Das Logo des Nord Stream 2-Gaspipeline-Projekts ist auf einer Rohrkappe zu sehen. (Reuters)
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Nach der Vergiftung des russischen Regierungskritikers Alexej Nawalny ist die Debatte um die umstrittene Erdgas-Leitung Nord Stream 2 wieder entfacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Willen der Bundesregierung zur Fortsetzung und Vollendung des Baus der umstrittenen Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland bekräftigt.

TRT Deutsch hat mit dem Osteuropa-Experten Gustav Gressel gesprochen. Er ist als Experte für europäische Außen- und Sicherheitspolitik des Thinktanks „European Council on Foreign Relations“ (ECFR) tätig. Zuvor war er im österreichischen Verteidigungsministerium im Bereich „Internationale Sicherheit und Strategie“ beschäftigt.

Die USA kündigten den Abzug von rund 12.000 US-Soldaten aus Deutschland an. Würden Sie dem Narrativ zustimmen, dass Deutschland bestraft wird?

Gustav Gressel: Das sieht Donald Trump so, ja. Die Truppenreduzierung ging auf ein Telefonat mit Merkel zurück. In diesem Telefonat haben sich die zwei in verschiedenen Punkten gestritten. Danach hat Donald Trump erklärt, dass er Deutschland jetzt bestrafen wird.

Das Problem an der Sache ist, dass diese Entscheidung Deutschland nicht direkt trifft. Im öffentlichen Bewusstsein der Deutschen gibt es keine Notwendigkeit für amerikanische Truppen. Das ist zwar paradox angesichts der Situation mit Russland, aber die Deutschen fühlen sich subjektiv sehr sicher.

Wen es aber wirklich bestraft hat? Das sind die Osteuropäer. Mit der Rückverlegung von US-Truppen ist die mögliche Verstärkung der NATO-Ostflanke im Konfliktfall viel schwieriger geworden. Die Kommandostruktur in Deutschland war gut ausgebaut. Man liegt im Netz der Tiefe der NATO.

Würde ein neuer US-Präsident sanfter mit Deutschland umgehen?

GG: Vieles was an Streitpunkten mit den USA auf dem Tisch liegt, führt man in Deutschland ausschließlich auf Trump zurück. Aber das deutsche Verteidigungsbudget war unter Präsident Obama auch schon ein Streitpunkt.

Nord Stream 2 ist auch ein Streitfall mit den Demokraten. Eine stärkere Beteiligung Deutschlands an der europäischen Sicherheitspolitik wird dann sicherlich wieder auf den Tisch kommen. Die Diskussion wird nur mit einem ganz anderen Ton geführt werden. Biden ist einer der letzten Politiker aus der Zeit des Kalten Krieges. Deswegen ist er eine Art Fluchtpunkt aller Hoffnungen für Deutschland geworden. Wer auch immer danach Präsident werden sollte, die Beziehung zu Deutschland wird nicht mehr so stark sein, wie wir das gewohnt sind.

Warum erhöhen die USA den Druck mit Sanktionen gegen Nord Stream 2, obwohl Deutschland schon lange Gas aus Russland bezieht?

GG: Wegen seinem bisherigen Gastransport über Belarus und die Ukraine ist Russland bisher zu einem gewissen Maß auf ein gutes Verhältnis mit seinen Nachbarstaaten angewiesen. Wenn Nord Stream 2 und Turk Stream kommen, dann ist Russland nicht mehr angewiesen darauf, seine Nachbarstaaten in den Gastransit einzubeziehen. Moskau kann sie komplett umgehen.

Die amerikanische Sorge ist, dass die militärische Bedrohung durch Russland steigt. Das würde dann auf dem US-Schreibtisch landen. Der US-amerikanische Steuerzahler muss dann mit Truppenstationierungen und Absicherungen das bezahlen, was Deutschland mit der Gasröhre angerichtet hat. Das stößt bei beiden amerikanischen Parteien auf Unmut.

Ist es doppelzüngig von Deutschland, einerseits Sanktionen gegen Russland zu unterstützen und andererseits Nord Stream 2 zu bauen?

GG: Ja, das ist natürlich doppelzüngig. Man geht in Deutschland bei den Teilen, wo man sich nicht versteht, auf Konfrontationskurs, aber man will Russland bei Wirtschaftsfragen gerne signalisieren, dass die Türen immer offen sind. Da muss man aber auch sagen, dass Russland die offenen Türen gerne selber zuschlägt.

Auch der Resteinfluss, den Deutschland noch hatte, wie man in Weißrussland sieht, verpufft schnell. Die Risiken überwirken also die positiven Maßnahmen.

Nord Stream 2 (DPA)

Warum wehren sich viele osteuropäische Länder so heftig gegen Nord Stream 2? GG: Das Problem an Nord Stream 2 ist, dass sich viele osteuropäische Staaten vor einem starken Russland im Ostseeraum fürchten. Sie fürchten, dass diese Pipeline Russland mehr militärische Freiheiten gibt. Da gibt es andere Staaten, die gegen Nord Stream 2 sind, aber sich nicht vor dem russischen Militär fürchten. Dazu gehören Bulgarien, Griechenland, Italien und Spanien. Da gilt Nord Stream 2 als eine unfaire deutsche Hegemonie. Während ähnliche Projekte, im konkreten Fall Bulgarien das Projekt South Stream, untersagt wurden, steht Deutschland in einer Art Gesetzeslücke. Diese kann Deutschland nutzen, um Geschäfte mit Russland zu treiben, die andere nicht treiben können. Das stößt vielen europäischen Staaten sauer auf. Sie fühlen sich ungerecht behandelt. Sie wollen gleiche Bedingungen für alle haben. In diesem Sinne ist Deutschland hier mit Nord Stream 2 auch innerhalb der Europäischen Union sehr isoliert. Vor welchen Entscheidungen steht Deutschland? GG: Wenn Nord Stream 2 an der NATO-Ostflanke eine neue Sicherheitslage schafft, dann hätte Deutschland auch sagen können: „Ja, wir sehen eure Bedenken, wir geben mehr Geld für Verteidigung aus. Die Bundeswehr soll bereit stehen, um die NATO im Ernstfall zu verteidigen.“ Das machen Sie aber auch nicht. Deutschland muss sich entscheiden, welche Pfeife es spielen will.

Auf die Sicherheitsprobleme muss auf die eine oder andere Art eine Antwort gefunden werden. Entweder Deutschland stellt mehr Truppen im Rahmen der NATO zur Verfügung oder es stoppt zumindest derweil diese Pipeline. Aber man kann das Problem nicht einfach aus der Welt schaffen. Stehen wir vor einem Aus der EU-US-Allianz? Schließlich herrscht auch bei der Behandlung Irans und im Umgang mit Huawei Uneinigkeit. GG: An all den Themen sieht man, dass die Allianz schon ein bisschen am Ausfransen ist. Nord Stream 2 ist schon eine Sache. Dann kommt Huawei, wo Frankreich der amerikanischen Seite näher ist als Deutschland. Da ist viel diplomatisches Porzellan zerbrochen. Das hat Wiederhall in der Realität der diplomatischen Beziehungen und der öffentlichen Darstellung gefunden. Diese Entfremdung ist spürbar. Das wird für den Nachfolger von Merkel schwer werden, an der alten transatlantischen Tradition anzuknüpfen oder zu reparieren, was hier angerichtet wurde. Was verspricht sich Deutschland aus dem Umgang mit China? GG: Es gibt in Deutschland eine Grundeinstellung, dass Handel und wirtschaftliche Öffnung irgendwann in Wandel münden werden. Seitdem Deutschland Exportweltmeister und wirtschaftlich in Europa verwoben ist, ist es viel friedfertiger als vor 1945. Aber natürlich machen andere Länder andere Erfahrungen und es gibt Regierungen, die das ganz anders sehen. Bei Russland und China führt Handel eben nicht zur Öffnung. Das zweite ist natürlich die große Unsicherheit gegenüber den USA. Das hat man beim Iran-Atomstreit gesehen. Die USA stiegen einfach wieder aus. Man hat das Problem, dass man sich bei den USA nicht darauf verlassen kann, dass die Position der USA in fünf Jahren genau die gleiche ist wie heute. Und wenn man dann einen harten Schritt tut, dann steht man als der Dumme da, wie eben im Fall des Irans. Dann muss man mit den Folgen kämpfen. Deshalb will man keine harte Linie fahren. Sie halten sich taktisch lieber zurück. Das bringt bei diesen Ländern nichts. Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch