Mine in Berg-Karabach wird unschädlich gemacht (AA) (Others)
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Obwohl seit dem letzten Krieg im Südkaukasus nunmehr fast zwei Jahre vergangen sind, wurde zwischen Aserbaidschan und Armenien noch immer kein offizielles Friedensabkommen unterzeichnet. Die Spannungen, die in den letzten 3 Tagen signifikant zugenommen haben, haben großen Einfluss auf die Zukunft der Region.

Besteht die Motivation für den aktuellen Konflikt darin, ein Friedensabkommen zu erzwingen?

Beide Seiten machen sich gegenseitig für das Aufflammen des Konflikts im Südkaukasus verantwortlich. Während die armenische Seite Aserbaidschan beschuldigt, international anerkannte Grenzen zu verletzen, behauptet Aserbaidschan im Gegenzug, dass armenische Soldaten Minen zwischen ihren Stellungen verlegen, mit Sabotagetruppen Grenzverletzungen begehen, die Grenzen verletzen und insbesondere die befreiten Gebiete Karabachs bombardieren.

Zahlreiche Beobachter der Region haben registriert, dass sich die Situation in letzter Zeit immer weiter verschärft hat. Die jüngsten Gefechte an der Grenze und insbesondere die Infiltrationsversuche der Armenier in Karabach haben derart zugenommen, dass sie jeden Augenblick in einen größeren Konflikt münden können.

Betrachtet man, was am Verhandlungstisch vereinbart wurde, sollte mit dem unter Vermittlung Russlands im Jahr 2020 unterzeichneten Waffenstillstandsabkommen das, was heute passiert, eigentlich verhindert werden. Erschwerend kommt hinzu, dass seither auch kein Friedensabkommen unterzeichnet wurde und gemäß den Aussagen der Konfliktparteien darüber hinaus auch einige Artikel des Waffenstillstandsabkommens erst gar nicht umgesetzt wurden.

Es gibt mehrere Gründe, warum die Spannungen zwischen Aserbaidschan und Armenien nach dem jüngsten Krieg nicht abgebaut wurden. Der wichtigste davon ist klarerweise das Fehlen eines endgültigen und gegenseitig ratifizierten Friedensabkommens.

Nach den von Baku vorgebrachten Argumenten lehnt Armenien immer noch die international anerkannten Grenzen Aserbaidschans ab und erklärt überdies, dass die Karabach-Frage noch nicht endgültig geklärt sei. In diesem Sinne scheinen das Problem der Grenzziehung und die Unfähigkeit beider Länder, die endgültigen Staatsgrenzen einvernehmlich zu bestimmen, Gründe für die jüngsten Ereignisse zu sein. Denn beide Länder behaupten, die Grenzen des anderen nicht verletzt zu haben.

Auch das Problem der einzurichtenden Korridore, ein weiterer Punkt des Waffenstillstandsabkommens, steht im Zentrum der aktuellen Konflikte. Als Antwort auf den Lachin-Korridor, der die Verbindung der armenischen Bevölkerung in Karabach mit Armenien sichert, wurde der von Aserbaidschan geforderte Zangezur-Korridor als Verbindung Aserbaidschans mit der Autonomen Republik Nachitschewan und damit auch mit Türkiye zwar zunächst von Armenien gebilligt. Nach dem Krieg bestritt die armenische Regierung jedoch die Existenz einer solchen Vereinbarung und bot nunmehr an, statt eines Korridors die gesperrten Landverbindungen wieder zu öffnen.

Der jüngste Krieg fand inmitten der globalen Pandemie und der damit verbundenen politisch-wirtschaftlichen Krisen im Jahr 2020 statt, was viele als ideales Timing bewerten. Heute glauben jedoch einige Experten, dass der aktuelle Stand im Krieg Russlands mit der Ukraine und der russische Rückzug, der in den letzten Tagen offensichtlich wurde, einen indirekten Einfluss auf die derzeitigen Entwicklungen hatten.

Während eine Gruppe behauptet, Aserbaidschan habe Schritte unternommen, mit Russland, das sich als Schutzmacht beider Länder sieht, Armenien zum Frieden zu zwingen, indem es sich die aktuelle Schwäche Russlands zunutze macht, geht eine andere Gruppe vom genauen Gegenteil aus und behauptet, Russland selbst habe die Lunte dieses Konflikts entzündet, um die Aufmerksamkeit von der Ukraine abzulenken.

Internationale Akteure, die entschlossen scheinen, nur ihre eigenen Interessen zu wahren

Es ist eine Tatsache, dass Russland derzeit an vielen Fronten kämpft. Trotzdem bemüht sich der Kreml erneut um einen Waffenstillstand zwischen den Parteien. Kremlfreundliche Medien behaupten gar, dass die jüngsten Konflikte speziell vom Westen organisiert wurden und darauf abzielten, die Beziehungen zwischen Türkiye und Russland zu destabilisieren.

Die Europäische Union, die Vereinten Nationen und ebenso die USA riefen die Konfliktparteien zu einem sofortigen Waffenstillstand auf. Aber bekanntermaßen ist die Rolle des Westens im Südkaukasus sehr schwach. Insbesondere der Versuch des Westens, die Minsk-Gruppe der OSZE, ein ohnehin wirkungsloser Mechanismus, wiederzubeleben, erzürnte Baku und verdeutlicht die Hilflosigkeit des Westens, der einerseits bemüht ist, Russland international zu isolieren, aber kein Problem damit hat, zusammen mit den Vereinigten Staaten in der Minsk-Gruppe mit dem Land zusammenzuarbeiten.

Darüber hinaus lassen sich die Bemühungen Frankreichs, das Thema mit einer pro-armenischen Politik auf die Tagesordnung des Europäischen Parlaments und des UN-Sicherheitsrates zu bringen, mit dessen Wunsch erklären, Aserbaidschan als Aggressor zu brandmarken.

Aber genau hier tritt eine sehr wichtige und strategisch bedeutsame Situation in den Vordergrund. Der Transport von aserbaidschanischem Gas nach Europa hat seit Beginn des Ukraine-Krieges zugenommen. Bedenkt man, dass über die TANAP-Pipeline künftig noch mehr Erdgas in den Westen transportieren werden soll und dass Aserbaidschan mit wichtigen europäischen Staaten sowie der Europäischen Union eine Absichtserklärung über die Ausweitung der Lieferungen geschlossen hat, wird es für die EU, die versucht, ihre Abhängigkeit von russischer Energie zu reduzieren, schwierig, in diesem Konflikt Partei zu ergreifen. Deshalb ist davon auszugehen, dass den Forderungen nach Sanktionen gegen Aserbaidschan, insbesondere wie von Frankreich eingefordert, nicht entsprochen wird.

Dass sich der Iran, der sich in der Region mit beiden Staaten eine Grenze teilt, mehr mit dem Zangezur-Korridor auseinandersetzt als mit den Gefechten, zeigt, dass sich die Haltung des Iran vor und nach dem Krieg nicht geändert hat. Teheran widersetzt sich hartnäckig der Einrichtung dieses Korridors und verlangt, Armenien solle diesbezüglich keine Zugeständnisse machen, um auf diese Weise sowohl den Einfluss von Türkiye in der Region einzuschränken als auch einen möglichen Korridor zwischen Aserbaidschan und dem Westen weiterhin zu monopolisieren.

Andererseits ist zu konstatieren, dass Türkiye als langjähriger Verbündeter Aserbaidschans Baku vollkommen unterstützt. Folgerichtig forderte Ankara Armenien auf, von seiner aggressiven und rachsüchtigen Politik abzurücken und sich stattdessen auf ein Friedensabkommen zu konzentrieren.

Auf dem Weg zu einem Friedensabkommen droht ein neuer Krieg

Die Intensität der Gefechte und die Höhe der derzeitigen Verluste erinnern zweifellos an den Krieg, der im September 2020 begann und 44 Tage andauerte. Derzeit ist noch nicht abzusehen, welche Ziele die Konfliktparteien diesmal verfolgen.

Für Aserbaidschan mag die Idee attraktiv erscheinen, die Grenze zu Armenien endgültig festzulegen und wenn möglich eine Pufferzone einzurichten. Darüber hinaus ist die endgültige Öffnung der im Waffenstillstandsabkommen zugesagten Korridore ein weiterer Baustein für ein etwaiges Friedensabkommen.

Obwohl es eine wichtige Entwicklung ist, dass die Außenminister der beiden Länder Ende dieses Monats für ein Friedensabkommen am Verhandlungstisch zusammenkommen werden, ist noch nicht abzusehen, ob und wenn ja mit welchem Inhalt ein solches Abkommen zustande kommen wird. Dazu erklärte der armenische Ministerpräsident Nikol Pashinjan, dass er, obwohl er keinerlei Zugeständnisse in der Korridor-Frage für ein mögliches zu unterzeichnendes Dokument machen wollte, sich dem Zorn der armenischen Öffentlichkeit stellen würde und bereit sei, alles für die Integrität des armenischen Staates zu tun. Tatsächlich könnten die regierungsfeindlichen Demonstrationen in Eriwan in der Nacht des 14. September Ministerpräsident Paschinjan und sein Team zwingen, in Sachen Friedensabkommen einen Schritt zurückzutreten.

Andererseits könnten härtere aserbaidschanische Reaktionen auf die zunehmenden armenischen Provokationen die Ereignisse erneut eskalieren lassen. Das Versäumnis der OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit), zu der auch Armenien gehört, Garantien abzugeben, sowie die Weigerung Kasachstans, ebenfalls Mitglied der Organisation, Eriwan zu unterstützen, und das aktuelle Schweigen Russlands könnten Indikatoren für Veränderungen in der Region sein. Eine aktive Intervention Russlands, um den Knoten wiederum zu lösen, hat jedoch das Potenzial, einen direkten Dialog zwischen den beiden Konfliktparteien erneut zu verhindern.

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