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Die Debatten darüber, dass wir in einer postfaktischen Welt leben, in welcher der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Realität verblasst, gehören zu den wichtigsten Tagesordnungspunkten der jüngsten Zeit. Dabei geht es vor allem darum, aufzuzeigen, wie im Internet produzierte Inhalte zur Realität erklärt werden und an die Stelle der Wahrheit zunehmend Wahrnehmungen treten. Insbesondere sticht ins Auge, dass die Feindschaft gegen die Werte des Islam und der muslimischen Identität in den letzten Jahren über Online-Plattformen Verbreitung fand und Diskurse mit Wahrnehmungen von Muslimen der Realität den Rang abgelaufen haben.

Rechtsextreme Gruppen organisieren sich im Internet

Die Verdichtung von negativen Informationen zum Islam und zu Muslimen findet gewissermaßen auf Online-Plattformen statt. Vor allem neue Medien mit ihrem interaktiven Ansatz minimieren Filtermechanismen, geben quasi jedem die Möglichkeit, Inhalte zu produzieren, und bieten damit Raum für anti-islamische Ideen und Aktionen. Diese auch durch die laxen Kontrollen verursachte Situation verstärkt nicht nur die Verbreitung von anti-muslimischem Rassismus im Internet, sondern öffnet diesem Online-Denken auch den Weg in das gesellschaftspolitische Geschehen. Tatsächlich steigern rechtsextreme Gruppen und Neonazi-Organisationen wie The British Hand, The National Partisan Movement oder PEGIDA Tag für Tag in Europa ihren Einfluss im Netz und machen ihre anti-islamischen Diskurse über diese Plattformen öffentlich.

Islamophobie im Netz laut dem „Europäischen Islamophobie-Bericht“

Der jüngst unter reger Beteiligung der breiten Öffentlichkeit vorgestellte „Europäische Islamophobie-Bericht 2021“ ist sehr bedeutend, da er die unterschiedlichsten Aspekte von islamfeindlichen Handlungen gegenüber Muslimen in Europa aufzeigt. Dieser detaillierte und eindrucksvolle Bericht, der 31 Länder umfasst und von einer 37 Personen großen Gruppe verfasst wurde, darunter Akteure aus der Zivilgesellschaft sowie Wissenschaftler und Experten, ist von großer Bedeutung für die umfassende Sichtbarmachung islamfeindlicher Handlungen im Onlinebereich. Eines der wichtigsten Ergebnisse des Berichts ist die Tatsache, dass digitale Medien, die seit Anfang der 2000er Jahre zu einem wichtigen Teil unseres täglichen Lebens geworden sind, den islamfeindlichen Diskurs mit beängstigendem Erfolg verstärkt haben. Diese Schlussfolgerung wird auch durch die Tatsache gestützt, dass die meisten den Aufsichtsstellen gemeldeten antimuslimischen Vorfälle, auch bedingt durch den Ausbruch der COVID-19-Pandemie, im Jahr 2020 aus dem Onlinebereich stammten.

Islamophobie im Netz nimmt während der Pandemie zu

Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie, die seit 2020 die Welt in Atem hält, ist festzustellen, dass im Westen und insbesondere auf Online-Plattformen islamfeindliche Handlungen zugenommen haben. Beispielsweise sei hier an eine Fake Nachricht erinnert, die auf einem rechtsextremen Twitter-Account mit dem Hashtag „Demütigung Frankreichs und der Franzosen in Lyon“ dem Unbehagen Ausdruck verlieh, dass Moscheen angeblich mit der Hilfe von Militärpersonal geöffnet blieben, während Kirchen geschlossen werden mussten. In einer anderen ironischen Anspielung gegen die französische Regierung zitierte Kenneth Roth, Generaldirektor von Human Rights Watch, in einem seiner Tweets einen Artikel der Washington Post mit dem Titel: „Kann Islamophobie transparenter sein? Die französische Regierung ist zwar für die Maskenpflicht, verbietet aber die Burka“ und weist damit auf die Islamophobie hin, die sich besonders während der Pandemie intensiviert und auch institutionalisiert hat.

Ein weiterer Staat, der im Bericht als Beispiel für eine sich vor allem online ausbreitende Islamophobie genannt wird, ist Irland. Im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen 2020 in Irland wurde festgestellt, dass Online-Plattformen in großem Umfang genutzt wurden, um antimuslimische Ressentiments zu schüren. Dabei kam es im Juli zu einer Online-Konfrontation gegen den neugewählten stellvertretenden Bürgermeister von Limerick, Azad Talukdar. Talukdar, der erste Muslim, der in Limerick zum Stadtrat gewählt wurde, geriet ins Visier von rechtsextremen Gruppen bzw. Personen. Dabei wurde in den Online-Debatten behauptet, die „Scharia“ solle zukünftig zum Gesetz in Irland gemacht werden und die Wahl von Talukdar sei ein Schritt in diese Richtung. Folgerichtig wäre das neue Irland, wenn die „Patrioten“ nicht reagieren würden, einem Bevölkerungswandel und einer globalistischen Agenda ausgesetzt, die es islamisch machen würden.

Islamophobe Rhetorik hat zugenommen

Auch andere in dem Bericht zitierte Quellen untermauern, dass islamfeindliche Diskurse auf Online-Plattformen zunehmen. So weist beispielsweise ein Bericht des US-Außenministeriums zu den Menschenrechten in Rumänien auf weit verbreitete Verschwörungstheorien und feindselige Diskurse gegen Muslime in den sozialen Medien hin. Auf der Facebook-Seite „Wir wollen keine Mega-Moschee in Bukarest“, die ursprünglich eingerichtet wurde, um sich dem Projekt des Baus einer großen Moschee in Bukarest zu widersetzen, wurden von Zeit zu Zeit verschiedene Artikel geteilt, um die Öffentlichkeit zu provozieren und zu manipulieren. Auch die Aussage: „Wir wollen keine muslimischen Flüchtlinge in Rumänien“ aus einem Beitrag vom 9.3.2020 ist besonders wichtig, um den Stand des Thematik in dem Land aufzuzeigen.

Schon seit geraumer Zeit sind besonders soziale Medien sowohl in Großbritannien als auch in vielen anderen Staaten die mit Abstand wichtigste Quelle für Fehlinformationen über den Islam und die Muslime, sowohl in Bezug auf den Umfang als auch auf die unmittelbaren Auswirkungen und Folgen. Weiterhin wurde festgestellt, dass in Großbritannien die Nutzung des Internets und der sozialen Medien bei einem Drittel der Bevölkerung während des Lockdowns deutlich zugenommen hat. In dieser Zeit teilten beispielsweise rechtsextreme und islamfeindliche Gruppierungen Bilder von Menschenmengen, die angeblich in Moscheen beteten, noch aufgenommen vor Inkrafttreten der COVID-19-Restriktionen und beförderten durch diese Beiträge den islamfeindlichen Diskurs im Land. Der „Europäische Islamophobie-Bericht 2020“ zeigt anhand konkreter Indikatoren auf, dass sich die im Westen institutionalisierte Islamophobie vor allem durch digitale Plattformen weiterverbreitet hat, und schließt damit eine Lücke in diesem Bereich.

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