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Es sind zwei vollkommen unterschiedliche Ansätze: Auf der einen Seite beschließt man, sich gänzlich von der Kohle als Energiequelle zu verabschieden und stellt hierfür das Jahr 2038, dann sogar 2030 in den (politischen) Raum. Auf der anderen Seite kommt die große Kehrtwende – Kohle soll wieder energiepolitisch salonfähig werden. Grund: die Kriegssituation in der Ukraine und die Tatsache, dass Russland Gaslieferungen drosselt und eines Tages eventuell komplett einstellen könnte.

Und besonders prekär: In vielen Regierungen und so auch in Deutschland und Österreich sind Vertreter der Grünen in Verantwortung, vor allem im Bereich Umwelt- und Energiepolitik oder im Ressort Wirtschaft – und es ergibt eigentlich auch Sinn, wenn beide Themen miteinander verknüpft sind. Robert Habeck, deutscher Minister für Wirtschaft und Klimawandel, ist hierfür das perfekte Beispiel. Wir kommen auf diesen Punkt gleich noch einmal zurück.

Noch vor dem Ukraine-Konflikt bezog Deutschland 55 Prozent seines Gas aus Russland, mittlerweile auf 35 Prozent geschrumpft. Nach Angaben des deutschen Ministeriums soll dies bis Sommer 2024 sogar auf gerade einmal 10 Prozent gesenkt werden.

Um den Gasverbrauch besser einordnen zu können: Laut Eurostat liegt der Prozentwert für Gas als Energiequelle in der Europäischen Union bei 23,7 Prozent, hinter Erdöl, welches mit 34,5 Prozent angeführt wird. In Deutschland und laut Umweltbundesamt in Berlin lag der Anteil der verschiedenen Formen von Gas beim Haushaltskonsum sowie in der Industrie bei etwas über 37 Prozent, wir sprechen hier also von höheren Werten als im EU-Durchschnitt. 2018 lag der Wert für Österreich immerhin bei 21,8 Prozent.

Eines steht somit fest: Erdgas war und ist enorm wichtig und kann nicht einfach von heute auf morgen mit anderen Energiequellen substituiert werden.

Zwei Fragen drängen sich Beobachtern auf. Erstens: Hätte man dies nicht vorhersehen müssen, d.h. Russlands Antwort auf die europäische Ukrainepolitik? Zweitens: Gibt es wirklich keinerlei Alternativen zu einer Rückkehr zur unbeliebten Kohle, und wie stehen die Grünen eigentlich dazu?

Strategische Fehleinschätzung 2.0

Lassen wir uns den ersten Punkt analysieren. Zugegeben, dass Vladimir Putin letztendlich wirklich in die Ukraine einmarschiert, war ein Szenario, das lange als absurd eingestuft wurde. Einen neuerlichen Krieg in Europa konnte und wollte man sich einfach nicht vorstellen. Es entstand eine Situation, für die es keine vorgefertigte Reaktion gab; reagieren konnte man erst, als es schon zu spät war. Aber wie hätte man die Invasion auch verhindern können?

Doch als die Ukraine dann angegriffen wurde, hätte Europa schneller handeln können und müssen. Wochenlang darüber zu diskutieren ob neben Geldleistungen auch Waffenlieferungen auf der Tagesordnung stehen sollen, half nur einer Seite: der von Russland. Putin ahnte wohl, dass Europa nur zögerlich mit einer Stimme sprechen würde. Putin wusste auch nur zu genau, dass vor allem Deutschland aufgrund seiner eigenen Geschichte Kriegshandlungen zwar verurteilt, aber nicht selber in solche eingreifen würde.

Zynisch formuliert könnte man festhalten, dass Vladimir Putin die Realität in Europa besser eingeschätzt hat als Europa die Realität in Moskau.

Grüne Politik im (Kohle-)Abseits

Ostern 2020 war es endlich soweit: Das letzte Kohlekraftwerk Österreichs ging vom Netz. Jetzt soll man wieder zurückrudern, und es wird überlegt, so bald als möglich wieder mit Kohle ans Netz zu gehen.

Der Betreiber hat durchaus ein klimafreundliches Profil in der breiten Öffentlichkeit; besser als der renommierte Standard kann man es also nicht formulieren – wie ist der Kursschwenk mit dem grünen Image des Verbunds vereinbar. Die knappe Antwort: an und für sich gar nicht.

Es ergeben sich vor allem zwei Interpretationsmöglichkeiten mit Bezug auf den drastischen Kurswechsel der grünen Ideologie in Deutschland und Österreich. Erstens: Man hat wirklich keine andere Wahl. Zweitens: Die eigene Energiepolitik war kurzsichtig und beinhaltete eine fast komplette Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen.

Der erste Punkt lässt sich schnell abhaken. Wir behandelten diese Fragestellung bereits im vorherigen Abschnitt.

Noch gravierender aber ist der zweite Punkt – der prompte Kurswechsel seitens der Grünen. Kann es wirklich sein, dass nun die Rückkehr zur Kohle propagiert wird, anstatt Alternativen zu diskutieren? Als da wären Energiekonsumeinsparungen, finanzielle Anreize für Unternehmen, genau dieses umzusetzen, Aufrufe, sparsamer mit Energie umzugehen auch im privaten Bereich? Und wenn dies nicht funktionieren sollte – finanzielle Unterstützung auch für Privathaushalte bei steigenden Energiepreisen? Österreich hat dies teilweise umgesetzt, aber viel zu spät: 150 Euro werden pro Haushalt bei der Jahresendabrechnung der Energielieferanten vergütet, aber erst nächstes Frühjahr. Bis dahin zahlen Haushalte monatlich die höheren Kosten, und Hilfe wäre jetzt, nicht in 12 Monaten nötig. Wo bleibt hier „der grüne Aufschrei“?

Und wohl am wichtigsten: Wie kann man mittelfristig die Abhängigkeit von hauptsächlich einem Lieferanten abbauen und diversifizieren? Und was ist mit dem Thema alternative Energieformen, mit dem Thema Wind- und Sonnenenergie?

Viele offene Fragen in einer Zeit des Wandels. Wir warten gespannt auf (grüne) Antworten in Deutschland, Österreich und anderswo.

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