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Es ist wichtig, dass die Menschen, die in der Nacht des Umsturzversuchs ihr Leben verloren haben, nicht in Vergessenheit geraten. Nicht die Täter, sondern sie sollen im Vordergrund stehen. So ist es die Aufgabe aller, die Erinnerungen an die eigentlichen Helden des 15. Juli 2016 für immer wach zu halten. Diese Geste ist als ein Mindestmaß an Solidarität und Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen zu verstehen. Die 251 Gefallenen sind nicht bloß Zahlen und Statistiken. Jeder Name hat auch seine eigene Geschichte, sein individuelles Schicksal zu erzählen. Jedes Opfer hatte eine Familie, die Gefallenen des 15. Juli hatten Wünsche im Leben, Zukunftsträume und Ideale. Es handelte sich keineswegs um eine gesichtslose Gruppe. Ebendeshalb muss es das Ziel der gesamten türkischen Gesellschaft im In- und Ausland sein, diese Träume für immer am Leben zu erhalten. Es heißt, Märtyrer leben dann weiter, wenn das Gedenken an sie immer bestehen bleibt. Und es heißt weiter: Sie sterben erst, wenn sie vergessen werden. Der Tod dieser Menschen hat eine vielfältige, vor allem politische und öffentliche Bedeutung. Medien, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft stehen deshalb in der Pflicht, dass die Erinnerungskultur als Mahnmal für immer fortbesteht. Chroniken, Collagen, Ausstellungen und Informationen der von der Fethullahistischen Terrororganisation (FETÖ) ermordeten Märtyrer halten das Gedenken wach. Deshalb werden im Folgenden einige der gefallenen Helden des 15. Juli stellvertretend für alle Märtyrer vorgestellt. Sie ließen ihr Leben, damit es den Menschen in der Türkei heute besser geht. In würdevoller Verneigung vor den Opfern des 15. Juli 2016:

Ömer Halisdemir (43): Der Name Ömer Halisdemir wird heute mit dem Widerstand des 15. Juli 2016 gleichgesetzt. Kein anderer steht so sehr für die Vereitelung des Putschversuchs wie Ömer Halisdemir, der sein Leben für die Freiheit und Unabhängigkeit der Nation opferte. Der Unteroffizier und Feldwebel war verheiratet und Vater von zwei Kindern. Zuvor hatte der Soldat der Spezialeinheiten des türkischen Militärs an zahlreichen Einsätzen im In- sowie Ausland teilgenommen. In der Nacht vom 15. Juli zum 16. Juli erteilte der Generalleutnant und Kommandant der Spezialeinheiten, Zekai Aksakallı, Halisdemir in verschiedenen Telefonaten den Befehl, den Putschistengeneral Semih Terzi, der zugleich stellvertretender Kommandeur der Spezialeinheiten war, zu töten. Halisdemir erschoss den Umstürzler, als dieser mit seinen Leibwächtern im Kommandozentrum der Spezialeinheiten eintraf. Sodann eröffneten die Leibwächter das Feuer auf den 43-jährigen Helden, der von 30 Kugeln getroffen zu Boden sackte und für immer die Augen schloss. Halisdemir gab dem Putschversuch mit seiner Tat die entscheidende Wende und spielte mit seinem persönlichen Einsatz, den er mit seinem Leben bezahlte, eine Hauptrolle bei der Verhinderung des Coupversuchs. Denn der führende Kommandant der Putschisten war ausgeschaltet, sodass die Meuterer als dann nicht nur kopf-, sondern auch planlos agierten. Die Beerdigung von Ömer Halisdemir fand in der Stadt Çukurkuyu in der Nähe der zentralanatolischen Stadt Niğde statt. Heute sind zahlreiche Orte, Straßen und Einrichtungen in der Türkei nach ihm benannt.

Cennet Yiğit (24): Cennet Yiğit war Beamtin in der Spezialeinheit der türkischen Polizei in Gölbaşı. Die Verlobung der jungen Frau stand schon fest. Sie sollte sich im August, also einen Monat nach ihrem Todestag, verloben. Sogar ihre Verlobungsringe waren schon besorgt. Die 24-Jährige war Absolventin der Fakultät für Pädagogik und Malerei der Universität Gazi in Ankara. Als Cennet Yiğit keine Anstellung als Lehrerin fand, beschloss sie, Polizistin zu werden. Sie arbeitete als stellvertretende Kommissarin im Dezernat für Sondereinsätze der türkischen Polizei in Ankara-Gölbaşı. Cennet Yiğit fiel, als die heimtückischen Putschisten den Stützpunkt, in dem sie stationiert war, bombardierten. Die stellvertretende Kommissarin wurde in ihrer Heimatstadt Bünyan in der zentralanatolischen Handelsstadt Kayseri beigesetzt.

Yusuf Çelik (65): Yusuf Çelik lebte in Deutschland. Der Rentner, der in der Nacht des Putschversuchs seinen Sommerurlaub in der Türkei verbrachte, schloss sich ohne Zögern dem Aufruf des Präsidenten an, an den Protestmärschen gegen die Putschisten teilzunehmen. Dabei ließ Çelik sein Mobiltelefon und seine Brieftasche zuhause. Die letzten Videoaufnahmen des pensionierten Arbeiters zeigen den Mann auf einem von den Putschisten gekaperten Panzerfahrzeug, als der 65-Jährige gerade versucht, den Fahrer aus der Fahrerkabine zu zerren. In diesem Augenblick lösten sich an der Kreuzung vor dem türkischen Generalstab Schüsse der mit der Fethullaistischen Terrororganisation (FETÖ) paktierenden Soldaten. Yusuf Çelik wurde durch die Schüsse verletzt und in ein Krankenhaus eingeliefert, wo er dem Krankenhauspersonal nur noch seinen Namen und seine Heimatstadt nennen konnte. Danach verstarb der Rentner. Seine Beisetzung fand im Kreise der Familie in seinem Heimatort Aksaray statt.

Halil İbrahim Yıldırım (15): Er war das jüngste Opfer, das bei dem blutigen Staatsstreichversuch ums Leben kam. Halil İbrahim Yıldırım kam als Sohn einer Familie aus der südosttürkischen Stadt Urfa in Istanbul zur Welt. Er hatte vier Geschwister. Yıldırım musste die Schule aufgrund finanzieller Nöte seiner Familie abbrechen und begann daher in einem Autohaus zu arbeiten. In der Nacht des Putschversuchs war er bei seinen Freunden in der Nachbarschaft eingeladen. Als der 15-Jährige nach Haus kam, hatten die Eltern den Fernseher laufen, aus dem er von dem Putschversuch erfuhr. Vater und Sohn beschlossen, vor die Direktion der Nationalgarde nach Bayrampaşa zu gehen. Das jüngste Opfer des Staatsstreichversuchs wurde dort vor den Augen seines Vaters von den Putschisten ermordet.

Erol (54) und Abdullah Tayyip Olçak (16): Erol Olçak verbat es seinem Sohn, mit ihm auf die heutige Märtyrerbrücke in Istanbul mitzukommen. Doch der 16-jährige Gymnasiast dachte nicht daran, zu Hause im Istanbuler Stadtteil Altunizade zu bleiben. Er lief seinem Vater hinterher, um gegen den Putschversuch von Teilen der Armee zu protestieren. Der bekannte PR-Berater Olçak hatte mehrere Werbekampagnen für Präsident Erdoğan und für die AK-Partei geleitet. Unter anderem war er Chefplaner des Präsidentschaftswahlkampfs im Jahr 2014 gewesen. Vater und Sohn starben im Kugelhagel, der von den Putschisten auf der Bosporus-Brücke ausging. Heute liegen sie Seite an Seite auf dem historischen Karacaahmet-Friedhof im Istanbuler Stadtbezirk Üsküdar im asiatischen Teil der Stadt.

Türkan Türkmen Tekin (52): Die 52-jährige Tekin, die aus Malatya stammte und in Istanbul lebte, war Mutter von drei Kindern. Die Hausfrau wurde bei dem Versuch, zum Flughafen Atatürk zu gelangen, den die Junta besetzen wollte, im Stadtteil Esenler von einem Panzer der Putschisten angefahren und schwer verletzt. Sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert, konnte aber nicht mehr gerettet werden.

Burak Cantürk (20): Burak Cantürk war eines der zahlreichen Opfer, die noch Studenten waren. Der 20-jährige BWL-Student befand sich in seinem zweiten Studienjahr und war an der Universität Balıkesir eingeschrieben. In den Ferien jobbte er öfter als Kellner in einem Restaurant in Çengelköy, um sich etwas dazuzuverdienen. In der Nacht des Putschversuchs wurde er vom Feuer der Putschisten in den Rücken getroffen, als er gerade dabei war, mit seinem Bruder und seinem Vater ins Auto zu steigen. Im Krankenhaus erlag er in den Armen seines Vaters seinen schweren Schussverletzungen.

Serhat Önder (41): Ein weiteres Opfer, der in der Nacht des Putschversuchs ums Leben kam, war der 1975 in Deutschland geborene 41-jährige Serhat Önder. Önder war Leiter des Roten Halbmonds in Ankara-Küçükesat. Der verheiratete Mann, der aus Nürnberg stammte, war Vater eines Sohnes sowie einer Tochter. In der Nacht des Staatsstreichversuchs schloss er sich mit Frau und Sohn dem Widerstand gegen die Putschisten an und fuhr mit dem Wagen seines Vaters vor die Zentrale des Generalstabs. Die Putschisten schossen mit erbeuteten Kampfhubschraubern wahllos auf die versammelte Menge. Die letzten Worte des gebürtigen Nürnbergers waren an seinen Sohn gerichtet: „Mein Sohn, hab keine Angst!”

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