Archivbild: Türkische Gastarbeiter. / Photo: DPA (dpa)
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Auch in diesem Jahr werden rund um den Jahrestag der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens zwischen Türkiye und Deutschland Veranstaltungen, Symposien, Konferenzen und vieles mehr stattfinden. Es wird sicher viel zu erzählen geben. Denn durch das Abkommen hat sich für viele Menschen der Lebensmittelpunkt geändert, damit einhergehend auch die Umgebung, die Kultur, die Sprache. Die Gefühle waren gemischt... Manchmal waren die Gefühle von Heimweh und Einsamkeit stärker, manchmal die Freude, den eigenen Zielen ein Stück nähergekommen zu sein.

Warum kam es zu diesem Abkommen?

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es das gemeinsame Ziel der europäischen Länder, die Wirtschaft wieder zu beleben. In der Folge stieg die Industrieproduktion in der Region an, so dass die Arbeitslosigkeit in kurzer Zeit überwunden werden konnte. Für die Weiterentwicklung der Wirtschaft hatte man nun einen Mangel an Arbeitskräften. Aus diesem Grund schloss Deutschland im Jahr 1955 das erste Anwerbeabkommen mit Italien ab, dem folgten im Jahr 1960 weitere Anwerbeabkommen mit Spanien und Griechenland.

Als 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer der Zustrom ostdeutscher Arbeitskräfte zum Erliegen kam, wurde die Anwerbung außerhalb Deutschlands noch dringlicher. Dies war einer der zentralen Gründe für die Unterzeichnung des Abkommens zwischen Deutschland und Türkiye am 30. Oktober 1961. Deutschland war Vorreiter für viele europäische Länder bei der Unterzeichnung eines Anwerbeabkommens mit Türkiye.

Das 1961 unterzeichnete Abkommen, das für Gastarbeiter ein Rotationsprinzip, d.h. eine auf maximal zwei Jahre begrenzte Aufenthaltsdauer, vorsah, wurde in einer Neufassung vom 19. Mai 1964 ebenso aufgehoben wie das Verbot des Familiennachzugs.

Der Grund dafür war, dass diese Gastarbeiter durch ihren Ehrgeiz und Fleiß die deutschen Unternehmen von sich überzeugen konnten, so dass die deutschen Unternehmen ihre angelernten Arbeitskräfte nicht wieder gehen lassen wollten. Mit der Zeit sind die Familien nachgezogen.

Türkische Gastarbeiter wurden zum Vorzeigemodell

In Deutschland lebt bereits die vierte Generation der türkischstämmigen Migranten - ca. 3,5 Millionen. Im Zuge der Zeit ist es nicht nur der ersten Generation, sondern auch den Folgegenerationen gelungen, ihre Bildung/Ausbildung in Deutschland abzuschließen, Qualifikationen zu erwerben und damit in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens mitzuwirken.

Sie sind nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber. Sie leisten einen bedeutenden Beitrag nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik, in der Kunst und im Sport.

In der türkischen Diaspora existieren viele Namen, auf die Türkiye stolz ist, und doch wurde dieser Teil der türkischen Bevölkerung - obwohl er es im Einwanderungsland nicht immer leicht hatte - von Türkiye viele Jahre lang weitgehend als finanzielle Quelle betrachtet.

Von der „Ignoranzpolitik“ zur Diasporapolitik

Eine erste Wende von der „Ignoranzpolitik“ wurde im Jahr 1995 vorgenommen. Um die Integration der türkischen Diaspora in den Einwanderungsländern zu erleichtern, wurde das ehemalige türkische Staatsangehörigkeitsgesetz (403) in Bezug auf den Austritt aus der türkischen Staatsbürgerschaft geändert.

Durch diese Änderungen genießen Personen, die die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben haben, in vielen Bereichen die gleichen Rechte wie türkische Staatsangehörige, sofern die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung der Republik Türkiye nicht beeinträchtigt werden.

Die Regierung der AK-Partei ersetzte diese allgemein formulierten Rechte im Jahr 2004 durch konkrete Rechte. Während der erste Grundstein für eine Diasporapolitik 1995 gelegt wurde, begann die türkische Diasporapolitik im eigentlichen Sinne erst unter der Regierung der AK-Partei. Mit dieser Regelung wollte die Regierung der AK-Partei türkischen Staatsbürgern im Ausland einen ersten Anreiz bieten, eine andere Staatsbürgerschaft anzunehmen, ohne ihre Rechte in Türkiye zu verlieren.

Wählen nicht nur an den Grenzkontrollposten - sondern auch im Einwanderungsland

Die Möglichkeit der demokratischen Partizipation wurde durch die Änderungen des Wahlgesetzes in den Jahren 2008 und 2012 erweitert. Zwar konnte die türkische Diaspora bereits seit 1987 an den Wahlen in Türkiye in speziellen Wahllokalen an türkischen Flughäfen und Grenzkontrollstellen teilnehmen. Dies war jedoch mit einem finanziellen Aufwand verbunden.

Durch die Änderung konnten bereits bei den Präsidentschaftswahlen 2014 alle türkischen Staatsbürger über 18 Jahre in den eingerichteten Wahllokalen in ihrem jeweiligen Wohnsitzstaat ihre Stimme abgeben.

Bereits die ersten Wahlen nach der Gesetzesänderung zeigten, wie wichtig die Wahlbeteiligung an den Wahlen für die türkischen Staatsbürger im Ausland ist. Während die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen am 10. August 2014 bei 19,06% der ca. 2,79 Mio. Wahlberechtigten lag, stieg die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2023 auf 52,04% (ca. 3,42 Mio. Wahlberechtigte). In Deutschland lag die Wahlbeteiligung bei 48,81%.

Beginn einer institutionalisierten Diaspora-Politik

Die türkische Diasporapolitik beschränkte sich nicht auf die Möglichkeit der Wahlbeteiligung. Zum einen wurde versucht, die politische Partizipation zu erleichtern, zum anderen wurden verschiedene Institutionen gegründet, die sich für die Rechte und Interessen der türkischstämmigen Migranten in Türkiye und weltweit einsetzen.

Zu diesem Zweck wurde 2010 das Amt für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften (YTB) gegründet. Es hat die Aufgabe, die Zusammenarbeit mit den Türkischstämmigen und ihren Verbänden im Ausland auszubauen, sie in ihren Bemühungen, um politische Partizipation im jeweiligen Gastland zu unterstützen und ihnen bei der Stärkung ihrer Beziehungen zu Türkiye zur Seite zu stehen. Darüber hinaus werden Rechts- und Verwaltungsdienstleistungen im öffentlichen, kulturellen und Bildungsbereich angeboten.

Unterausschuss für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften

Trotz der wertvollen Arbeit der eingerichteten Institutionen wurde der Wunsch der türkischen Diaspora nach einer Vertretung im türkischen Parlament immer stärker. Weshalb am 10. Oktober 2019 im türkischen Parlament die Gründung des Unterausschuss für YTB beschlossen wurde. Ziel war es, die Probleme der türkischen Diaspora durch eine effektivere und zielgerichtetere Arbeit auf rechtlicher Grundlage zu lösen.

Seit der Gründung des Ausschusses wurden mehrere Änderungen an Gesetzen und Verordnungen vorgenommen, die das Leben der türkischen Diaspora im Migrationsland, aber auch im Heimatland erleichtern sollen. Im Übrigen ist die türkische Diaspora in der 28. Legislaturperiode von mehreren Abgeordneten aus unterschiedlichen Parteien vertreten.

Die türkische Diaspora, die größtenteils aufgrund des Anwerbeabkommens ihr Land verlassen hat, ist ein wichtiger und bemerkenswerter Teil von Türkiye, weshalb sie in Türkiye mit Stolz und Freude begrüßt wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihr Leben in den Einwanderungsländern fortsetzt oder in ihr Heimatland zurückkehrt.

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