Die Flaggen der EU und von Polen (dpa)
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Im Streit zwischen Polen und der EU wegen einer Reihe umstrittener Justizreformen hat die Regierung in Warschau ein Einlenken signalisiert. Der stellvertretende Regierungschef Jaroslaw Kaczynski kündigte am Samstag grundsätzliche Änderungen bei einer viel kritisierten Disziplinarkammer für polnische Richter an. Das Gremium war sowohl vom Gerichtshof der EU als auch vom Menschenrechtsgerichthof des Europarats als unrechtmäßig eingestuft worden.

„Wir werden die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs in ihrer jetzigen Form abschaffen – und damit wird auch der Gegenstand des Streits mit der EU verschwinden“, sagte Kaczynski, der als Chef der rechtsnationalistischen Regierungspartei PiS als starker Mann der Regierung gilt, der Nachrichtenagentur PAP. Im September sei mit konkreten Änderungsvorschlägen zu rechnen.

Die polnische Regierung hatte die Disziplinarkammer 2018 eingeführt. Sie ist für Disziplinarverfahren gegen Richter zuständig und kann diese auch suspendieren. Die PiS und ihre Koalitionspartner geben vor, so gegen Korruption und anderes Fehlverhalten sowie gegen das „Erbe des Kommunismus“ im Justizsystem vorzugehen.

Warschau widersetzte sich EuGH-Urteil

Kritiker, darunter auch die EU-Kommission, werfen der Regierung in Warschau hingegen vor, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung zu untergraben. Brüssel klagte vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) und beantragte zudem die Aussetzung der Disziplinarkammer per einstweiliger Verfügung. Der EuGH bewilligte dies, die Kammer müsse bereits vor dem Urteil ihre Arbeit einstellen, andernfalls drohe nachhaltiger Schaden für die Gewaltenteilung in Polen.

Warschau kam dieser Aufforderung allerdings nicht umfänglich nach. Regierungschef Mateusz Morawiecki wies stattdessen das Verfassungsgericht an zu prüfen, ob die Luxemburger EU-Richter ihre Kompetenzen überschritten hätten. Die befassten polnischen Richter, deren politische Unabhängigkeit infolge anderer Aspekte der Justizreformen ebenfalls in Frage steht, urteilten, dass die Anordnungen aus Luxemburg nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien.

Ungeachtet dessen entschied der EuGH schließlich Mitte Juli, dass die Disziplinarkammer gegen EU-Recht verstößt. Die Luxemburger Richter bemängelten die fehlende politische Unabhängigkeit der Mitglieder des Gremiums. Problematisch sei zudem, dass rein inhaltliche Gerichtsentscheidungen als Disziplinarvergehen eingestuft und geahndet werden können. Dies ermögliche „politische Kontrolle von Gerichtsentscheidungen“ und die „Ausübung von Druck auf Richter“.

Kommission gab Warschau Zeit bis Mitte August

Die EU-Kommission gab Warschau bis Mitte August Zeit um darzulegen, wie die Regierung den EU-gerichtlichen Entscheidungen zur Disziplinarkammer nachzukommen gedenke. Andernfalls drohten Geldstrafen. Wegen der bisher von Warschau signalisierten Bereitschaft, sich über Entscheidungen des EuGH hinwegzusetzen, wurde eine ernsthafte Eskalation des Streits befürchtet. Kritiker sprachen von einem drohenden „Polexit“, einem Ausscheiden Polens aus der EU.

Parallel zum Streit wegen der Justizreformen hat die EU-Kommission bislang den polnischen Ausgabenplan für die Mittel des gemeinschaftlichen Corona-Wiederaufbaufonds nicht genehmigt. Die Polen zustehenden 36 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten können deshalb bislang nicht fließen. Brüssel sieht mangelnde Unabhängigkeit der Justiz als Risiko einer fehlenden Kontrolle der korrekten Verwendung der EU-Hilfen.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht die Entwicklung in Polen kritisch. Die Straßburger Richter beurteilten die Disziplinarkammer im Juli als unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Darüber hinaus sind noch knapp 40 weitere Klagen gegen die polnischen Justizreformen in Straßburg anhängig. Im Mai hatte das Gericht Polen bereits wegen der „irregulären“ Ernennung eines Verfassungsrichters verurteilt. Im Juni folgte eine Verurteilung wegen der Absetzung zweier Richter.

AFP