Archivbild. 09.07.2021, Österreich, Wien: Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich, nimmt an einer Pressekonferenz teil. (dpa)
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Am 3. August traf das Oberlandesgericht Graz (OLG Graz) eine folgenreiche Rechtsmittelentscheidung. Erstmals kam es im Zusammenhang mit der vom Innenministerium medial groß inszenierten und zelebrierten Operation Luxor, die sich gegen angebliche Muslimbrüder richtet, zu einer Gerichtsentscheidung. Und damit sprach erstmals die unabhängige Justiz. Schließlich vertritt die Staatsanwaltschaft in Österreich die Interessen des Staates in der Rechtspflege und ist im Gegensatz zum Richter eine weisungsgebundene Behörde, die der Bundesministerin für Justiz untersteht. Und das OLG Graz hat der Staatsanwaltschaft deutlich gemacht, dass die brutal durchgeführten Hausdurchsuchungen jeglicher inhaltlichen Grundlage entbehren.

Juristisch gesehen wird hier ein weiteres Mal der Trend verdeutlicht, wie die türkise ÖVP Maßnahmen und Gesetze gegen den sogenannten „politischen Islam“ erlässt, die dann wiederum von den unabhängigen Gerichten als gesetzeswidrig beurteilt oder eben aufgehoben wurden. Beispielhaft stehen hierfür eine Reihe von Moscheenschließungen, das Kopftuchverbot oder die Schließung von Kultusgemeinden der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Wie so oft in Österreich ist es nicht die Politik, sondern die Justiz, die sich als Garant für die Verteidigung des Rechts auf Gleichheit inmitten grassierender Ungleichbehandlungen hervortut.

Widersprüchlichkeiten

Der Anschlag vom 2. November 2020 in Wien, der vier Todesopfer forderte, bildete den idealen Rahmen, um eine großangelegte und bereits Wochen zuvor genehmigte Razzia ohne großen medialen Widerstand am 9. November zu lancieren. Dabei klafften polizeiliche und juristische Arbeit auf der einen Seite und politische Rhetorik auf der anderen Seite weit auseinander. Der Innenminister meinte, mit der Razzia würden die Wurzeln des sogenannten politischen Islam gekürzt, der Militanz begünstige, selbst aber nicht militant sei. Der breiten Öffentlichkeit wurde die Razzia als Schlag gegen den politischen Islam verkauft. Falschaussagen zu gefundenen Geldbeträgen in Millionenhöhe wurden kolportiert. Juristisch aber wurde ein Terrorverfahren eingeleitet. Aber nicht gegen militante Akteure. Nein. Es richtete sich gegen Teile der muslimischen Zivilgesellschaft sowie religiös organisierte Muslim*innen.

Ablenkung vom Versagen des BVT?

Viele orteten von Beginn an ein Ablenkungsmanöver des Innenministeriums vom Versagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Schließlich wurde der Attentäter vom 2. November aus den Augen gelassen, um genau jene Razzia durchzuführen, die nun von einem unabhängigen Gericht als rechtswidrig eingestuft wurde. Anders gesagt: Es starben am 2. November Menschen, weil die Sicherheitsbehörden ihren Fokus auf unbescholtene Muslime gelegt hatten, anstatt gewalttätige und bewaffnete Personen zu observieren.

Verfahren ohne Grundlage

Was das OLG Graz nun festgestellt hat, verwundert weder aktenkundige Menschen noch Expert*innen auf diesem Gebiet. Lange Zeit wurde Einsicht in eine ganz zentrale Akte verwehrt, die mehrmals im Durchsuchungsbefehl genannt wurde. Die Akte mit der Nummer 13. Sie stand am Beginn der Ermittlungen und listet 43 militante Anschläge in Ägypten auf. Damit sollte legitimiert werden, dass eine Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft als „Terrororganisation“ zu qualifizieren sei. Das Problem an der Sache: Die Quellen zu diesen Informationen gehen allesamt auf ägyptische Behörden oder Staatsmedien zurück. Und ein einfacher Gegencheck mit unabhängigen Quellen offenbart, dass kein einziger der 43 Anschläge auf die Muslimbruderschaft zurückgeht. Anders gesagt: Die Grundannahme des gesamten Verfahrens basiert auf Lügen, die von einem autoritären System aufgestellt werden. Und obendrein wurden diese Informationen aus dem Englischen falsch übersetzt. So wurde etwa aus „ungeachtet der Zweifel“ ein „zweifelsohne“. Dazu kommen noch weitere Begründungen, die das OLG speziell thematisiert hat, wonach sich bei den einzelnen Antragsteller*innen die Verdachtsannahmen in „Mutmaßungen und Spekulationen erschöpfen.“ Dies zieht sich durch die gesamte Akte von inzwischen mehreren Tausend Seiten.

Warum dieses Verfahren?

Während investigative Journalisten meinten, das BVT würde ausländische Interessen mit dieser Ermittlung verfolgen, wurde zuletzt auch innerhalb des BVT von Beamten ein Ermittlungsverfahren durch das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung eingeleitet. Denn BVT-Beamte meinen, die Ermittlungen gegen die vermeintliche Muslimbruderschaft seien politisch motiviert. Der interimistische BVT-Direktor wurde deshalb angezeigt. Aber geht es hier um ausländische Motive? Oder auch innenpolitische?

Mit Personen wie mir, die seit Jahren Kritik an der Islampolitik österreichischer Regierungen egal welcher politischen Couleur, üben, sind sehr exponierte Personen an den öffentlichen Pranger gestellt worden. Dass die ermittelnden Behörden des Innenministeriums alles andere als Gefallen an meiner Arbeit finden, ist den Akten deutlich zu entnehmen. Als Höhepunkt der Absurdität wird etwa behauptet, mein Sprechen und Schreiben über Islamophobie sei ein Puzzleteil einer „Strategie für den Aufbau eines Parallelstaates bzw. eines Kalifats.“ Ja. Das steht so wortwörtlich in den Ermittlungsakten. Insofern ist davon auszugehen, dass mit diesem Verfahren unterschiedliche Interessen gedeckt werden und entsprechend unterschiedliche Personengruppen anvisiert wurden.

Wie geht es weiter?

Die Beschwerdeführer haben ein halbes Jahr auf dieses Urteil gewartet, in dem nun festgestellt wird, dass die Razzia rechtswidrig war. Rechtlich ändert dies nicht unmittelbar etwas, solange die Behörden weiter ermitteln. Die Entscheidung des OLG Graz ist aber richtungsweisend und ein deutliches Zeichen, dass diese Ermittlungen auf nichts fußen. Wie nun auf bereits gestellte und sich in Zukunft sicherlich häufende Einstellungsanträge reagiert wird, bleibt abzuwarten. Politisch hat das OLG Graz eine klare Botschaft gesendet: Diesem Verfahren fehlt jedwede strafrechtliche Relevanz. Und damit sind wir am Beginn der Problematik türkiser Islampolitik: Eine Prise Symbolpolitik, gepaart mit gesinnungspolizeilicher Haltung, die für repressive Maßnahmen abseits der Rechtsstaatlichkeit steht. Sie verkörpert die Aushöhlung von Grundrechten und ist das Grundproblem, das es aufzuheben gibt, um eine liberale Demokratie zu schützen.

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