Der russische Außenminister Sergei Lawrow trifft sich in Moskau mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Reuters)
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Vor ihrem Flug nach Moskau erklärte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, sie wolle eine Wiederbelebung des Minsker Formats zur Ukraine erreichen. Die deutsche Außenministerin besuchte vor ihrem Besuch in der russischen Hauptstadt Kiew. Dort drohte sie Moskau, dass es für jede neue Aggression „einen hohen Preis“ zahlen werde. Daher hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow die Zweckmäßigkeit eines Treffens mit seinem jungen, unerfahrenen und antirussischen Gegenpart aus Deutschland möglicherweise in Frage gestellt. Vor etwa einem Jahr hatte der erfahrene russische Minister bereits eine Begegnung mit Josep Borrell, der ebenfalls hoffte, das Verhalten des Kreml durch Warnungen und Anschuldigungen zu ändern. Jedoch zeigte dieses Treffen, dass eine solche Taktik bei Lawrow nicht funktioniert.

Deutschland – wichtiger Partner Russlands

Russland hat eine besondere Haltung gegenüber Brüssel. Das von der EU geförderte europäische Projekt wird im Kreml als Bedrohung für Putins eurasische Projekte in Form der EAWU und der OVKS wahrgenommen. Die EU lockt die westlichen postsowjetischen Länder immer mehr in ihre Reihen. Darüber hinaus herrscht in Russland die Auffassung, das „europäische Brüssel“ fungiere unter dem Diktat des „NATO-Brüssel“.

Obwohl Deutschland Mitglied der NATO und der Europäischen Union ist, ist es ein äußerst wichtiger Partner für Russland. Berlin ist der zweitgrößte Handelspartner Moskaus (bis 2014 war es sogar der größte). Hunderte von deutschen Unternehmen sind in Russland tätig, und russisches Gas ist für deutsche Automobilkonzerne lebenswichtig. Die Partnerschaft mit Berlin geht über die Wirtschaft hinaus. In der modernen Geschichte Russlands waren die Beziehungen zu Deutschland recht positiv. Unter Gerhard Schröder waren sich Russland und Deutschland gegen die amerikanische Intervention im Irak einig, und unter der eher pro-amerikanischen Merkel wurden die beiden Nord Stream-Pipelines fertiggestellt. Wirtschaft und Politik werden durch enge Beziehungen zwischen Wissenschaft, Bildung und Kultur ergänzt.

Trotz Baerbocks politischem Hintergrund wird Russland sie wie jeden deutschen Außenminister immer willkommen heißen. Die Aufrechterhaltung des Dialogs ist heute Teil des Vermächtnisses von Angela Merkel. Wenn Berlin zum Dialog bereit ist, wird Moskau ihn nicht ablehnen. Angesichts der derzeitigen Spannungen zwischen dem Westen und Russland ist es von entscheidender Bedeutung, die Verhandlungskanäle offenzuhalten, um nicht in eine gefährliche Konfrontation abzugleiten.

Verhandlungen für Verhandlungen

Es ist jedoch klar, dass, auch wenn Verhandlungen um der Verhandlungen willen bereits ein Erfolg sind, es ohne Kompromissfindung äußerst schwierig sein wird, gesunde deutsch-russische Beziehungen aufrechtzuerhalten. Hier liegt eine große Verantwortung bei den Unterhändlern. Der Besuch der Bundesaußenministerin führte jedoch bisher zu keinen Fortschritten in dieser Richtung. Baerbock betonte, die Konzentration russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine könne nur als Bedrohung wahrgenommen werden. Lawrow entgegnete, dass Russland auf eigenem Territorium manövriere. Deutschland möchte das Minsker Format „wiederbeleben“. Gleichzeitig bekräftigte Lawrow, Russland sei keine Konfliktpartei und Paris und Berlin müssten auf „ihre Kiewer Partner“ einwirken, damit die Regierung von Wladimir Zelenski mit der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen beginnt, die eine Autonomie für den Donbass vorsehen. Was einen „Angriff auf die Ukraine“ angeht, so hat das russische Außenministerium durch seinen stellvertretenden Leiter Sergej Rjabkow bereits erklärt, dass Moskau keine derartigen Pläne habe.

Trotz der mangelnden Fortschritte in Bezug auf die Ukraine ist für Baerbock allein die Tatsache, dass der Minsk-Prozess diskutiert wird, wichtig. Schließlich hat Russland in letzter Zeit deutlich gemacht, dass es den Fall der Ukraine mit Washington direkt lösen will. Die Voraussetzung für ein positives Ergebnis des Minsk-Prozesses für Russland war, dass der Westen Garantien für die Nichtaufnahme der Ukraine in die NATO gibt. Deshalb wurden die Verhandlungen über die vom russischen Außenministerium geforderten Sicherheitsgarantien zunächst mit den Vereinigten Staaten in Genf, dann mit der NATO und erst danach im Rahmen der OSZE geführt.

Im Schatten der USA-Russland-Diplomatie

Deutschland befürchtet jedoch, im Schatten der amerikanisch-russischen Gespräche zu landen, und setzt sich daher für die Wiederaufnahme der Treffen des Normandie-Quartetts ein, die seit fast zwei Jahren nicht mehr stattfanden. Daher waren Lawrows Worte darüber, dass Washington den „entscheidenden Einfluss“ auf die Ukraine habe und Russland es begrüßen würde, „wenn die Vereinigten Staaten zusätzlich zu den bestehenden Formaten helfen würden“, in dieser Richtung weiterzukommen, für Baerbock wie eine kalte Dusche. Deutschlands übermäßige Aktivitäten in der Ukraine geben den USA übrigens Anlass zur Sorge. Es ist kein Zufall, dass die Nachrichtenagentur Bloomberg nach Baerbocks Besuch in Kiew einen Artikel veröffentlichte, in dem die US-Seite die Glaubwürdigkeit Deutschlands anzweifelte. Was die USA von Deutschland brauchen, ist nicht Diplomatie, sondern Wirtschaftssanktionen in Form einer Blockade von Nord Stream 2.

Eine andere wichtige Ebene des Dialogs zwischen Berlin und Moskau stellt die deutsch-russische Meinungsverschiedenheit in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte dar. Während ihr Vorgänger Heiko Maas hier versuchte, subtil zu sein, hält die grüne Außenministerin die Freilassung von Nawalny sowie die Schließung von Memorial und drei deutschen NGOs in der Russischen Föderation für grundlegende Fragen. Deutschland werde die Menschenrechte und den Frieden in Europa auch um den Preis wirtschaftlicher Verluste verteidigen, verkündete Baerbock und deutete weitere Sanktionen an. Aber auch hier ist die Reaktion Russlands ernüchternd. Dies sind alles Fragen der russischen Innenpolitik, und der Kreml wird Baerbocks Vorwürfe wohl kaum wahrnehmen – zumal es nicht einmal der weitaus einflussreicheren Angela Merkel gelungen war, eine Einigung mit Moskau in diesen Fragen zu erreichen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Deutschland einen Versuch unternommen hat, das Minsker Format wiederzubeleben. Der Erfolg von Baerbocks Diplomatie hängt jedoch vor allem von der Ukraine und von der Bereitschaft Washingtons und der NATO ab, Moskaus „rote Linien“ im postsowjetischen Raum zumindest teilweise anzuerkennen.

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