06.10.2021, Ukraine, Korjukiwka: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht beim Denkmal für zivile Opfer der deutschen Massaker. (dpa)
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in der Ukraine an die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg erinnert und zu einem intensiveren Gedenken aufgerufen. „Die Orte nationalsozialistischer Verbrechen in der Ukraine sind auf der Landkarte unserer Erinnerungen kaum verzeichnet“, sagte Steinmeier am Mittwoch nach dem Besuch zweier Gedenkstätten im Ort Korjukiwka nördlich von Kiew.

Erinnerungen an Massaker vor mehr als 80 Jahren schärfen

Zugleich betonte er: „Erinnerung ist nicht nur wichtig, um sich der Ereignisse zu erinnern, sondern auch wichtig, um den Toten einen Namen zu geben.“ Die „blinden Flecken unserer Erinnerung“ müssten ausgeleuchtet werden. „Wir müssen ein gemeinsames Interesse mit den Ukrainern daran haben, unsere Erinnerung zu schärfen“, so Steinmeier. Vor mehr als 80 Jahren - am 22. Juni 1941 - überfiel Hitlerdeutschland im Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion. Das kommunistische Land verzeichnete mit 27 Millionen Toten die größte Zahl an Opfern in Europa. Steinmeier hatte im Sommer zum Jahrestag bereits kritisiert, die Kriegsopfer der Völker der damaligen Sowjetunion seien weniger stark in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, als ihr Leiden es fordere. „So wie die Gedenkstätten des Zweiten Weltkrieges im Westen besucht werden, so würde ich mir wünschen, dass junge Menschen auch die vergessenen Orte im Osten unseres Kontinents aufsuchen“, sagte er damals. Als einen dieser Orte nannte er Korjukiwka, wo innerhalb von zwei Tagen rund 6700 Männer, Frauen und Kinder der größten und brutalsten Strafaktion des Zweiten Weltkriegs zum Opfer fielen. Der Ort liegt knapp 180 Kilometer nordöstlich von Kiew im Gebiet Tschernihiw, etwa 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Der Bundespräsident sprach nach einer Kranzniederlegung und dem Besuch des Stadtmuseums auch mit Schülern und Lehrern darüber, wie in Korjukiwka an die deutschen Verbrechen erinnert wird.

SS-Männer erschossen mehr als 33.000 Juden

Im Anschluss wollte Steinmeier auf einer Gedenkveranstaltung in Babyn Jar reden. Am 29. und 30. September 1941 erschossen deutsche Einsatzgruppen mit Soldaten, Polizisten und SS-Männern hier 33.771 jüdische Bewohner des besetzten Kiew. Bis zur Befreiung der ukrainischen Hauptstadt durch die Rote Armee im November 1943 wurden in Babyn Jar (Altweiberschlucht) rund 100.000 Menschen ermordet. Die Schlucht gilt als das größte Massengrab in Europa. Vorab sagte Steinmeier, es sei „ein schwerer Weg, als Bundespräsident nach Babyn Jar zu kommen“. Als Teil des deutschen Vernichtungskriegs im Osten Europas seien „bestialische Verbrechen und Gräueltaten“ verübt worden, für die er nur schwer Worte finde. Er sprach von „unsagbarer Trauer und Scham“. Babyn Jar sei eines der schlimmsten Massaker des Zweiten Weltkriegs. Viel zu lange sei der „Holocaust durch Kugeln“ in seinem unfassbaren Ausmaß nicht angemessen wahrgenommen worden.

Gedenkstätte veröffentlicht Täter-Namen

Die Babyn-Jar-Gedenkstätte veröffentlichte auch eine erste Liste mit 159 Beteiligten an dem Massaker. „Einige waren Schützen, andere holten die Juden aus ihren Häusern, andere nahmen ihre Habseligkeiten und ihr Gepäck“, hieß es. Die Täter seien aus ganz Deutschland und anderen von Hitler-Deutschland besetzten Ländern gekommen. Nur einige wenige Offiziere wurden der Gedenkstätte zufolge nach Ende des Zweiten Weltkriegs verurteilt. „Die große Mehrzahl kehrte zu einem normalen Leben nach dem Krieg zurück“, hieß es in der Mitteilung. Historiker vermuten, dass niemand der Beteiligten mehr am Leben ist. 2016 war der Bau einer Holocaust-Gedenkstätte in Babyn Jar zur Erinnerung an die 2,5 Millionen ermordeten Juden in Osteuropa angekündigt worden. Wann die Arbeiten beginnen, ist allerdings unklar. In der Ukraine ist das Vorhaben umstritten. Nationalistische Kreise werfen dem Projekt vordergründig wegen russischer Geldgeber eine zu große Nähe zum Nachbarland vor. Sie befürchten, dass der Beteiligung von ukrainischen Helfern am Holocaust zu viel Raum gegeben werde.

dpa