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Die Nominierung für einen Oscar ist ein großer Erfolg für die bosnische Filmindustrie. Doch dieser Film hat auch eine besondere Bedeutung für Bosniaken aus Srebrenica, denn diesem Völkermord fielen 8372 unschuldige Menschen zum Opfer.

Eines ist sicher: Die Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina wird dieses Jahr die Gala zur Oscar-Verleihung mit großer Spannung verfolgen. Der Film „Quo Vadis, Aida?“ von Jasmila Zbanic, der den Völkermord in Srebrenica thematisiert, wurde in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ für den Oscar nominiert. Der Film, an dessen Produktion auch TRT beteiligt war, handelt von Aida, die als Übersetzerin in einer UN-Basis arbeitet, wo tausende bosnische Zivilisten vergeblich Zuflucht suchen. Während Aida für die UN tätig ist, versucht sie gleichzeitig, ihre Familie aus serbischer Gefangenschaft zu befreien.

Die Handlung beruht eigentlich auf einer wahren Begebenheit. Hasan Nuhanovic, der als Übersetzer bei der UN arbeitete, verlor beim Völkermord von Srebrenica seine Eltern und seinen Bruder. Obwohl er alles daran setzte, konnte er seine Familie nicht retten. Daraufhin verklagte Nuhanovic den niederländischen Staat, und das Urteil der Klage, das über zehn Jahre auf sich warten ließ, wurde 2013 verkündet. Dem Urteil zufolge wurde der niederländische Staat für die Tötung von drei Bosniaken für schuldig erklärt, und somit haben Nuhanovic und Rizo Mustafic, der sich der Klage anschloss, im Rechtsstreit obsiegt. Nach der Urteilsverkündung konstatierte Nuhanovic in seinen damaligen Ausführungen gegenüber der Presse, dass es das Wichtigste bei diesem Prozess war, zu zeigen, dass niederländische Soldaten und UN-Streitkräfte unschuldige bosniakische Zivilisten in die Hände der Serben übergaben. Somit bewies er, obwohl es immer noch von manchen Kreisen bestritten wird, dass sich auch Streitkräfte der UN mitschuldig gemacht hatten.

Eine Nominierung für einen Oscar ist selbstverständlich ein großer Erfolg für die bosnische Filmindustrie. Doch dieser Film hat weit darüber hinaus besondere Bedeutung für Bosniaken aus Srebrenica.

Wie bekannt, wurde vor nicht allzu langer Zeit, nämlich im Jahr 1995, ein Völkermord an unschuldigen bosniakischen Zivilisten durch serbische Streitkräfte in Srebrenica begangen, das zur damaligen Zeit unter dem „Schutz“ der Vereinten Nationen stand. Jahre später wurde das, was in Srebrenica geschah, vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Völkermord eingestuft. Am selben Gerichtshof wurden daraus resultierend 47 Personen zu Haftstrafen von insgesamt mehr als siebenhundert Jahren verurteilt und vier lebenslange Haftstrafen verhängt. Darunter solche gegen Ratko Mladic, den damaligen Oberkommandanten der serbischen Armee während des Balkankrieges, und gegen Radovan Karacic, den damaligen Präsidenten der Republika Srpska.

Bei dem erwähnten Völkermord wurden genau 8372 unschuldige Bosniaken massakriert. Unter ihnen befand sich sogar ein Neugeborenes, das noch nicht einmal einen Namen bekommen hatte. Später wurde auf dem Grabstein des Säuglings der Name Fatima eingetragen. Wir sprechen hier vom schmerzhaftesten Ereignis in der Geschichte von Srebrenica. Denn die Täter des Völkermordes begnügten sich nicht damit, unschuldige Menschen umzubringen, sie folterten sie auch noch nach ihrem Tod. Sie gingen sogar so weit, dass sie Leichname zerstückelten und Leichenteile in verschiedenen Massengräbern begruben. Noch heute gibt es Bosniaken, die nach den Gebeinen ihrer Geschwister und Väter suchen. Und wenn jemand einen Knochen seines Angehörigen gefunden hat, lässt er die Überreste nicht begraben, in der Hoffnung, dass in einem anderen Massengrab weitere Teile gefunden werden könnten. Dies ist die eigentliche Tragik der Geschichte von Srebrenica. Das erste Massenbegräbnis fand im Jahr 2003 statt, und bisher haben 6610 identifizierte Leichen Frieden in ihren Gräbern gefunden.

Es ist äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich, ein solches Thema auf die Leinwand zu bringen und es mit seiner ganzen Realität zu vermitteln, denn nur wer es persönlich erlebt hat, kann die Realität von Krieg und Völkermord in allen Einzelheiten kennen. Schließlich kritisierte Hasan Nuhanovic, der anfangs noch Teil der Filmcrew war, als Zeitzeuge des Völkermordes in Srebrenica in einigen Punkten das Filmprojekt. Und viele weitere Menschen, die den Völkermord erlebt und überlebt haben, pflichteten seiner Kritik bei. Für sie war der Völkermord in Srebrenica sehr viel leidvoller, als es der Film hergibt, und das, obwohl diejenigen, die den Film bereits gesehen haben, berichten, dass sie Tränen geweint haben und mehrere Tage unter seinem Einfluss standen.

So stellt sich die Frage: Wenn schon der Film so beklemmend für den Zuschauer war, wie grausam war wohl dieser Völkermord in der Realität?

Bereits bevor seine Nominierung für den Oscar feststand, räumte der Film „Quo Vadis, Aida?“ vergleichsweise kleinere Preise ab. Bis heute erhielt er zwei Auszeichnungen beim Miami-Filmfestival, zwei Preise beim Luxembourg City Film Festival, drei Auszeichnungen bei der London Film Week und einen Preis beim Sofia Film Festival. Neben der Nominierung für den Oscar wurde der Film auch für zwei BAFTA-Preise nominiert, die von der British Film Academy vergeben werden. Die BAFTA-Gewinner werden am 11. April bekanntgegeben.

Sollte der Film "Quo Vadis, Aida?" tatsächlich den Oscar gewinnen, wäre dies nicht der erste für Bosnien und Herzegowina: Den ersten Oscar gewann „No Man‘s Land“ von Danis Tanovic im Jahr 2002. Was die zwei Filme gemeinsam haben, ist, dass sie beide vom Krieg in Bosnien und Herzegowina handeln. Erwähnt sei hier noch der Film „Grbavica“ von Jasmila Zbanic, der von Kindern handelt, die infolge von Vergewaltigungen während des Balkankrieges auf die Welt kamen. Zbanic gewann mit diesem Film den „Goldenen Bären“ in Berlin. Darüber hinaus gibt es noch weitere Filme über den Krieg, einer davon ist der Kurzfilm „10 minutes“ von Ahmed Imamovic, der den Preis für den besten Kurzfilm der European Film Academy gewann. Des Weiteren gibt es den Film „Savrseni krug / The perfect circle“ von Ademir Kulenovic, der zu seinen ersten Werken zählt und Preise in Staaten wie Kanada, Japan und Frankreich gewann, sowie einige weitere Regisseure. All diese Filme offenbaren, dass es noch sehr viel über den brutalen Krieg zu erzählen gibt, der zwischen 1992 und 1995 in Bosnien und Herzegowina tobte.

Der fast vier Jahre währende, brutale Krieg in Bosnien und Herzegowina fand vor den Augen der Weltgemeinschaft statt. Heute schaut sie sich diesen einen Film als vermeintliche Realität an. Und ein Film über einen Krieg, der nicht augenblicklich gestoppt werden konnte, fährt heute, leider, Preise ein. Vielleicht sind all diese Auszeichnungen nur ein Ausdruck des schlechten Gewissens der besagten Weltgemeinschaft.

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