zwangsgeld nicht zahlen zu wollen. Hintergrund ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichtes, das den grundsätzlichen Vorrang des EU-Rechts bestreitet und auch die Hoheit des EuGH in Frage stellt. Kommission will notfalls Zwangsgelder über EU-Hilfen eintreiben Ein EU-Kommissionssprecher erklärte am Freitag, wenn Warschau die Zahlung des Zwangsgeldes auch weiterhin verweigere, werde Brüssel das Geld von den EU-Hilfen abziehen, die Polen zustehen. „Die Summe wird vollständig eingetrieben“, betonte der Sprecher. Sie komme so dem Gemeinschaftshaushalt zugute. Insgesamt schuldet Polen der EU sogar 1,5 Millionen Euro täglich. Bereits im September hatte das Europa-Gericht Warschau in einem Eilentscheid zu einem täglichen Zwangsgeld von einer halben Million Euro verurteilt, weil Polen Umweltauflagen in einem Kohlebergwerk nahe der deutschen und tschechischen Grenze nicht einhält.

AFP