Türkei: Rekordwachstum trotz Corona im zweiten Quartal (AA)
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Der renommierte Teller-Report fasste es am 25. Oktober 2021 wie folgt zusammen: Die jüngsten Probleme im Hinblick auf internationale Lieferketten würden mehr und mehr globale Wirtschaftsgiganten davon überzeugen, dass die Türkei aufgrund ihrer strategischen Lage, ihres positiven Investitionsumfeldes, ihrer Infrastruktur inklusive Logistik und Transportwesen sowie ihrer Arbeitskräfte die beste Lösung bezüglich anstehender großer Investitionen sei; es werden Sektoren so unterschiedlich wie Pharmazeutika, Möbel, Kleidung sowie Verpackung angesprochen.

All dies wäre auch unter dem Gesichtspunkt einer schrittweisen Abkehr von China als Zulieferketten-Monopolist zu verstehen. Der Bericht bestätigt sodann, dass es z.Zt. 1255 Forschungs- und Entwicklungszentren in der Türkei gebe, von denen 204 ausländischen Firmen entweder vollständig gehören oder von ausländischen Partnern gemanagt werden. Freihandelsabkommen mit derzeit 22 Nationen erlaubten zudem direkte Marktzugänge; das Land stelle darüber hinaus über 350 Industriegebiete zur Verfügung (tellerreport.com; „How did Turkey become the center of attraction for international companies?“, frei übersetzt, „Wie wurde die Türkei zum Magneten für internationale Unternehmen?“).

Unsere heutige Analyse nimmt diese interessanten globalen Entwicklungen als Ausgangspunkt, widmet sich aber nun der bilateralen Perspektive Österreich-Türkei. Auch dort ist enorm große Bewegung in die Wirtschaftsbeziehungen geraten, es scheint um viel mehr als nur das Bewahren des Status quo zu gehen. Wie sieht es prinzipiell aus, woher kommt dieser neue Investitionsschub und vor allem welche Sektoren finden wir in den Top 10?

Wirtschaftsdiplomatie zahlt sich aus, beidseitig

Es wird oftmals behauptet, dass die Geschäftswelt der Vorreiter enger(er) politischer Kontakte sei; man stelle sich das so vor, dass im Umfeld einer Delegation von Unternehmern, die einem befreundeten Staat einen Besuch abstatten, auch diplomatische Gespräche geführt werden. Einige Beobachter gehen sogar so weit zu sagen, dass zuerst die Wirtschaft und/oder der Tourismus und erst drittens die eigentliche Politik im Vordergrund steht.

Da wir weiter vorne China erwähnten, bleiben wir noch kurz dort: Bezüglich Chinas ist es mit Sicherheit zutreffend, dass die Notwendigkeit, enger im ökonomischen Bereich zusammenzuarbeiten, auch die Welt der Politik davon überzeugte, dass wenn Europa Peking diplomatisch die kalte Schulter zeigt auch die wirtschaftlichen Kontakte darunter leiden könnten, gleiches gilt in umgekehrter Richtung.

Bezüglich der bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich wurde ebenso häufig gemutmaßt, dass sie von einer diplomatischen Eiszeit in eine andere übergingen, nahtlos sozusagen. Solche Stellungnahmen waren aber stets mit Vorsicht zu genießen, kamen sie doch zumeist aus Kreisen, die der modernen Türkei negativ gegenüberstanden, egal, was sie an Erfolgsgeschichten und Reformen zu bieten hatte. Die Realität am Boden sah aber schon immer ganz anders aus: Österreicher und Türken verstehen sich bestens; Österreicher leben zufrieden in der Türkei, und Türken leben zufrieden in Österreich. Diese o.a. Querschießer, oder sollten wir besser sagen Querdenker, erreichten genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich im Sinne hatten, nämlich eine immer enger werdende Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten und Kontakte zwischen ihren Menschen.

Und davon profitiert auch die Wirtschaft beider Länder. Wie bereits erwähnt, verzeichnet Österreich einen Exportboom Richtung Türkei mit 32,1 Prozent und importiert mit einer Steigerung von 23,2 Prozent, korrekt für das erste Halbjahr 2021. In anderen Ziffern: Das Exportvolumen aus Österreich Richtung Türkei liegt bei 764 Millionen Euro, das Importvolumen aus der Türkei nach Österreich bei 996 Millionen Euro. Und wir sprechen lediglich über die ersten sechs Monate dieses Jahres, es bleibt also noch viel Luft nach oben.

Doch wo liegt der sektorbezogene Anreiz abseits der eingangs diskutierten globalen Lieferkettenprobleme? Denn die guten Nachrichten überschlagen sich hier geradezu. Abseits globaler Differenzen scheint es so, dass Unternehmer aus Österreich die Türkei ohnehin als ein favorisiertes Investitionsziel auserkoren haben.

Zwischen Start-ups und Tradition

Derzeit sind 250 Firmen aus Österreich in der Türkei aktiv; das bilaterale Handelsvolumen beläuft sich auf rund vier Milliarden Euro und das Investitionsvolumen aus Österreich Richtung Türkei steht z.Zt. bei 1,35 Milliarden Euro; beeindruckende Zahlen, die manche Beobachter sicher nicht erwartet hätten.

Die bereits weiter vorne vorgestellten Daten bezüglich des Exports und Imports wurden dankenswerterweise aus einer Hintergrundstudie der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) übernommen – abzurufen auf der Webseite „https//wko.at/aussenwirtschaft/tr“; dort finden wir den Link zu folgender Publikation: „Die türkische Wirtschaft“ sowie einen weiteren Link zu „Die 13 spannendsten Branchen der Türkei“.)

Und hier geht es laut WKÖ Schlag auf Schlag, investitionstechnisch gesprochen: Beispiel Informations- und Kommunikationstechnologie – fast 140.000 Beschäftigte, 2000 Firmen; der Telekommunikationsmarkt hat sich in den letzten fünf Jahren beinahe verdoppelt. Es gibt fast 60 Millionen Mobilfunkteilnehmer. Weiteres Beispiel: Landwirtschaft. Wir sprechen hier von rund 20 Millionen Hektar Agrarfläche, was einem Anteil von 26 % der Landfläche entspricht. Eine besondere Zahl: Es gibt fast 1000 Produzenten, die 130 Typen landwirtschaftlicher Maschinen herstellen. Und es geht weiter: Die türkische Automobilbranche ist der Motor türkischer Exporte mit einer sektorbezogenen Quote von 74,9 %. Und nicht zuletzt der Bausektor, der rund zwei Millionen Menschen beschäftigt.

Diese Übersicht soll verdeutlichen, dass das alte Bild der Türkei aus dem vergangenen Jahrhundert komplett überdacht werden muss – sie ist schon lange kein Land mehr, wo lediglich Teile eines Produktes fabriziert werden, schon lange nicht mehr nur eine Tourismushochburg. Natürlich bleibt Tourismus ein türkisches Markenzeichen, doch die Wirtschaft an sich hat kräftig nachgeholt, Stichwort türkische Qualität, Top Endprodukte mit Weltklasse-Technologie.

Zum Abschluss dieses Artikels schauen wir uns nun noch drei konkrete Projekte an, die alle oben angeführten eventuell etwas abstrakten Zahlen mit bilateralem Leben erfüllen.

Joint Ventures in Drittländern, Verpackung, Skitourismus

Nicht nur Investitionen und Exporte sowie Importe sind ein gute Zeichen für ein gesundes bilaterales Verhältnis; eine neue Dimension erfährt all dies, wenn Firmen aus Österreich und der Türkei gemeinsam Investitionen in Drittländern ins Auge nehmen. Hier muss eine Veranstaltung in Istanbul erwähnt werden, die unter dem Titel „Financing and Cooperation Opportunities in Third Markets for Austrian and Turkish Construction Companies“ stattfand. Führende Vertreter von Firmen aus Österreich, die in der Baubranche tätig sind, trafen mit Repräsentanten der türkischen Sektor-Vereinigung TMB zusammen. Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass die türkische Türk Eximbank sowie die Österreichische Kontrollbank OeKB mit an Bord sind.

Dies verdeutlicht das extrem hohe Vertrauensniveau, das Unternehmer (aber auch Banker) beider Länder verbindet, da Investitionen in Drittstaaten natürlich ein höheres Risiko mit sich bringen, als lediglich in bereits altvertraute Märkte zu gehen.

Sodann das Nachhaltigkeitsprinzip im Verpackungssektor; das Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit steht in der Türkei an vorderster Stelle, und es macht von daher Sinn, wenn österreichisches Know-how in dieser Sparte in der Türkei präsent ist. Eine zu 100 Prozent in österreichischer Hand befindliche Firma setzt hier Trends auch in der Türkei.

Und natürlich auch der Wintertourismus: Beobachter der Tourismusszene wussten schon immer, das Know-how aus Österreich auch zum Erfolg anderswo führen kann. Hier sticht vor allem das Skigebiet um den Erciyes Berg bei Kayseri hervor. Alles begann vor rund 15 Jahren, als eine Beraterfirma aus Österreich einen Auftrag erhielt, das bis dahin wenig entwickelte Skigebiet zu modernisieren. Anekdoten von damals beinhalten die Tatsache, dass einzelne Skiliftbetreiber wenig Interesse daran hatten, sich mit anderen Betreibern zu verknüpfen. Es war ein langer Weg, doch die Erfahrung aus mehreren Skigebieten in Österreich und wie mittels regionaler Skipässe weit mehr Umsatz erzielt werden kann öffneten Tür und Tor für ein nunmehr europaweit anerkanntes Skiparadies. Mehr Umsatz für Liftbetreiber, mehr Umsatz für Hotels, mehr Einkommen in einer ganzen Region.

Natürlich profitieren davon auch österreichische Firmen inklusive Technologie und Logistik – die klassische „Win-Win“-Situation.

Diese drei Beispiele wurden dankenswerterweise von Advantage Austria Türkei zur Verfügung gestellt und auf ihrem Social-Media-Kanal einer breiteren Öffentlichkeit vertraut gemacht; Advantage Austria ist die offizielle Handelspromotion-Institution Österreichs mit weltweiten Vertretungen und so auch in Ankara und Istanbul.

Fazit: bilateral macht Sinn

Ob einzelne Firmen aus Österreich, die sich auch in der Türkei beheimatet haben, oder steigende Export-Import Volumen; egal, ob Joint Ventures mit Drittländern oder Besuche beidseitiger Wirtschaftsdelegationen im jeweiligen befreundeten Land – gerade in Zeiten weltweiter Gesundheitskrisen und globaler Lieferkettenengpässe zeigt sich, dass Beziehungen zwischen zwei einzelnen Staaten oftmals eine praktikablere Lösung sind als langwierige und komplizierte Verhandlungen mit meistens sehr bürokratischen transnationalen Partnern.

Kurzfristiger Boom oder langfristiger Trend? Aus heutiger Sicht würde man wohl in Richtung des letzteren tendieren.

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