Emmanuel Macron, Staatspräsident von Frankreich. (dpa)
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Islamfeindlichkeit und Sexismus sind im einundzwanzigsten Jahrhundert kaum aus westeuropäischen politischen Debatten wegzudenken. Von Parteiprogrammen über parlamentarische Debatten bis zu TV-Talkshows: Weiße, christliche Europäer fühlen sich berechtigt, über die persönlichen und religiösen Freiheiten muslimischer Frauen zu entscheiden. Das Kopftuch ist mehr als ein Kleidungsstück. Für viele muslimische Frauen gehört es zur Ausübung ihrer Religion. Ein Verbot des Kopftuchs ist eine eindeutige Verletzung der religiösen Freiheit. Es entzieht Frauen das Recht, eigenständig über die Art und Weise ihrer Religionsausübung zu entscheiden.

Bereits seit 2004 darf das Kopftuch nicht in französischen Schulen getragen werden. Vor genau zehn Jahren, im April 2011, trat auch das Burkaverbot in Frankreich in Kraft.

Der französische Senat hat einer neuen Gesetzesänderung zugestimmt, wonach junge Frauen unter 18 Jahren kein Kopftuch tragen dürfen. Es handelt sich um eine vorgeschlagene Verschärfung des bereits verabschiedeten kontroversen Gesetzes zur Stärkung republikanischer Werte.

Damit diese Maßnahme offiziell in Kraft tritt, muss der Entwurf jedoch noch von der Nationalversammlung verabschiedet werden. Unabhängig davon, ob das Gesetz angenommen wird, zeugt die aktuelle Debatte von einem weiterhin verkrampften Fokus auf Muslime und vor allem auf muslimische Frauen, die eine bereits marginalisierte Minderheit in Frankreich darstellen. Das Gesetz würde es auch Müttern, die ein Kopftuch tragen, untersagen, ihre Kinder auf Schulausflügen zu begleiten. Dies ist eine weitere von vielen gesetzlichen Legitimierungen der anti-islamischen Entwicklungen in Frankreich.

Islamophobie in Frankreich

Das islamfeindliche Klima in Frankreich scheint stetig zu eskalieren. Die einstige Kolonialmacht kämpft mit zunehmender internationaler Irrelevanz. Präsident Macron hat seit Längerem den Islam als Feindbild definiert und dadurch versucht, sich als starken Führer zu profilieren und mehr Wähler rechter Gesinnung anzusprechen. Verschiedene Gesetze haben in den letzten Monaten die Freiheiten der Muslime Frankreichs weiter eingeschränkt. Die alarmierenden Entwicklungen stehen eindeutig im Kontrast zu Frankreichs angeblichen Werten von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit.

Trotz – oder gerade wegen – zahlreicher innenpolitischer Probleme beschäftigt sich der Senat in Paris mit der Kleidung muslimischer Frauen.

Die neueste Entscheidung des Senats rief deutliche Kritik hervor. Seit Längerem warnen Menschenrechtsorganisationen vor den gefährlichen Entwicklungen in Frankreich. Ein Forscher von Amnesty International zum Beispiel äußerte, die französischen Behörden hätten immer wieder “das vage und schlecht definierte Konzept der Radikalisierung” dazu genutzt, um grundlos bestimmte Maßnahmen einzuführen.

Der zuletzt von Begriffen wie Radikalismus, Separatismus und Islamismus geprägte Diskurs hat weiter zur Marginalisierung von Muslimen beigetragen.

Die “Kopftuchdebatte”

Die anhaltende Debatte um das von einigen muslimischen Frauen getragene religiöse Symbol ist nicht neu. Sichtbar muslimische Frauen werden in diesem Diskurs gleichzeitig sowohl als Opfer angeblicher islamischer Unterdrückung wie auch als islamische Gefahr für die französische Leitkultur gesehen. Ähnliche Diskurse finden seit Jahren in verschiedenen Teilen Europas und vor allem in Deutschland statt.

Die “Debatte” um das Kopftuch erlaubt es schließlich jedem europäischen Bürger, sich als qualifizierter Islamexperte zu präsentieren. Alle islamfeindlichen Vorurteile können dadurch als angebliche Sorge um die Rechte muslimischer Frauen getarnt werden.

Was als gesellschaftlich-politische Debatte erscheint, ist jedoch oftmals offensichtliche Islamophobie. Es geht hier vielmehr um europäische Identitätsfindung. Das Kopftuch wird nicht nur von Rechtskonservativen als Symbol der Entfremdung und sogenannten “Islamisierung” gesehen. Islamophobie ist auch in liberalen und linken Kreisen verbreitet und mittlerweile tief in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt. Auch Jahrzehnte nach der Ankunft des Islams in Westeuropa haben vor allem religiöse Muslime selten den gleichen Zugang zur Gesellschaft wie andere Bevölkerungsgruppen. Im Gegenteil; oftmals werden sie als die ultimative Gefahr für die europäische Zivilisation dargestellt.

Das Kopftuch zu verbieten, ist aber auch ein Ausdruck von Kontrolle und Domination. Der weiße, christliche oder laizistische Europäer nimmt sich das Recht, über den Körper der muslimischen Frau zu urteilen. Fühlt sich ein französischer Senatsabgeordneter bedroht, wenn er nicht die Haare muslimischer Frauen sehen kann?

Dies ist eine Ausübung von patriarchalischen Strukturen – aber auch von sexistischen Konzepten von Maskulinität. In den anhaltenden Debatten wird das Kopftuch oftmals als Zeichen der Unterdrückung der muslimischen Frau durch den muslimischen Mann dargestellt. Wie zuletzt die Flüchtlingskrise in Europa gezeigt hat, kann die bloße Existenz muslimischer Männer extrem rassistische gesellschaftliche Diskurse in Europa auslösen.

Letztendlich ist der derzeitige Diskurs in Frankreich auch eine Art und Weise, sich als kulturell fortschrittlicher zu präsentieren. Dies steht im Einklang mit Frankreichs kolonialer Geschichte, die in einem Beharren zivilisierter Überlegenheit verankert ist.

Marginalisierung muslimischer Frauen

Doch sind muslimische Frauen, die den Hijab tragen, in solchen Diskussionen kaum präsent.

Laut einer Studie gab es z.B. zwischen dem 11. und dem 17. Oktober 2020 85 Debatten zum Kopftuch im französischen Fernsehen. Unter den 286 eingeladenen Gästen war keine einzige Frau mit Kopftuch.

Das durch die Macron-Regierung bestärkte islamophobe Klima in Frankreich scheint die Isolation muslimischer Frauen weiter voranzutreiben. Es entfernt religiöse Muslima weiter von der Öffentlichkeit und von einem Staat, der sich als demokratisch und frei versteht.

Mit einer eigenen Identitätskrise konfrontiert, versuchen einige französische Politiker, die Identität unerwünschter Bürgerinnen zu unterdrücken. Die Versuche, Muslime und insbesondere muslimische Frauen auszugrenzen, muss auch im Kontext von Macrons innenpolitischen Problemen gesehen werden. Mit den nächsten Präsidentschaftswahlen, für das kommende Jahr geplant, stellt sich leider die Frage, was wohl der nächste islamophobe Schritt der Macron-Regierung sein könnte.

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