28.05.2021, Belarus, Minsk: Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, spricht zu den Premierministern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten während eines Treffens. (dpa)
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Im Beisein des belarussischen Geheimdienstes KGB redet sich Alexander Lukaschenko bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit der umstrittenen Landung eines Ryanair-Flugzeugs in Rage. Der Westen führe einen Krieg gegen Belarus, donnert der Machthaber am Mittwoch in Minsk vor Abgeordneten. Drei Tage ist der Vorfall da her. Der 66-Jährige äußert sich nun auch erstmals zu der von der EU und den USA verurteilten Zwangslandung des Flugzeugs am Sonntag: Wegen eines Bombenalarms habe er gehandelt.
Nicht nur die 123 Passagiere und 6 Besatzungsmitglieder an Bord seien in Gefahr gewesen, sondern das ganze Land, als das Flugzeug das neue Atomkraftwerk überflogen habe, sagt Lukaschenko sichtlich erregt.

Zwar stellt sich die Bombendrohung schnell als Fehlalarm heraus. Doch macht Lukaschenko in der Rede auch deutlich, worum es eigentlich geht: An Bord war auch der von ihm gesuchte Blogger und politische Aktivist Roman Protassewitsch. Nur seiner Festnahme gilt die ganze Operation.
„Dieses Dreckschwein hat im Südosten der Ukraine Menschen getötet“, behauptet Lukaschenko im Beisein des KGB. Der Geheimdienst werde dazu bald Details bringen. Auch Russland sei im Bilde. Zwar hat Protassewitsch in der Ukraine als Reporter gearbeitet. Dass er als Söldner am Krieg in der Ostukraine teilgenommen haben soll, ist aber nicht erwiesen. Doch wiegen diese Vorwürfe besonders schwer, weil dem Journalisten eine lebensgefährliche Anklage drohen könnte. Auf schwere Verbrechen steht in Belarus die Todesstrafe, die das Land als letztes in Europa noch vollstreckt.
In seiner Rede vor den Parlamentariern in Minsk inszeniert sich Lukaschenko als Retter seines Landes vor dem Westen. Dabei sieht sich die Ex-Sowjetrepublik nun vor allem durch immer neue Sanktionen unter Druck. Die Fluglinien aus Belarus sollen künftig gar nicht mehr in der EU verkehren dürfen. Schon jetzt sind viele Funktionäre des Machtapparats mit Strafmaßnahmen wie Kontosperren und Einreiseverboten belegt. Experten befürchten, dass der gesamte EU-Markt für Belarus wegbrechen könnte - Umfang zuletzt etwa fünf Milliarden US-Dollar.

Engere Bindung an Moskau und Peking
Lukaschenko gibt mit seinem Auftritt nun aber auch den Auftrag, Gegensanktionen auszuarbeiten, um den Westen hart zu treffen. Er selbst will sich andere Märkte suchen, lobt in seiner Rede China und Russland als treue Unterstützer. An diesem Freitag wird er in Sotschi am Schwarzen Meer von Kremlchef Wladimir Putin empfangen. Es ist das dritte Treffen der beiden seit Jahresbeginn. Der bei Russland mit Milliardenbeträgen hoch verschuldete Lukaschenko dürfte vor allem einmal mehr als Bittsteller zu Putin kommen.
Kreml und Außenministerium in Moskau springen Lukaschenko vor der Visite schon einmal am Mittwoch zur Seite. Kremlsprecher Dmitri Peskow meint, dass Lukaschenkos Äußerungen zu der gelandeten Ryanair-Maschine schlüssig seien. Er spricht sich wie Minsk für eine internationale Untersuchung aus. Und das Außenministerium weist angesichts von Vorwürfen auch deutscher Politiker zurück, dass Moskau etwas mit dem Vorfall zu tun haben könnte.
Zwar pflegen Russland und Belarus engste Beziehungen – auch auf Geheimdienstebene. Beweise gibt es aber nicht, dass Moskau bei der vielfach als „Akt des Staatsterrorismus“ kritisierten „Flugzeugentführung“ aktiv mitgemischt haben könnte. Der Politologe Waleri Karbelewitsch meint, die Geheimdienstler in Belarus könnten solch eine Operation auch selbst durchziehen. „Sicher ist aber, dass Putin die Lage zugutekommt. Durch die Isolation Lukaschenkos im Westen kann Russland seinen Einfluss auf Belarus verstärken“, sagt Karbelewitsch in Minsk der Deutschen Presse-Agentur. Er erwartet zudem eine weitere Eskalation der Lage zwischen Minsk und Brüssel.
Wie reagiert die EU?
Für die EU stellt sich angesichts der jüngsten Ereignisse einmal mehr die Frage, wie es im Umgang mit Russland und Belarus weitergehen soll. Obwohl gegen beide Länder vielfach Sanktionen verhängt wurden, ändert sich deren Verhalten nicht. Immer wieder muss die EU neue „inakzeptable“ und „provokative“ Handlungen verurteilen. Das Beispiel Russland zeige, dass das schrittweise Verhängen von Sanktionen keine effiziente Politik mehr sei, räumt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Dienstag nach dem EU-Gipfel ein.
Er will beim EU-Gipfel in Juni darüber reden, wie eine wirksame Reaktion aussehen könnte. Eine schnelle Einigung auf einen politischen Kurswechsel der EU ist allerdings nicht absehbar. Während Macron sich für einen stärkeren Dialog mit Russland und Zurückhaltung bei neuen Sanktionen ausspricht, um die Beziehungen zu verbessern, würden Länder wie Litauen und Polen die Gangart gern verschärfen.
Zu diesem Lager zählen Diplomaten mittlerweile auch den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Er benutzt nun schon mal das Wort „contain“ (eindämmen) und erinnert so an die konfrontative US-Politik im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion. Die Containment-Politik soll die Demokratie und westliche Lebensform schützen. Vor 30 Jahren zerbrach die kommunistische Diktatur der Sowjetunion auch mit daran.

dpa