Sedef Kabaş (Sabah)
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Bevor jemand andere Länder und deren Menschen abwertet und eine moderne Demokratie ins Abseits stellt, sollte man besser erst einmal vor der eigenen politischen und gesellschaftlichen Haustüre kehren. Die geschickt geplante Aufregung in Teilen der westlichen Medienlandschaft über eine kürzlich erlassene Anordnung zur Untersuchungshaft in der Türkei ist ein Paradebeispiel hierfür.

Knapp und kurz die Fakten: Sedef Kabaş, eine erfahrene und bekannte türkische Journalistin und Reporterin sowie Moderatorin mit einem bemerkenswerten, international renommierten Lebenslauf zitiert live beim Sender Tele 1 sowie einige Zeit danach auf ihrem persönlichen Twitter-Kanal (19.17 Uhr Ortszeit am vergangenen Freitag, dem 21. Januar 2022) ein Sprichwort, das wohl am besten wie folgt übersetzt werden könnte: „Wenn der Ochse zum Palast klettert, wird er kein König, sondern der Palast wird zu einer Scheune.“ Fest steht, das sie damit den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan meinte und ihre Aussage mit Sicherheit nicht in das Fernsehprogramm-Genre „Wer wird Millionär?“ bezüglich der 100 weltweit am meisten zitierten Sprichwörter fällt.

Umso erschütternder, wenn auch nicht unerwartet ist es, dass die Deutsche Welle Türkisch sofort an Ort und Stelle war und buchstabengetreu die vorübergehende Verhaftung von Kabaş verfolgte. Höchst brisant ist, dass DW eine Person, der vorgeworfen wird, das freiheitlich-grundrechtliche System der Türkei zu überwinden, quasi als Zeuge anführt, so als säßen Osman Kavala und Sedef Kabaş in einem Boot … Sitzen sie denn etwa im selben demokratiefeindlichen Boot?

Aber wie geht eigentlich Deutschland mit dem Tatbestand Politikerbeleidigung um?

Zwischen Geldstrafe und Gefängnis in Deutschland, 71-jähriger Rentner inklusive

Bereits am 4. April 2016 titelte die Stuttgarter Zeitung „Kanzlerin im Internet beleidigt – Strafe für Mann aus Bochum“. Der 28-jährige Mann wurde zu 80 Tagessätzen zu 25 Euro verurteilt, da er in sozialen Netzwerken hatte verlauten lassen, Kanzlerin Merkel müsse gesteinigt werden.

Morgenpost.de stellte knapp ein Jahr später, am 13. Mai 2017, fest ein Merkel-Hasser sei zu 1560 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Im Wortlaut der Publikation liest sich das wie folgt: „Merkel muss weg!, lautet eine in rechten Kreisen gerade sehr populäre Forderung. Für Christoph K. wurde sie zu einer fixen Idee. Und nicht nur das. Der 40-jährige hatte auch sehr konkrete Vorstellungen, wie man sich der von ihm höchst ungeliebten Kanzlerin entledigen könnte. Für geeignet befand K. unter anderem Kalaschnikow, Panzerfaust und Sprengstoff. Das brachte ihm eine Anklage wegen Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung und Beleidigung ein.“

Es kommt noch besser. Stern.de berichtete am 2. Juli 2021 unter der Überschrift „4400 Euro Geldstrafe für Polizisten wegen übler Beleidigung von Grünen-Politikern Claudia Roth“ über einen Fall, bei dem der Beklagte das Gesicht von Frau Roth visuell mit einem Pferdehintern verglichen hatte (Originalwortlaut Artikel).

Am 16. November desselben Jahres zeigte die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine weitere interessante Entwicklung auf: „Enissa Amani drohen 40 Tage Gefängnis“. Wer, was, warum? Die bekannte Komikerin hatte einen Politiker als „Bastard“ bezeichnet. Wer war der Beleidigte? Andreas Winhart, bayerischer AfD-Politiker. Die juristische Streiterei geht laut FAZ nun schon einige Jahre lang, eine Geldstrafe wollte Amani nicht zahlen, sodass die Frage einer Gefängnisstrafe aufkam.

Am Ende kommt es noch erschütternder, und zwar am 11. Dezember 2020: Spotlight auf die Meldung aus Zeit.de, in der über einen 71-jährigen Rentner berichtet wird, der nun eine komplette Monatsrente an den Staat abtreten muss. „Mann muss Geldstrafe wegen Politikerbeleidigung bezahlen“. Nur: Was hatte der Pensionär denn gesagt? Dies verschwieg das Gericht und somit auch die Zeitung. War es so schlimm oder so seicht? Eher das Erste … ein Rentner ohne monatliches Einkommen?

Warum also soll die Türkei Hassrede legitimieren?

Diese fünf Beispiele unterstreichen dreierlei. Erstens: Jede Demokratie hat Mechanismen vorbereitet, die verbale Angriffe auf Politiker verbieten helfen sollen, denn was verbal beginnt, könnte eines Tages als abscheulicher Mord enden, wenn der fehlgeleitete Hass nicht mehr kontrolliert werden kann.

Zweitens: Jede moderne Demokratie hat ein funktionierendes Justizsystem, welches garantiert, dass nur ernstzunehmende Vorwürfe auch zu einer Verurteilung führen. Darüber hinaus müssen alle Urteile verhältnismäßig sein.

Drittens: Es muss abgewogen werden, ob es sich beim Aufruf zu einer Straftat oder der theoretisch ableitbaren Gutheißung von Straftaten um einen Zufall oder Kalkül handelt. Auf der einen Seite: Wer hat nicht schon einmal in der Hitze des verbalen Gefechts, vielleicht sogar in einer öffentlichen Veranstaltung, ein Wort zu viel gesagt, sich sofort entschuldigt und die Sache bereinigt?

Frage an die Deutsche Welle: Beleidigung des Präsidenten in Deutschland straffrei?

Auf der anderen Seite und viel schwerwiegender: In einer Zeit mit globalen Pandemiesorgen, in der bekanntlich die Nerven vieler Bürgerinnen und Bürger blank liegen, ein Staatsoberhaupt nicht nur zu beleidigen, sondern die gesamte Würde einer ganzen Nation anzugreifen, damit Hassrede zu verbreiten und diese selbst nach einer Bedenkzeit sogar noch einmal zu wiederholen (s.o., zuerst per Live-TV, dann per Twitter) ist kein Zufallsprodukt, sondern Methode.

Würde Sedef Kabaş damit in Belgien, Deutschland oder Frankreich durchkommen? Mit Sicherheit nicht! Warum also sollte die Türkei bei Angriffen auf die Integrität der Bürgerinnen und Bürger immer ein Auge zudrücken? Weil es die Deutsche Welle und andere „objektive“ Medienhäuser so vorschreiben? So etwas ging vielleicht früher, als externe Mächte versuchten, die Türkei zu regieren … dann sprach das türkische Volk … Fazit: Nicht mit der Türkei des 21. Jahrhunderts, soviel steht fest.

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