Gazastreifen, 28.10.2020: Palästinensische Künstler schreiben an die Wand des Flüchtlingscamps Nusseirat auf Arabisch „Keiner außer dem Propheten“ neben dem Bild des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.  (AFP)
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Eine größere Geschichte der Islampolitik

Um die aktuelle Politik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegenüber Muslimen in Frankreich zu verstehen, sollte nicht ein zu kurzsichtiger Blick auf Macrons Präsidentschaft alleine geworfen werden. Viele Kommentatoren und Analytiker meinen in diesen Tagen, Macrons jüngste Antiseparatismus-Gesetzesvorlage und seine Reaktion auf die Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty mit Blick auf zwei Erklärungsfaktoren verstehen zu können.

Einerseits wird zur Erklärung die nicht allzu gute Performance des Präsidenten herangezogen. Schließlich ist Macrons Legislaturperiode von sozialen Unruhen und wirtschaftlicher Instabilität geprägt. Das geht laut den Umfragen mit entsprechend niedrigen Zustimmungsraten zu dessen Politik einher. Als zweite Erklärung wird oftmals die bevorstehende Präsidentschaftswahl 2022 genannt. Da er mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder gegen die rechtsextreme Parteiführerin Marine Le Pen (Rassemblements National, früher Front National) antreten wird, fische er nun im rechten Lager und versuche mit identitätspolitischen Themen gegen eine vermeintliche Islamisierung der Gesellschaft aufzutrumpfen. Diese zwei nicht unbedeutenden Erklärungsmodelle sind sicherlich nicht schwach. Aber sie lassen dabei ganz wichtige andere Faktoren außen vor.

Etwa ein halbes Jahr nach seiner Amtseinführung sprach Macron über zukünftige Pläne zur „Reorganisation des Islams“. Konkret bezog er sich auf das Verhältnis von Islam und Staat, das verbessert werden solle. Ähnlich wie andere europäische Nationalstaaten sprach er über die Schaffung eines „französischen Islams“. Während er diese unscharfen Worte benutzte, erwähnte er auch zwei spezifische Themen: Das eine war die Finanzierung des Islams und das andere die Ausbildung von Imamen in Frankreich. Seiner Meinung nach sollten die französischen Muslime ihre eigenen Imame haben. Um dies zu erreichen, sollten Muslime ihr religiöses Oberhaupt nicht aus dem Ausland finanzieren. Es ist eine Gesetzesidee, die an das österreichische Islamgesetz von 2015 erinnert, das die ausländische Finanzierung von religiösem Personal ausschließlich und nur für Muslime verbot.

Macron in der Bredouille

Nach Jahren des Ausnahmezustands, auf welchen unter Macron 2017 ein neues Antiterrorgesetz folgte, das der Polizei größere Befugnisse für Durchsuchungen, elektronische Abhörungen und auch zur Schließung von Moscheen (bei Verdacht auf Hasspredigten) einräumte, konzentriert sich Macron nun inmitten der zweiten Covid-19-Welle wieder auf Muslime.

In den letzten Monaten bereitete Macron die Grundlage für seine Politik. Er sprach häufig davon, wie ein französischer Islam auszusehen hat. Ein aufgeklärter französischer Islam sei wünschenswert, der den Islam aus seiner „Krise“, wie er es nannte, herausziehen würde. Macron argumentierte dabei, er wolle „den Einfluss der arabischen Länder verringern“, was seiner Ansicht nach „die Rückkehr des französischen Islam in die Moderne verhindert“. Und der französische Innenminister sprach davon, „Imame der Französischen Republik“ anstelle von „Imamen ausländischer Länder“ zu schaffen.

Hier zeigt sich deutlich, wie der Begriff des französischen Laizismus verwendet wird, um Religion zu definieren. Es geht nicht darum, den Staat von religiösen Institutionen zu trennen, wie es in den Vereinigten Staaten von Amerika der Fall ist. Vielmehr geht es darum, Macht über Religion auszuüben und damit Religion zu kontrollieren und im Sinne von Staatsinteressen zu prägen. Man kann also nicht nur von einem Bemühen um mehr staatliche Kontrolle sprechen, sondern auch von einem Bemühen der staatlichen Behörden, religiöses Personal zu kooptieren. Diese scheinbar widersprüchliche Manifestation des französischen Säkularismus zeigt schließlich eine problematische Dimension des französischen Staates, in dem sich sowohl der oberste Staatschef als auch der Vertreter des Sicherheitsapparates in Fragen der Religion einmischen. Eine weitere zugrundeliegende Botschaft wird ebenfalls deutlich: Die Muslime stellen eine Bedrohung für unsere Gesellschaft dar und müssen gezähmt werden. Der französische Staat setzt sein koloniales Prinzip der sogenannten zivilisatorischen Mission wieder ein.

Während Emmanuel Macron Anfang Oktober dieses Jahres zunächst den sogenannten „Antiseparatismus-Gesetzentwurf“ vorgelegt hatte, passte er seinen Diskurs leicht an und sprach von einer „Stärkung des Säkularismus und der republikanischen Prinzipien“. Der Öffentlichkeit wurde gesagt, richte sich dieser Gesetzentwurf gegen den sogenannten politischen Islam und den angeblichen Versuch französischer Muslime, sich von der Gesellschaft abzuspalten. Tatsächlich aber bringt der Gesetzesentwurf einige Verschärfungen des gesellschaftlichen Lebens mit sich – und das wieder ausschließlich für Muslime. So ist etwa die Einführung von Kontrollen von Vereinigungen sowie von Personen, die für den öffentlichen Dienst arbeiten, vorgesehen – unabhängig davon, ob sie Staatsangestellte sind oder nicht. Sie sollten die „republikanischen Werte“ vertreten. Dass diese in einem laizistischen Staat mit einer langen Tradition antimuslimischer Gesetzgebungen ausschließend wirken wird, daran kann niemand zweifeln.

Kampf gegen Zivilgesellschaft

Was die Welt derzeit nach der Ermordung des Geschichtslehrers Samuel Paty durch einen einzelnen Extremisten erlebt, ist nicht nur die Sündenbock-Hetze gegen Muslime in Frankreich im Allgemeinen zu erklären, sondern auch die frühe Manifestation des Antiseparatismus-Gesetzes von Macron. Das harte Vorgehen gegen mehr als 50 muslimische Organisationen, darunter antirassistische Organisationen wie das „Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich“ (CCIF), ist das beste Beispiel dafür, was der Staat mit diesem Gesetz vorhat. Während die Menschenrechtsaktivistengruppe CCIF Daten sammelt, um das Bewusstsein für antimuslimischen Rassismus zu schärfen und den Opfern antimuslimischer Diskriminierung zu helfen, offenbart die Ausgrenzung dieser Organisation eine sehr beunruhigende Dimension der Politik von Macron: Die Unsichtbarmachung muslimischen Lebens im öffentlichen Raum. Muslimische Sichtbarkeit wird als Problem gesehen, ihre Verteidiger werden Opfer des Staates und die muslimische Zivilgesellschaft lebt in Angst.

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