Die Europäische Union steht erneut an einem sicherheitspolitischen Wendepunkt. Während sich die transatlantischen Beziehungen durch Donald Trumps unvorhersehbare Politik weiter verschlechtern, sieht sich Europa zunehmend isoliert. Die jüngsten Entwicklungen im russisch-ukrainischen Krieg zeigen, dass die EU in geopolitischen Krisen weitgehend handlungsunfähig bleibt. In dieser Situation wird die strategische Bedeutung von Türkiye für Europa immer offensichtlicher.
Gleichzeitig hat sich die diplomatische Dynamik rund um den Ukraine-Krieg in den letzten Tagen dramatisch verändert. In einer entscheidenden Phase des Konflikts traf sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Ankara mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, um die diplomatischen Möglichkeiten für eine Beendigung des Krieges zu diskutieren. Währenddessen fanden in Riad Verhandlungen zwischen den USA und Russland statt, bei denen die Ukraine jedoch nicht vertreten war. Selenskyj bezeichnete dies als „Überraschung“ und kritisierte, dass sein Land von den Friedensverhandlungen ausgeschlossen wurde. „Wo sind wir an diesem Verhandlungstisch? Dieser Krieg findet in der Ukraine statt. Putin tötet Ukrainer, nicht Amerikaner.“ Diese Entwicklung wirft die grundlegende Frage auf: Wie kann eine Friedenslösung gefunden werden, wenn der eigentliche Kriegsbeteiligte – die Ukraine – nicht in die Verhandlungen einbezogen wird?
Andererseits war auch die EU an diesem Verhandlungstisch nicht vertreten. In den vergangenen Tagen hatte Ursula von der Leyen auf X eine bemerkenswerte Erklärung abgegeben: „Finanziell und militärisch hat Europa mehr beigetragen als jeder andere. Und wir werden uns weiter engagieren. Wir wollen mit den USA zusammenarbeiten, um einen gerechten und dauerhaften Frieden für die Ukraine zu erreichen. Jetzt ist ein entscheidender Moment.“
Die Abhängigkeit der EU von den USA: Ein historischer Fehler
Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die EU darauf verlassen, dass die Vereinigten Staaten als Schutzmacht agieren und die europäische Sicherheitsarchitektur garantieren. Diese Strategie führte dazu, dass die europäischen Staaten ihre militärischen Kapazitäten vernachlässigten und sich stattdessen auf diplomatische Mechanismen und wirtschaftliche Integration konzentrierten. Mit der Präsidentschaft Donald Trumps wurde jedoch deutlich, dass diese Annahme eine gefährliche Illusion war. Seine wiederholten Drohungen, die NATO infrage zu stellen, und seine Forderung, die europäischen Mitgliedstaaten sollten mehr für ihre eigene Verteidigung aufbringen, machten klar, dass sich Europa nicht länger auf die USA verlassen kann.
Trumps Ansatz zur Ukraine-Krise unterstreicht diese Problematik. Seine transaktionale Sichtweise von Allianzen und seine Forderung nach wirtschaftlichen Vorteilen für die USA – beispielsweise die exklusive Kontrolle über ukrainische Rohstoffminen im Wert von 500 Milliarden Dollar – zeigen, dass seine Politik primär von Eigeninteressen getrieben ist. Trump könnte dazu führen, dass die militärische und finanzielle Unterstützung der USA für die Ukraine drastisch reduziert wird, was die gesamte Sicherheitsarchitektur Europas weiter destabilisieren würde.
Die EU als Zuschauer
Die jüngsten diplomatischen Entwicklungen rund um den Ukraine-Krieg verdeutlichen die Schwäche der EU in geopolitischen Angelegenheiten. Während sich die USA und Russland zu Verhandlungen in Riad trafen, wurde die Ukraine, der eigentliche Kriegsschauplatz, von den Gesprächen ausgeschlossen. Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte dies zu Recht und stellte die Frage: „Wie kann es Verhandlungen über einen Krieg geben, der auf ukrainischem Boden stattfindet, ohne die Ukraine?“
Die Reaktion der EU auf diese Situation war schwach und inkohärent. Anstatt eine eigenständige Initiative zu ergreifen und diplomatischen Druck auszuüben, verharrte Brüssel in Passivität. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die EU durch interne Streitigkeiten gelähmt wird und in Krisen nur reagiert, anstatt aktiv zu gestalten. Die jahrelange Vernachlässigung einer unabhängigen Verteidigungs- und Außenpolitik rächt sich nun.
Türkiye als geopolitischer Akteur
Während die EU in ihrer Handlungsunfähigkeit gefangen bleibt, hat sich Türkiye als ein entscheidender Akteur in der internationalen Diplomatie positioniert. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat bewiesen, dass er sowohl mit Moskau als auch mit Kiew kommunizieren kann, was ihn zu einem unverzichtbaren Vermittler im Ukraine-Konflikt macht. Die Schwarzmeer-Getreideinitiative, die durch Ankaras Vermittlung zustande kam, ist ein klares Beispiel dafür, wie Türkiye als Brückenbauer fungieren kann.
Darüber hinaus hat Türkiye eine unabhängige Sicherheitsstrategie verfolgt, die es dem Land ermöglicht, in verschiedenen geopolitischen Konflikten Einfluss zu nehmen. Die militärischen Fähigkeiten von Türkiye, insbesondere in der Drohnentechnologie, sowie die diplomatische Flexibilität machen es zu einem unverzichtbaren Partner für Europa. Doch anstatt dieser strategischen Partnerschaft zu vertiefen, bleibt das Verhältnis zwischen der EU und Türkiye von politischen Differenzen geprägt. Die europäische Politik gegenüber Ankara ist oft inkonsequent und kurzsichtig, was die Möglichkeit einer engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit behindert.
Die Notwendigkeit einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur
Die aktuelle geopolitische Lage macht deutlich, dass die EU dringend eine Neuausrichtung ihrer Sicherheitsstrategie benötigt. Ohne eine eigenständige Verteidigungsfähigkeit bleibt Europa ein Spielball fremder Mächte – sei es durch die unberechenbare Politik eines Donald Trump oder die aggressive Expansionsstrategie eines Wladimir Putin.
Die EU muss daher mehrere Maßnahmen ergreifen
Aufbau einer eigenständigen Verteidigungsfähigkeit: Die europäischen Staaten müssen ihre militärischen Kapazitäten stärken, um sich von der Abhängigkeit von den USA zu lösen. Dies erfordert eine gemeinsame Verteidigungspolitik sowie höhere Investitionen in Rüstung und strategische Technologien.
Unabhängige diplomatische Initiativen: Die EU darf nicht länger nur Beobachterin globaler Krisen sein, sondern muss eigene diplomatische Lösungsansätze entwickeln. Dabei sollte sie insbesondere eng mit Türkiye zusammenarbeiten, um Konflikte wie den Ukraine-Krieg aktiv mitzugestalten.
Vertiefung der strategischen Partnerschaft mit Türkiye: Türkiye hat sich als stabilisierender Faktor in geopolitischen Krisen erwiesen. Eine engere Kooperation mit Ankara könnte der EU helfen, ihre sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Dies erfordert jedoch eine pragmatischere Haltung gegenüber Türkiye und eine Abkehr von politischer Kurzsichtigkeit.
Reduktion der internen politischen Spaltungen: Der Aufstieg populistischer Bewegungen in Europa hat die Fähigkeit der EU, eine kohärente Außenpolitik zu betreiben, erheblich geschwächt. Die Mitgliedstaaten müssen gemeinsame sicherheitspolitische Interessen über ideologische Differenzen stellen.
Europa muss handeln, bevor es zu spät ist
Die aktuelle geopolitische Situation zeigt, dass die EU vor einer entscheidenden Weichenstellung steht. Die Illusion, die USA würden auf Dauer als Schutzmacht fungieren, hat sich als Trugschluss erwiesen. Europa muss jetzt handeln, um seine sicherheitspolitische Souveränität zu sichern.
Türkiye hat in den letzten Jahren gezeigt, wie ein Land durch strategische Diplomatie und militärische Stärke Einfluss ausüben kann. Die EU sollte aus diesem Beispiel lernen und ihre Außen- und Sicherheitspolitik grundlegend überdenken. Eine stärkere Zusammenarbeit mit Türkiye könnte dazu beitragen, Europas geopolitische Handlungsfähigkeit zu verbessern und die Abhängigkeit von den USA zu reduzieren.
Die Zeit des Zauderns ist vorbei. Die EU muss jetzt eine eigenständige Sicherheitsstrategie entwickeln und aktiv in die Gestaltung der internationalen Ordnung eingreifen. Andernfalls droht sie in der neuen geopolitischen Realität zum bloßen Zuschauer zu werden.