Archivbild. 26.04.2022, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Großflächen-Wahlkampfplakate aller Parteien säumen den Luegplatz. Am 15. Mai 2022 wählen die Bürger von Nordrhein-Westfalen einen neuen Landtag. (dpa)
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Der klare Gewinner der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen (NRW) sind die Grünen, die ihr Ergebnis gegenüber 2017 verdreifacht haben und bei den Prognosen auf 18,3 Prozent kommen. Das ist ein Plus von knapp zwölf Prozentpunkten. Als Koalitionspartner scheinen die Grünen unverzichtbar. Die Ökopartei hat am Sonntag ein solches Resultat hingelegt, dass es kaum mehr möglich ist, an den Grünen vorbeizuregieren. Die Landtagswahlergebnisse in dem bevölkerungsreichsten Bundesland sind in der Tat ein sehr gutes, beeindruckendes Ergebnis für die Grünen bei einer Landtagswahl. Eine Woche nach dem Urnengang in Schleswig-Holstein haben die Grünen bewiesen, dass sie nach ihrem enttäuschenden Abschneiden 2017 auch zwischen Rhein und Ruhr Erfolg haben können.

„Starke grüne Handschrift“

Die Wahlsiegerin, Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur, reagierte dementsprechend selbstbewusst: „Wir haben einen eigenständigen und selbstbewussten Wahlkampf geführt und offensichtlich sind wir dafür jetzt belohnt worden“, so die Politikerin am Sonntagabend kurz nach 18 Uhr. Neubaur antwortete auf die Frage, welche Projekte bei Sondierungsgesprächen für die Partei nicht verhandelbar seien, dass die Themen Umwelt, Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt nicht zur Disposition stünden. Auf der einen Seite wollte die Landesvorsitzende der Grünen die erneuerbaren Energien ausbauen und zugleich unabhängiger von fossilen Energieträgern werden. Für die künftige Landesregierung prognostizierte Neubaur: „Es wird eine starke grüne Handschrift geben“. Auf eine Wunschkoalition festlegen möchte sich die Spitzenkandidatin der Grünen aber nicht. Sie gibt sich am Wahlabend gelassen. Dazu haben die Grünen momentan allen Grund. Sie befinden sich in einer sehr komfortablen Position, gelten als Königsmacher. Sie können Forderungen stellen, ja gar diktieren. Die Gegenseite muss um die Partei werben und ihr gute Angebote machen.

Grüne Politik ist populär

Mona Neubaur ist seit 2014 nordrhein-westfälische Parteichefin der Grünen. Die 1977 im bayerischen Pöttmes geborene Diplom-Pädagogin trat 1999 der Partei bei und wurde erst 2005 aktives Mitglied. Von 2010 bis 2014 war sie Geschäftsführerin der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung in Nordrhein-Westfalen. Regierungserfahrung bringt sie allerdings noch nicht mit. Die Menschen in NRW, gerade die jüngeren Wähler, trauen ihr dennoch zu, die Zukunftsaufgaben wie Umwelt, Energie und Soziales zu meistern. Unter den 18- bis 29-Jährigen gehört Mona Neubaur zur beliebtesten Landespolitikerin in NRW. Bundesweit rangieren Politiker und Regierungsmitglieder der Grünen ebenfalls ganz weit oben in den Beliebtheitswerten: Wirtschaftsminister Robert Habeck, Außenministerin Annalena Baerbock und Agrarminister Cem Özdemir stehen ganz oben in der Bewertung der Wählerschaft.

Ukraine-Krieg überlagerte alle Themen

Fest steht aber auch: Die amtierende schwarz-gelbe Koalition hat keine Mehrheit mehr in NRW. Die FDP zittert sich aller Voraussicht nach über die Fünf-Prozent-Hürde. Für die SPD ist das Ergebnis nicht nur ernüchternd, sondern auch kaum vorstellbar: Mit 26,7 Prozent unterbieten die Genossen nochmals ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis von 2017. Und das in der sogenannten „Hochburg“, der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ oder dem „SPD-Mutterland“. Für den Herausforderer Thomas Kutschaty, der vor den Wahlen verlautbarte, auch als zweiter Sieger eine Regierung anführen zu wollen, dürfte sein Wunsch mathematisch zwar möglich sein. Aber mit fast zehn Prozent Unterschied zum Wahlgewinner Hendrik Wüst von der CDU wird es für Kutschaty moralisch und praktisch schwierig werden, jetzt noch eine Ampelkoalition anzuführen. Dabei spielten in den letzten Monaten viele Entwicklungen der SPD in die Hände: Die Mallorca-Affäre führte zum Rücktritt der CDU-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. Beim Corona-Management sah die Landesregierung ebenfalls schlecht aus. Unzufriedenheit gab es außerdem mit der Bildungs-, Erziehungs- und Wohnungspolitik, aber auch der Verkehrspolitik der Regierung. Der Krieg in der Ukraine überlagerte jedoch all diese landespolitischen Themen. Die Bevölkerung in NRW interessierte sich mehr für Themen, die gar nicht im bevölkerungsreichsten Bundesland zur Wahl standen. In Zeiten von Kriegen (Ukraine), gesundheitlichen (Corona-Pandemie), ökologischen (Umwelt, Klima und Energie), aber auch ökonomischen Krisen (Inflation und Versorgungssicherheit) sehnen sich die Menschen nach Stabilität und Sicherheit. Große Experimente können in solchen Zeiten nicht erwartet werden. Davon konnte der erst seit Oktober amtierende Ministerpräsident Wüst profitieren.

Hohe Hürden für Schwarz-Grün

Zunächst müssen die Wahlsieger (CDU und Grüne) Sondierungsgespräche miteinander führen. Wobei es für Schwarz-Grün schon jetzt hohe Hürden gibt. Die Grünen hatten schon fünf Tage vor den Landtagswahlen ihr Regierungsprogramm vorgestellt und damit die Marschrichtung für alle anderen Parteien vorgegeben. Mit ihrem offiziellen Programm möchten sich die Grünen ihre Regierungsbeteiligung teuer bezahlen lassen. Eine Hürde könnte der Ausbau der Windenergie sein. Bei der Frage der Mindestabstände von Windkraftanlagen sowie der Flächenverbrauchsziele gibt es kaum überwindbare Differenzen. Auch beim Thema Wahlalter sind Konflikte vorprogrammiert. Ebenso sieht es beim Thema Kohleausstieg oder der Wohnungspolitik aus. So möchten die Grünen die Mietpreisbremse auf mehr NRW-Städte ausweiten und mindestens 30 Prozent der Neubauwohnungen sozial fördern. Das bedeutet, dass sich die CDU für ein mögliches Bündnis mit den Grünen erheblich verbiegen muss bzw. der Ökopartei großes Entgegenkommen zeigen muss. Das alles schließt natürlich eine Ampelkoalition, die es ja bereits im Bund gibt, für NRW nicht aus. Die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen SPD und Grünen, aber auch eines Ampelbündnis sind um einiges höher als die Berührungspunkte zwischen CDU und Grüne. Hier kommt möglicherweise auch der FDP eine bedeutende Rolle zu. Sie wird sowohl für ein mögliches Jamaika-Bündnis als auch für eine Dreierkoalition zwischen SPD, Grüne und FDP gebraucht. Eine große Koalition erscheint nach den Landtagswahlen eher unwahrscheinlich, bleibt aber mathematisch möglich.

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