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Am 27. April 2021 begannen in Genf unter der Ägide der Vereinten Nationen die seit 2017 unterbrochenen Gespräche über die Zukunft Zyperns. Unter der Vermittlung von UN-Generalsekretär Guterres nahmen neben dem Präsidenten der Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ), Ersin Tatar, sein Widerpart, der Chef der zyperngriechischen Administration, Nikos Anastasiadis, sowie die Außenminister der Garantiemächte Griechenland, Großbritannien und Türkei teil. Das informelle Treffen in Genf galt dem Ausloten der Positionen beider Seiten, um spätere Verhandlungen vorzubereiten.

UN-Generalsekretär Guterres: Keine Grundlage für Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien

Nach drei Tagen erklärte UN-Chefdiplomat Guterres die Gespräche für beendet, da die Positionen beider Seiten „in keiner Weise miteinander vereinbar“ seien. Die Unterredungen hätten keine Grundlage für weitere Verhandlungen gebracht, aber er wolle in den nächsten Monaten einen neuen Versuch unternehmen. Nach Angaben des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu unterbreitete der zyperngriechische Volksgruppenführer Anastasiadis den Vorschlag, die Kontrolle der Flughäfen von Maraş und Ercan, die sich beide in Nordzypern befinden, auf die Vereinten Nationen zu übertragen. Beim wichtigen Thema der Aufteilung von Erdgasressourcen unter dem Mittelmeer habe dieser jedoch keine Verhandlungsbereitschaft gezeigt.

Präsident Tatar verweist auf Souveränität und politische Gleichstellung

Bleibt die Frage, welchen Lösungsansatz die Regierungen des griechischen Südens und des türkischen Nordens anstreben, wenn die Positionen beider Seiten dermaßen große Unterschiede aufweisen. Der zyperntürkische Präsident Tatar legte dem UN-Generalsekretär einen 6-Punkte-Plan für eine Lösung vor, bei dem er die Bereiche Souveränität und politische Gleichstellung hervorhob. Wie nicht anders zu erwarten, lehnten auch diesmal die Zyperngriechen die Vorschläge der Zyperntürken ab, weil sie nicht an einer gerechten und dauerhaften Lösung interessiert sind, die der zyperntürkischen Volksgruppe die gleichen Rechte gewährt.

Die zyperngriechische Seite wiederholt immer wieder, sie strebe eine Föderation mit der türkischen Seite an, während die Führung der Zyperntürken dagegen zwei unabhängige Staaten favorisiert, die gleiche Hoheitsrechte besitzen. Entgegen weitverbreiteter Ansicht versteht die Regierung Südzyperns unter einer Föderation etwas anderes als die zyperntürkische Seite.

Zyperngriechische Führung will Zyperntürken keine politische Gleichheit gewähren

Denn Nikos Anastasiadis zufolge gibt es Bedenken hinsichtlich der politischen Gleichheit der Zyperntürken, die einen „dysfunktionalen Zustand“ schaffen und zu einem „Zusammenbruch führen“ würde. Bei einer Einigung wäre die zyperntürkische Volksgruppe gegenüber den Zyperngriechen rechtlich und politisch nicht gleichgestellt. Diese Sichtweise der zyperngriechischen Administration ist exemplarisch und reicht bis zur Gründung der Republik Zypern 1960 zurück. Nach diesem Selbstverständnis stellen die Zyperngriechen zahlenmäßig die Mehrheit und entscheiden darüber, welche Rechte der zyperntürkischen Volksgruppe zugestanden wird.

Alle zyperngriechischen Regierungen, einschließlich Ex-Präsident Makarios, hoben den Alleinvertretungsanspruch der zyperngriechischen Bevölkerungsmehrheit auf die gesamte Insel ausdrücklich hervor und sahen in der zyperntürkischen Volksgruppe stets eine „Minderheit“.

Die politische Führung der Zyperntürken hingegen fordert politische Gleichberechtigung für alle Bürger und steht einem zentralistischen Staatsmodell reserviert gegenüber, weil sie dadurch eine Aushöhlung ihrer Grundrechte befürchtet. Die Regierung von Ersin Tatar strebt, wie die Türkei, eine Zwei-Staaten-Lösung an, weil die jahrzehntelangen Gespräche über eine politische Lösung keine Fortschritte gebracht haben.

Die Zyperntürken wurden in der gemeinsamen Republik mit den Zyperngriechen (1960-1963) Schritt für Schritt entrechtet. Nach dem „Verfassungsputsch“ von Präsident Makarios 1963 und den Massakern an der zyperntürkischen Volksgruppe war das Ende der Republik Zypern besiegelt. Die Mehrheit der zyperntürkischen Bevölkerung musste bis 1974 in Enklaven leben, die über die gesamte Insel verteilt waren.

Mit dem Militärputsch der zyperngriechischen Nationalgarde gegen Präsident Makarios sollte die Insel mit Gewalt an Griechenland angeschlossen werden, was die Türkei als Garantiemacht durch ihre Militärintervention verhinderte und damit das Leben Tausender Zyperntürken rettete. Die Anerkennung als Republik Zypern ermöglicht der zyperngriechischen Administration auf internationaler Ebene de jure einen Vorteil, weil sie dadurch ihren Alleinvertretungsanspruch auf die gesamte Insel untermauern kann. Die Rechte der Zyperntürken blieben dabei unberücksichtigt.

Zypernfrage erwies sich als unlösbar

In den letzten 50 Jahren versuchten unzählige Diplomaten der Vereinten Nationen mit den politischen Verantwortlichen der Verhandlungsparteien einen Ausweg für einen der ältesten Konflikte in Europa zu finden. Aber am Ende erwies sich die Zypernfrage als unlösbar. Die Möglichkeit einer Regelung war mit dem Annan-Plan gegeben, doch in dem Referendum von 2004 stimmte bekanntlich eine große Mehrheit von 75,83 Prozent der zyperngriechischen Bevölkerung gegen den Plan der Vereinten Nationen, während fast 65 Prozent der Zyperntürken dafür stimmten. Obwohl die Zypernfrage ungelöst blieb, wurde der griechische Südteil im gleichen Jahr in die EU aufgenommen.

Zyperngriechen wollen Beibehaltung des Status quo

Mit der Aufnahme importierte Brüssel einen ungelösten Konflikt in die Gemeinschaft. Ein anderer Aspekt bestand darin, dass die EU damals versuchte, politischen Druck auf die Türkei auszuüben, um eine Lösung herbeizuführen. Mit der Ablehnung des Annan-Plans durch die zyperngriechische Bevölkerung zeigte sich jedoch, wer an einer Beibehaltung des Status quo interessiert ist.

Anerkennung der Türkischen Republik Nordzypern

Die internationale Anerkennung als „Republik Zypern“ und die EU-Mitgliedschaft des griechischen Teils hat die Teilung der Insel eher vertieft, da die EU damit kein Druckmittel mehr gegenüber der zyperngriechischen Administration besitzt. Das von der Regierung in Nikosia angestrengte internationale Embargo gegen Nordzypern hat die Abhängigkeit des türkischen Nordteils von der Türkei erhöht. Die internationale Staatengemeinschaft sollte nach fast 60 Jahren des Zypernkonflikts langsam begreifen, dass in Zypern de facto bereits zwei unterschiedliche, gleichberechtigte und unabhängige Staaten existieren, doch bleibt dem zyperntürkischen die Anerkennung verweigert.

In einer Zeit, in der Nationalstaaten zerfallen, ergibt es keinen Sinn, zwei ethnisch grundverschiedenen Bevölkerungsgruppen vorschreiben zu wollen, gemeinsam unter einem Dach zu leben. Die Zypernfrage darf nicht nur aus der Perspektive der Konfliktlinien zwischen Griechenland und der Türkei betrachtet werden, sondern auch aus dem Blickwinkel des östlichen Mittelmeeres als Interessensphäre und Konkurrenzkampf um Bodenschätze und Energieressourcen unter dem Meeresboden.

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