Bundesinnenminister Horst Seehofer bei der Deutschen Islamkonferenz in Berlin.  (AP)
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Nach dem 11. September 2001 hat Deutschland wie auch andere westliche Länder erkannt, dass die Integration der Muslime lange vernachlässigt worden ist. Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wollte diesen offensichtlichen Nachholbedarf im Jahr 2006 korrigieren, indem er die Deutsche Islam Konferenz (DIK) ins Leben rief. Dies war ein außergewöhnlicher Schritt eines Innenministers, dessen Partei sich lange Jahre dagegen verwahrte, Deutschland als ein Einwanderungsland zu akzeptieren.

Beziehung zu Herkunftsländern als mögliche Gefahr

Seit einigen Jahren wiederholen sich vermehrt Forderungen nach einer verstärkten Inlandsorientierung der Muslime in Deutschland. Sie kommen aus allen parteipolitischen Richtungen. Ein Sinneswandel wird dabei zweifellos erkennbar: Organisationen und Religionsgemeinschaften, die über Jahrzehnte nicht nur als eine zuverlässige Brücke zwischen Herkunftsländern und ihrer neuen Heimat galten, sondern auch als festes Bollwerk gegen jegliche Radikalisierung, werden augenblicklich als Parallelgesellschaften oder Integrationshindernisse betrachtet.

Mit diesem Generalverdacht wird der Druck auf die Muslime in Deutschland, sich von ihren Herkunftsländern zu „befreien“ oder „abzukoppeln“, zusätzlich forciert. Hierbei werden Parallelen zu Bismarcks Kulturkampf mit der Katholischen Kirche aber auch mit dem französischen Gallikanismus ersichtlich, die allesamt staatlich-politische Versuche waren, eine Nationalkirche frei von ausländischen Einflüssen herzustellen. So wie damals den Katholiken Illoyalität zum Nationalstaat bzw. dem Monarchen unterstellt wurde, werden heute viele Muslime in Deutschland der Kollaboration oder des Verrats verdächtigt. Der Kontrolle von Muslimen wird auch deshalb eine besondere Gewichtung zuteil, weil Integrationspolitik im Allgemeinen und Muslime im Besonderen auch immer unter dem Aspekt der Sicherheitspolitik betrachtet werden.

Imamausbildung mit staatlicher Hilfe

Mit der Gründung muslimisch-theologischer Fakultäten und Islamkundezentren formiert sich seit einigen Jahren ein neuer „Staatsislam“ deutscher Prägung.
Im April 2021 soll das neugegründete Islamkolleg an der Universität Osnabrück mit seiner zweijährigen Ausbildung von etwa 30 angehenden Imamen, Seelsorgern und Gemeindepädagogen beginnen. Das Pilotprojekt wird im Rahmen der DIK durch das Bundesinnenministerium gefördert. Andere Universitäten in Deutschland dürften sich dieses Modell in absehbarer Zeit zum Vorbild nehmen.

„Wer einen Euro-Islam will, sollte das Islamkolleg unterstützen“

Wenngleich einer der führenden Denker des Projekts Euro-Islam sein Konzept bereits für gescheitert erklärt hat, betrachten manche Meinungsmacher in Deutschland das Osnabrücker Imam-Projekt durchweg hoffnungsvoll: „Wer einen ‚Euro-Islam‘ statt eines islamischen Europas will, sollte Initiativen wie das vom Innenministerium geförderte Islamkolleg Deutschland in Osnabrück unterstützen“, fordert ein bekannter Kolumnist. Ein anderer Blogger erfreut sich daran, dass die Initiatoren des Ausbildungsmodells als Gruppe auftreten und um „der Alltagsrelevanz willen die große Muttergemeinschaft verlassen – ähnlich der Reformation in Deutschland um 1500“. Somit fehle nur noch ein zentraler und allseits akzeptierter Dachverband, mit dem endlich ein Staatsvertrag abgeschlossen werden könne.

Wie abhängig ist das „unabhängige“ Projekt?

Obschon es in der Vergangenheit in der Frage der Verantwortlichkeit und Finanzierung zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Land Niedersachsen und dem Bund kam: Die Ausbildung der Imame aus Osnabrück soll neben dem Bundesinnenministerium auch von Niedersachsen finanziert werden. Zur Verfügung ständen jährlich ungefähr eine Million Euro. Man muss abwarten, ob das Ziel einer vermeintlichen Unabhängigkeit von jeglicher staatlicher Einflussnahme aus dem In- und Ausland unter den bisherigen Umständen überhaupt zu erreichen ist.

Die Akteure, die dieses Pilotprojekt als eine Alternative zum „ausländischen Einfluss auf die Ausbildung und das Wirken religiösen Personals in islamischen Gemeinden in Deutschland“ betrachten, sind sich hoffentlich einig darüber, dass es nach dem Grundgesetz keine staatliche Regelung für die Imamausbildung geben darf. Diese verfassungsrechtlichen Auflagen sind deshalb so wichtig, weil sich die staatlichen Organe und die Politik nicht in die inneren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften einmischen dürfen.

Ob darüber hinaus Einzelpersonen oder Kleinstvereine als Religionsgemeinschaften zu sehen sind, ist ein weiterer Streitpunkt, der die Gerichte lange beschäftigen könnte. Zudem wird sich die Frage nach dem Einsatzort und der Bezahlung der neuen Imame gar nicht so leicht gestalten lassen.

Genügend deutsche Imame vorhanden

In den Moscheegemeinden der in dem Islamkolleg involvierten Vereine könnten die zunächst etwa 30 Absolventen des Kollegs durchaus eine Anstellung finden. Jedoch bleibt offen, ob wirklich alle Absolventen einen vergleichbar schlecht bezahlten Job wie den des Imams annehmen werden. Wenn selbst die großen islamischen Gemeinden Schwierigkeiten dabei haben, ihre Imame zu finanzieren, wie sollen die kleineren Gemeinden es dann überhaupt – ohne staatliche und politische Unterstützung – schaffen? Ein Großteil der Absolventen dürfte vermutlich als Seelsorger in der Bundeswehr, in Justizvollzugsanstalten oder anderen staatlichen Einrichtungen beschäftigt werden.

Auf der anderen Seite gibt es schon etliche Ausbildungsstätten für Imame in Deutschland. Die meisten der muslimischen Dachorganisationen, die im Koordinationsrat der Muslime (KRM) vertreten sind und gemeinsam mehr als 80 Prozent der ca. 2800 Moscheegemeinden in Deutschland vertreten, haben eigene Lehrstätten für die Ausbildung von Imamen. Ein Teil dieser Imame, die aus deutschen Abiturienten besteht, absolviert ihr Theologiestudium im Ausland. Diese sind in Deutschland sozialisiert und werden nach ihrem Auslandsstudium in Deutschland weitergebildet und eingestellt. Die Absolventen sind insofern alle der deutschen Sprache mächtig, mit den Lebensrealitäten vor Ort vertraut und zudem kulturell in Deutschland verortet. Der andere Teil der Imame besteht aus Absolventen deutscher und europäischer Universitäten. Daher wäre ein Hauptargument, das von Kritikern dieser Religionsgemeinschaften vorgebracht wird, etwa dass die Imame rundweg der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig und ebenso nicht genügend mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut seien, hinfällig. Übrigens darf nicht übersehen werden, dass Sprachkenntnisse, Sozialisation, Akkulturation, ja sogar Assimilation nicht vor Radikalisierung schützen. Studiert man die Biographien von Terroristen, stößt man nicht selten auf integrierte oder unauffällige Persönlichkeiten. Viele von ihnen haben überhaupt keine Migrationsbiographien.

Imame sollten sehr wohl in Deutschland ausgebildet werden. Allerdings müssten sie nicht nur von ihrer Gemeinde akzeptiert werden, sondern auch das Vertrauen der Religionsgemeinschaften gewinnen. Ansonsten finden sie weder eine Anstellung noch eine Anbindung im muslimischen Umfeld. Es wäre deshalb umso wichtiger, die bereits vorhandenen Ausbildungsstätten für Imame in Deutschland zu unterstützen und mit ihren Dachorganisationen zu kooperieren, anstatt neue Konstruktionen zu befördern, die begrenzte Zukunftsaussichten in der muslimischen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland haben werden.

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