Gastarbeiter aus der Türkei an einem Bahnhof in Deutschland (dpa)
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Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten 2019 in Deutschland etwa 21,2 Millionen Migranten.

Als stärkste und größte Gruppe von in Deutschland lebenden ausländischen Staatsangehörigen werden Türkinnen und Türken bzw. türkischstämmige Deutsche genannt. Das sind 3,2 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Über Türken in Deutschland gibt es sehr viele Auffassungen. Diese betreffen nicht nur ihren Lebensstil, sondern auch ihre Anpassung, Erfolge oder Misserfolge, sogar auch die Definition als Bevölkerungsgruppe (Türkischstämmige, Türken, Ausländer, Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, eingebürgerte Türken usw.). In diesem Artikel möchte ich ausschließlich den Begriff „die in Deutschland lebenden Türken“ verwenden. Allerdings wird dieser Begriffsunterschied zuerst kurz erklärt, denn er allein ist ein wichtiger Indikator, um „unsichtbare Türken“ sichtbar zu erfassen.

In der öffentlichen Debatte über Migration werden die Begriffe Ausländer, Migrant, Zuwanderer, Person mit Migrationshintergrund und ethnischem Hintergrund verwendet. Die Forschung zu Migrantinnen und Migranten benutzt zunehmend das Konstrukt Migrationshintergrund, das nicht nur selbst Zugewanderte, sondern auch Personen mit familiär vermittelter Migrationserfahrung einbezieht. Dieses ergänzt bzw. löst die statistische Erfassung von Personen als Ausländer ab. Dabei wird allein das Kriterium „nichtdeutsche Staatsangehörigkeit“ herangezogen, z. T. mit der Differenzierung in verschiedene Nationalitäten. Genau deswegen ist es schwierig, nicht nur die genaue Zahl der in Deutschland lebenden Türken und türkischstämmigen Deutschen zu benennen, sondern auch in Statistiken z.B. Bildung, Demografie und ähnliche Daten zu erfassen. Mit anderen Worten, wenn wir z.B. Türkischstämmige und deren Bildungserfolge oder -misserfolge verdeutlichen wollen, dann ist der Unterschied in der Definition für die Statistiken sehr relevant. So sagt der Unterschied in der Definition (Migrant oder Ausländer) über die Genauigkeit und Aussagekraft des Wissens über die Bevölkerungsgruppe viel aus.

Nicht nur dieses Definitionsphänomen, sondern auch die Darstellung des türkischen Einwanderns in Deutschland ist z.B. in der Presse, in der Öffentlichkeit genauso wichtig. Die Geschichte der Türken in Deutschland liefert wichtige und erste Anhaltspunkte zur „Integration“ der Türken, zu Erfolgen und Misserfolgen, Schwierigkeiten, Herausforderungen und zu den für Türken verwendeten Begriffen.

Rückblick in die Geschichte:

Schon vor dem Ersten Weltkrieg arbeiteten das Deutsche und das Osmanische Reich militärisch und wirtschaftlich zusammen. 1912 lebten allein in Berlin etwa 1350 Türken. Im Ersten Weltkrieg intensivierten sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Selbst während der NS-Zeit wanderten viele deutsche Wissenschaftler und Künstler in die Türkei aus.

Anwerbeabkommen und wichtige geschichtliche Punkte für Türken in Deutschland

  • Nach dem Zweiten Weltkrieg schloss die Bundesregierung mit vielen Ländern Anwerbeabkommen, darunter mit der Türkei am 31.10.1961.

  • In den ersten Jahren nach dem Abkommen zunächst verhaltene Zuwanderung durch Gastarbeiter.

  • Nach der Wirtschaftskrise 1967 hohe Zahl an neuen Arbeitskräften aus der Türkei, vor allem in der Stahl- und Automobilindustrie.

  • Zu Beginn Aufenthaltserlaubnis türkischer Gastarbeiter auf zwei Jahre beschränkt, jedoch nach Neufassung des Abkommens (19.05.1964) Möglichkeit des dauerhaften Aufenthaltes in Deutschland und Nachzugs der Familienangehörigen aus der Türkei.

  • 1973 Anwerbestopp aus sämtlichen Ländern aufgrund der Ölkrise.

  • Zu diesem Zeitpunkt lebten 500.000 bis 750.000 Türken in Deutschland.

  • Gastarbeiter und ihre Familien mussten sich entscheiden, dauerhaft in Deutschland zu bleiben oder in die Türkei zurückzukehren. Viele entschieden sich dafür, in Deutschland zu bleiben.

  • In den 1970/80ern weitere Einwanderung durch Familiennachzüge und Asylsuchende aufgrund politischer Instabilität in der Türkei.

  • Zwischen 1983 und 1984 finanziell geförderte Remigration von Gastarbeitern in die Türkei.

  • Seit 1998 gelockerte Regelungen für die Einbürgerung der Kinder ausländischer Eltern in Deutschland. Diese haben nun die Option auf die deutsche Staatsbürgerschaft.

  • Heute wesentlich geringere Zuwanderung von Menschen aus der Türkei nach Deutschland. Seit 2006 sogar mehr Fortzüge als Zuzüge Türkeistämmiger in Deutschland, u.a. aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Türkei.

  • Zahl der eingebürgerten Türken zwischen 2009 und 2020: 258.155

  • Seit dem Jahr 2000 gilt: Deutscher ist automatisch, wer in Deutschland geboren ist. Voraussetzung ist, dass ein Elternteil Deutsche bzw. Deutscher ist oder ein Elternteil mindestens seit 8 Jahren in Deutschland lebt.


Türkische Erfolge in Deutschland

Wenn wir die Geschichte der Migration der Türken nach Deutschland betrachten, sprechen wir von einer 60 Jahre alten Geschichte. In diesem Jahr, also 2021, feiern wir ihr 60-jähriges Bestehen. Obwohl es in jeder Phase dieser 60 Jahre Schwierigkeiten gegeben hat, sehen wir, dass sie auch eine sehr persönliche und soziale Geschichte enthält. Tatsächlich belegen Daten, was eine seit 60 Jahren hier lebende Gesellschaft geleistet hat. Denken wir an die von Türken in Deutschland gegründeten NGOs für Sport, Kultur, Wirtschaft, Freundschaft, Bürger- und Student/innen-Vereine, Verbände. So sehen wir erste Erfolgsprognosen der in Deutschland lebenden Türken. Weiterhin entwickelte sich Deutschland wirtschaftlich gesellschaftlich durch die / mit den Türken sehr stark. Dabei spielte und spielt die türkischen Community in Deutschland eine wichtige Rolle. Ebenfalls nicht zu vergessen: Brückenfunktion und Verbindungen der Türken in beiden Ländern. Es gibt sie nicht nur bei NGOs, sondern in allen Lebensbereichen. Auch wenn wir das Wirtschaftsleben in Deutschland betrachten, ist ihr wirtschaftlicher Beitrag für Deutschland als Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gering. In Deutschland haben Türken 90.000 kleine und mittelständische Unternehmen gegründet, ihr Jahresumsatz liegt bei rund 60 Milliarden Euro und sie bieten rund 500.000 Menschen Beschäftigung. Tatsächlich ist der Anteil der Türken, die größere Fabriken besitzen, nicht geringer. So handelt es es bei Erfinder und Hersteller des Impfstoffs, der gegen die besonders in letzter Zeit die Welt heimsuchende Corona-Pandemie entwickelt wurde, um zwei in Mainz lebende türkische Wissenschaftler (Prof. Ugur Şahin und Dr. Özlem Türeci). Deutschland ist das beste Beispiel für gesellschaftliche Entwicklung und Erfolge der Türken.

Wir sprechen von einer türkischen Gesellschaft mit erfolgreichen Akademikern, Ärzten, Staatsanwälten, Polizisten, Journalisten, Schriftstellern, Anwälten, kurz gesagt, die in allen Lebensbereichen existieren, mit einer Zahl von fast 40.000 Universitätsstudenten. Tatsächlich sprechen wir von einer türkischen Gesellschaft, in der fast jeder zehnte, der Deutschland als ihre oder seine zweite, manchmal auch erste Heimat betrachtet, eine Immobilie in Deutschland besitzt.

Warum unsichtbare Türken?

Tatsächlich ist „Unsichtbare Türken“ ein Begriff, der in einer Ausstellung von Galip Yılmabaşar und Bärbel Mietzschke im Bundespräsidialamt zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Einwanderung prominenter Türken in Deutschland verwendet wurde. Wenn wir uns daran erinnern, dass das 50. Einwanderungsjahr 2011 war, werden wir feststellen, dass viele Menschen, die im 60. Einwanderungsjahr und auch in den Folgejahren vor allem in Deutschland zu Deutschland beigetragen haben, türkischer Herkunft waren. Wie aus der hier eingangs getroffenen Feststellung hervorgeht, haben sich sowohl die Bezeichnungen (Gastarbeiter, Ausländer, Migrant, Deutsche mit türkischer Abstammung etc.) von Tag zu Tag geändert, als auch die hier lebenden Türkischstämmigen, hinzugekommen als Gastarbeiter, und sie sind besser in Deutschland integriert. Sie haben hier Erfolge erzielt und sind sogar zu einem unverzichtbaren Element der Gesellschaft geworden. Ein weiteres Detail, das in der Definition von „Unsichtbare Türken“ zu sehen ist, besteht darin, dass Beiträge von den hier lebenden Türken leider im gesellschaftlichen und kommerziellen Leben ignoriert werden und diese nur in einigen schlechten Statistiken und unvereinbaren Aktivitäten involviert. Türken in Deutschland schreiben ihre Geschichten weiter. In dieser Geschichte fordern sie nun, dass die Aspekte ihrer verborgenen guten Seiten, welche die Gesellschaft bereichern, ihre Erfolge, ihre Beiträge und vor allem ihre Existenz besser erklärt werden sollten. Wie im Beispiel der jüngsten Aussage von Bundesgesundheitsminister Spahn: „Ausländer aus der Türkei und den Balkanländern haben die Zahl der Corona-Fälle in Deutschland durch ihre Verwandtschaftsbesuche erhöht.“ In Deutschland lebende Türken wollen sich nicht in einer solch bösartigen Diskussion und Politik wiederfinden. Damit wird nicht nur ihr Wunsch nach Harmonie untergraben, sondern auch ihre 60-jährige Existenz jedes Mal abgelehnt. Niemand sollte vergessen, dass die türkische Gesellschaft, die als Arbeiter nach Deutschland gekommen ist, nicht nur die Schwierigkeiten hierzulande überwunden und Erfolg gezeigt hat, sondern auch den Grundstein für eine bessere Infrastruktur für die kommenden Jahre gelegt hat. Das beweist, dass die türkische Community in Deutschland ein Teil der Gesellschaft ist und erfolgreich auf die 70er- und 80er-Jubiläen zusteuert.

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