Multipolarisierung: Wohin steuert die Weltordnung? / Photo: DPA (dpa)
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Der „Münchner Sicherheitsbericht 2025“, herausgegeben von der Münchner Sicherheitskonferenz, liefert aufschlussreiche Einblicke in einige der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Der Begriff „Multipolarisierung“ steht im Mittelpunkt des Berichts und weist auf eine Weltordnung hin, in der sowohl die Machtverhältnisse als auch die ideologischen Unterschiede zunehmend komplexer werden. Der Bericht analysiert Länder wie USA, China, EU, Russland, Indien, Japan, Brasilien und Südafrika und untersucht thematische Schwerpunkte wie die Rolle Trumps, Chinas globale Strategie, die Krisen der EU, Russlands revisionistische Politik sowie globale Wirtschafts- und Sicherheitsrisiken. Auch die Rolle von Türkiye in der internationalen Politik findet Beachtung.

Neue Weltordnung im Entstehen

Die Welt befindet sich wirtschaftlich, politisch und militärisch in einer völlig anderen Situation als nach dem Zweiten Weltkrieg. Immer mehr Akteure spielen eine Rolle in globalen Angelegenheiten, was einen Prozess der Multipolarisierung in Gang setzt. Während einige Staaten versuchen, sich an diese neue multipolare Welt anzupassen, halten andere am Status quo fest und ignorieren bewusst die neuen Realitäten. Bevölkerung, wirtschaftliche Stärke, militärische Kapazitäten, geopolitische Positionen und Produktionskapazitäten haben sich in den letzten Jahren rapide verändert. Diese Veränderung ist nicht nur machtbasiert, sondern auch ideologisch.

Noch vor wenigen Jahren galt die Welt als „globales Dorf“, die Rolle der Nationalstaaten schien zu schwinden, während übernationale Institutionen und Konzerne an Bedeutung gewannen. Doch die Entwicklungen der letzten zehn Jahre zeigen einen deutlichen Trend zurück zu Nationalstaaten und nationalen Werten. Dies stärkt die These, dass die Welt sich in Richtung Multipolarisierung bewegt.

USA und China: Wirtschaftsmächte im Konflikt

Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Wiederwahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Trumps Ansatz, internationale Angelegenheiten wie ein Geschäftsmann aus einer Kosten-Nutzen-Perspektive zu betrachten, schadet der ohnehin schon geschwächten internationalen Rolle und dem Ansehen der USA. Die Verpflichtungen gegenüber der NATO werden in Frage gestellt, die Unterstützung für die Ukraine nimmt ab, und der wirtschaftliche Wettbewerb mit China verschärft sich.

Trumps Betrachtung des Palästina-Konflikts als großes Immobilienprojekt oder seine Forderung nach seltenen Erden im Wert von 500 Milliarden Dollar von der Ukraine für bisherige Unterstützung untergraben den internationalen Ruf der USA weiter. Diese Haltung beschleunigt Europas Suche nach sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit.

Gleichzeitig gewinnt China sowohl wirtschaftlich als auch militärisch an Einfluss. Das Land positioniert sich als globale Macht und Befürworter einer multipolaren Weltordnung. Doch Chinas Aufstieg wird von EU und USA als Bedrohung wahrgenommen, weshalb Trump wirtschaftliche Maßnahmen gegen China ergreift. Wirtschaftliches und militärisches Wachstum erfordert vor allem zwei Dinge: Humankapital und Technologie. In beiden Bereichen hat China gegenüber der EU deutliche Vorteile.

EU im Spannungsfeld von Innen- und Außenpolitik

Die Europäische Union steht vor Herausforderungen sowohl von außen als auch von innen. Extern belasten Russlands Angriff auf die Ukraine und die Wiederwahl Trumps die Union. Intern führen der Aufstieg des Populismus, zunehmender Nationalismus, die Infragestellung der supranationalen Struktur der EU, das Erstarken rechtsextremer Parteien und die wirtschaftliche Stagnation zu einer Destabilisierung.

Trumps Politik zwingt die EU, als unabhängiger Akteur aufzutreten. Doch die Union hat sich so lange nicht mehr als eigenständiger internationaler Akteur behauptet, dass sie diese Rolle fast verlernt hat und ihr die notwendigen Voraussetzungen dafür fehlen. Die treibenden Kräfte der EU, Deutschland und Frankreich, sind mit dem Aufstieg der Rechten beschäftigt. In Deutschland befindet sich die Regierung in einer Krise, und für den 23. Februar sind Neuwahlen angesetzt. Prognosen zufolge wird die rechtsextreme AfD bei diesen Wahlen zulegen. Auch wenn die AfD nicht sofort Teil der Regierung wird, ist es keine ferne Zukunftsvision mehr, dass sie künftig eine Rolle in der Regierung spielen könnte.

Der Aufstieg der Rechten betrifft nicht nur die Innenpolitik. Rechtsextremismus bedeutet, die EU in Frage zu stellen, den Rassismus zu fördern, das gesellschaftliche Gleichgewicht zu stören und Populismus zu stärken. In der Außenpolitik bedeutet dies eine Annäherung an Trump und Putin. Rechtsextreme Parteien, insbesondere in Ungarn und Deutschland, werden sowohl von Trump als auch von Putin unterstützt. Einer von Trumps größten Unterstützern, Elon Musk, spricht offen seine Unterstützung für die AfD aus. Auch die Nähe zwischen Putin und der AfD ist bekannt. Diese Entwicklungen führen dazu, dass Deutschland politisch ins Chaos gestürzt wird.

Türkiye: Aufstrebender Machtfaktor in der multipolaren Welt

Türkiye hebt sich als bedeutender Akteur in der multipolaren Welt hervor. Mit einer jungen Bevölkerung, seiner geopolitischen Lage, stabilen Regierungen, hoher militärischer Kapazität und wachsenden Investitionen in die Rüstungsindustrie hat sich Türkiye zu einem Machtzentrum entwickelt. Die aktive Rolle in der Karabach-Frage zwischen Aserbaidschan und Armenien, die Friedenspolitik in Libyen und Irak, der Sturz von Assad in Syrien sowie die guten Beziehungen zu Putin und Trump und die Vermittlerrolle im Russland-Ukraine-Krieg stärken den diplomatischen Einfluss von Türkiye.

Türkiye tritt als strategischer Akteur auf, sowohl in den wirtschaftlichen Beziehungen zur Europäischen Union als auch in Bezug auf die Handelspolitik gegenüber China. Zudem gehört Türkiye zu den führenden Ländern der Welt in Bezug auf Verteidigungsausgaben und festigt seine geopolitische Rolle. Für die EU ist Türkiye aufgrund seiner geografischen Lage und der historischen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen ein wichtiger Partner. Dennoch verfolgt die EU gegenüber Türkiye, insbesondere in der Frage der EU-Mitgliedschaft, eher eine ideologische als eine pragmatische Haltung.

Welt im Wandel: Chancen und Herausforderungen der Multipolarisierung

Die Multipolarisierung bringt neue Herausforderungen, aber auch Chancen für die internationale Gemeinschaft. Während traditionelle Mächte wie USA und EU ihre Positionen neu definieren müssen, steigen Akteure wie China, Russland und Türkiye zu bedeutenden globalen Einflussfaktoren auf. Doch mit dieser Verschiebung der Machtverhältnisse wächst auch das Risiko geopolitischer Spannungen und Konflikte.

Die entscheidende Frage bleibt: Wird die Weltordnung durch die Vielfalt der Machtzentren stabiler und gerechter, oder führen konkurrierende Interessen und ideologische Unterschiede zu neuen globalen Unsicherheiten? Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die internationale Gemeinschaft in der Lage ist, diese komplexen Dynamiken zu managen und eine kooperative, stabile Zukunft zu gestalten.

In diesem dynamischen Umfeld nimmt Türkiye eine Schlüsselrolle ein. Mit seiner Fähigkeit, zwischen verschiedenen Machtblöcken zu vermitteln und sowohl wirtschaftlich als auch sicherheitspolitisch Brücken zu schlagen, könnte Türkiye zum Katalysator für Stabilität in einer zunehmend fragmentierten Weltordnung werden. Sein strategisches Handeln und seine diplomatische Flexibilität werden entscheidend dafür sein, wie sich die globale Multipolarität in den kommenden Jahren entwickelt und ob sie zu einer friedlicheren und gerechteren Welt beitragen kann.

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