Türkei, Istanbul, Tuzla: Das amphibische Mehrzweck-Angriffsschiff TCG Anadolu liegt auf diesem undatierten Foto in der Sedef-Werft in Tuzla vor Anker. / Photo: Twitter/Mustafa Varank @varank (Twitter/Mustafa Varank @varank)
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Türkiye hat das amphibische Kriegsschiff TCG Anadolu in das Inventar seiner Seestreitkräfte aufgenommen. Das Projekt war im April 2016 gestartet. An der Zeremonie im Istanbuler Stadtteil Tuzla am Montag (10. April) nahm auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan teil. „Wir sehen dieses Schiff als ein Symbol, das im türkischen Jahrhundert unseren Status als eine Führungsmacht in der Region und als ein Land der Welt, das das Sagen hat, festigen wird“, so der Präsident. Bei der TCG Anadolu handle es sich um den ersten „Drohnen-Träger der Welt“. Sie könne „in jeder Ecke der Welt“ operieren und sei ein „großer Schritt“ in Richtung der Produktion eines vollwertigen Flugzeugträgers, sagte er. Bei der Zeremonie gab Erdoğan ferner den Startschuss für die Produktion von drei weiteren Fregatten im Rahmen des Milgem-Projekts. Der türkische Präsident betonte bei seiner Rede zudem, man wolle das Budget für Verteidigungsprojekte von etwa 60 Milliarden Dollar auf 75 Milliarden Dollar anheben.

TCG Anadolu kann ganzes Bataillon transportieren und versorgen

Die TCG Anadolu fällt mit ihrer großen Kapazität an Personal und Fahrzeugen auf. Insgesamt können 1223 Soldaten auf dem Schiff untergebracht werden. Zudem haben insgesamt 94 Fahrzeuge, einschließlich 13 Panzer, 27 gepanzerte amphibische Angriffswagen, 6 gepanzerte Truppenträger, 15 Schlepper-Schiffe und 33 verschiedene Wagen Platz auf dem Schiff. Daneben besteht im Wasserbecken des Schiffes Platz für vier mechanisierte Landungsschiffe, zwei Personal-Landungsschiffe sowie unbemannte Seeplattformen. Weiterhin können 10 Helikopter oder 11 Drohnen auf dem Flugdeck stationiert werden, wobei im Hangar 19 Helikopter oder 30 Drohnen platziert werden können.

Dabei handelt es sich um Drohnen des Typs Bayraktar TB-3, eine Weiterentwicklung der inzwischen berühmten Bayraktar TB-2, sowie die Bayraktar Kızılelma, der erste unbemannte Kampfjet von Türkiye. Der technische Geschäftsführer des Produzenten Baykar, Selçuk Bayraktar, äußerte sich gegenüber dem Sender CNN Türk über die zukünftigen Pläne. Noch dieses Jahr werde die TB-3 – deren Tragflächen aus Platzgründen faltbar sind – zum ersten Mal von der TCG Anadolu abheben. 2024 werde man die Drohne schließlich endgültig auf dem Schiff stationieren. Ein Jahr später wolle man im Anschluss den unbemannten Kampfjet Kızılelma auf die TCG Anadolu bringen. Ferner laufen Vorbereitungen für die Stationierung des leichten Kampf- und Trainingsflugzeugs Hürjet auf dem Schiff.

Mit einer Länge von 231 Metern, einer Breite von 32 Metern, einer Höhe von 58 Metern und einem Gewicht von 27,4 Tonnen ist die TCG Anadolu das größte Schiff der türkischen Marine. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 20,5 Knoten. Aufgrund ihrer umfassenden Ausstattung wird es mit der TCG Anadolu möglich sein, ein ganzes Bataillon an Soldaten in ein entferntes Einsatzgebiet zu transportieren, ohne auf die Unterstützung des Hauptstützpunktes angewiesen zu sein, wie auch Staatspräsident Erdoğan hervorhob. Gerade für die Aktivitäten des türkischen Militärs in Ländern wie Libyen oder Somalia ist dies von großer Bedeutung.

Der Befehlshaber der türkischen Seestreitkräfte, Ercüment Tatlıoğlu, benannte bei der Einweihungszeremonie die Aufgaben der TCG Anadolu. In Friedenszeiten werde das neue Flaggschiff an nationalen und internationalen Manövern teilnehmen sowie der Ausdruck von Präsenz sowie Abschreckung sein. Außerdem werde das Schiff an Rettungsmissionen und humanitären Aufgaben teilhaben, wobei es für Missionen im Hintergrund von Naturkatastrophen bereitstehen werde. Dazu gehören zwei voll ausgestattete Krankenstationen zum Schiff. Im Kriegsfall zählen Tatlıoğlu zufolge amphibische Angriffe, Luftangriffe, Evakuierungs- und Überwachungsmissionen sowie Luftverteidigung und elektronische Kriegsführung zu den Aufgaben der TCG Anadolu.

TCG Anadolu: Ein militärisches und diplomatisches Werkzeug

Für die türkische Verteidigungsindustrie stellt die TCG Anadolu, die laut Präsident Erdoğan einen inländischen Produktionsanteil von 70 Prozent aufweist, einen riesigen Sprung nach vorne dar. Denn besonders ein Faktor macht sie zu einem wichtigen Meilenstein: Die Kombination von unbemannten Luft- und Seefahrzeugen. Mit dem erfolgreichen Einsatz türkischer Drohnen in Syrien, Libyen, Berg-Karabach und zuletzt auch im Ukraine-Krieg ist Türkiye zu einem der führenden Länder in diesem Bereich aufgestiegen. In den letzten Jahren setzt die türkische Verteidigungsindustrie immer stärker auf autonome Systeme, und das nicht nur in der Luftfahrt.

Die dort gewonnene Erfahrung kommt nun auch bei unbemannten Seefahrzeugen zur Anwendung. Die bekanntesten Exemplare in diesem Sektor sind die autonomen ULAQ und MARLIN-Seefahrzeuge, die mit verschieden Waffen wie etwa lasergelenkten Raketen und Maschinengewehren ausgestattet sind. Das Zusammenspiel aus unbemannten Luft- und Seefahrzeugen, leichten Kampfjets, Helikoptern, Landungsschiffen, Panzern und amphibischen Einheiten macht die TCG Anadolu zu einem echten Allrounder sowie im wahrsten Sinne des Wortes zu einem „Drohen-Träger“. Somit gewährt das amphibische Angriffsschiff Türkiye neue Fähigkeiten und Optionen zur Verteidigung. Außerdem bringt es das türkische Militär auf Augenhöhe mit Ländern wie den USA oder Großbritannien.

Dabei sind Flugzeugträger nur bei wenigen Armeen der Welt im Einsatz, wie aus einer Zusammenfassung des US-Wissenschaftsmagazins Popular Mechanics hervorgeht. Das amerikanische Militär betreibt demnach insgesamt 11 Flugzeugträger, wobei 10 der Nimitz und eines der Ford-Klasse zuzuordnen sind. Neben diesen sogenannten Superträgern, die etwa 105.000 Tonnen wiegen, besitzen die USA neun amphibische Angriffsschiffe der Wasp- und America-Klassen. Die TCG Anadolu besitzt ähnliche technische Spezifikationen wie diese Schiffe der US-Marine. Großbritannien besitzt mit HMS Queen Elizabeth und HMS Prince of Wales zwei Flugzeugträger. Auch bei der chinesischen Marine sind zwei Flugzeugträger im Einsatz, die Liaoning und die Shandong. Frankreich betreibt lediglich einen Flugzeugträger, die Charles de Gaulle. So auch Russland: Die Admiral Kuznetsov ist Moskaus einziger Flugzeugträger.

Die TCG Anadolu bringt Türkiye nun in die gleiche Liga wie diese Länder. Das amphibische Kriegsschiff öffnet außerdem weiteren, ambitionierten Projekten wie etwa der Entwicklung eines größeren Flugzeugträgers die Tür. Das amphibische Angriffsschiff ermöglicht es der türkischen Armee, ihre Auslandspräsenz bei Bedarf schnell auszubauen sowie türkische Interessen insbesondere im Mittelmeer und der Ägäis, aber auch im Schwarzen Meer sowie weit über die eigenen territorialen Gewässer hinaus effektiv zu sichern. Für ein Land wie Türkiye, das eine geopolitisch wichtige Stellung genießt und sich zudem in einer von Krisen geprägten Region befindet, ist dies ohne Zweifel von lebenswichtiger Bedeutung. Allerdings wird nicht nur Türkiye, sondern auch die NATO von der neuen Plattform des türkischen Militärs profitieren. Immerhin besitzt Türkiye die zweitgrößte Armee des Militärbündnisses und sichert die südliche Flanke der NATO. Ein starkes Türkiye bedeutet somit zugleich auch eine starke NATO. Es ist zu erwarten, dass die TCG Anadolu bei multinationalen Militärübungen und Operationen des Bündnisses zum Einsatz kommen wird und als Kommandozentrale genutzt werden kann.

Abgesehen von den militärischen Aspekten sollte bei der TCG Anadolu auch die diplomatische Perspektive keineswegs außer Acht gelassen werden. Bei Flugzeugträgern handelt es sich schließlich unter anderem um ein erstaunliches Werkzeug der Diplomatie, das allein durch seine Präsenz in einem bestimmten Gebiet eine politische Botschaft senden kann. Sie können einen Konflikt etwa durch die große Abschreckungskraft noch vor dem Ausbruch eindämmen und als eine Warnung gegen politische Rivalen fungieren. Mit Hafenbesuchen bei Verbündeten können sie ein Ausdruck der Unterstützung und Hilfsbereitschaft im Ernstfall sein. Der regelmäßige Einsatz von US-Flugzeugträgern im südchinesischen Meer ist eines der treffendsten Beispiele in dieser Hinsicht. All diese Aspekte stärken letztlich die Verhandlungsposition und außenpolitische Stellung eines Staates. Mit der TCG Anadolu wird dies zweifelsohne auch für Türkiye der Fall sein. Ankara baut seine militärische Präsenz im Ausland ständig aus und engagiert sich mit einer vielfältigen Außenpolitik in verschiedensten Regionen wie zum Beispiel Afrika. Mit der TCG Anadolu besitzt Türkiye nun ein 30 Tonnen schweres diplomatisches Werkzeug und Flaggschiff, das den neuen Ansprüchen gerecht wird und die erfolgreiche Umsetzung außenpolitischer Vorhaben sowie die Interessensicherung auch in entferntesten Regionen garantieren wird.

Das Schiff wird mit dem Beginn aktiver Operationen nicht nur den militärischen Aufschwung von Türkiye repräsentieren, sondern zugleich auch Ausdruck des fortgesetzten außenpolitischen und diplomatischen Vorstoßes von Ankara sein. Als das jüngste Produkt der immer unabhängiger werdenden türkischen Verteidigungsindustrie wird die TCG Anadolu Bestrebungen in diesen Bereichen tatkräftig vorantreiben und Türkiye sowohl militärisch als auch diplomatisch auf eine neue Stufe heben.