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Israelische Besatzungskräfte greifen derzeit palästinensische Betende in der Al-Aqsa-Moschee in Ost-Jerusalem an. Betäubungsgranaten und Gummigeschosse wurden während des Ramadangebets gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Hunderte Palästinenser wurden verletzt.

Gleichzeitig wirft die israelische Regierung mehrere Palästinenser im Stadtteil Sheikh Jarrah in Ost-Jerusalem aus ihren Häusern, um diese an israelische Siedler zu übergeben.

Ost-Jerusalem ist seit 1967 unter israelischer militärischer Besatzung, die laut Völkerrecht illegal ist. Neben einer strukturellen Benachteiligung der palästinensischen Bevölkerung von Seiten der israelischen Regierung erschwert die brutale Militärbesatzung den Palästinensern das Leben.

Erst kürzlich zogen bewaffnete israelische Siedler durch Jerusalem, griffen Palästinenser an und zündeten palästinensisches Land an. Rechtsextreme israelische Demonstranten sangen anti-palästinensische Parolen wie „Tod den Arabern“, „Wir verbrennen heute Araber“ und „Möge euer Dorf brennen“. Zuweilen wurden diese gezielten Angriffe auf Palästinenser als Pogrom bezeichnet.

Die Gewalttaten werden derzeit durch Bilder und Videos auf sozialen Medien dokumentiert.

Auch wenn diese Angriffe besonders gewalttätig erscheinen, handelt es sich weder um neue, noch um einzelne Vorfälle. Sie sind vielmehr ein Beispiel für Israels strukturelle Unterdrückung und Kontrolle der Palästinenser.

Kontinuität des Siedlerkolonialismus

In der Medienberichterstattung werden die aktuellen Ereignisse teilweise als isolierte Eskalationen dargestellt. Oftmals werden sie als komplexer religiöser oder ethnischer Konflikt präsentiert. Stattdessen jedoch handelt es sich bei der derzeit sehr sichtbaren Gewalt in Jerusalem um eine jahrzehntelange Politik der ethnischen Säuberung und militärischen Unterdrückung, die einen essentiellen Bestandteil von Israels kolonialer Expansion darstellt.

Die Gewalt ist nicht auf den Monat Ramadan beschränkt. Auch am orthodoxen Osterfest kürzlich wurden christliche Palästinenser gewaltsam von Gebeten abgehalten. Der griechisch-orthodoxe Patriarch in Palästina, Atallah Hanna, wurde einst Opfer eines Anschlags.

Die heutige Enteignung und Vertreibung in Sheikh Jarrah ist nicht neu. Tatsächlich ist der Staat Israel im Jahr 1948 durch solche Gewaltaktionen überhaupt entstanden. Die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung wurde im Rahmen einer ethnischen Säuberung vertrieben und durfte nie zurückkehren, obwohl die Rückkehr der Flüchtlinge durch UN-Resolutionen garantiert wurde. Die Ereignisse von 1948 sind als “Nakba” (arabisch für „Katastrophe“) bekannt.

Palästinenser erleben weiterhin verschiedene Formen der strukturellen und institutionalisierten Unterdrückung. Diese Woche gedenken Palästinenser des dreiundsiebzigsten Jahrestags der Nakba.

Die jüngsten Ereignisse fielen mit der Veröffentlichung eines Berichts der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zusammen, in dem erneut bekräftigt wird, dass die Politik Israels Verbrechen der Apartheid und der Verfolgung darstellt. Der Bericht dokumentiert die diskriminierende Herrschaft der israelischen Regierung über Palästinenser und die Art und Weise, wie der israelische Staat jüdische Israelis methodisch privilegiert und Palästinenser diskriminiert.

Die Nakba ist nicht als historisches Event, sondern als eine andauernde Form des Traumas zu verstehen.

Sie ist nicht nur die Konsequenz der offen rassistischen Politik der Netanyahu-Regierung. Der israelische Premier Netanyahu selbst scheint an keiner Deeskalation interessiert. Tatsächlich könnte ihm die derzeitige Gewaltausschreitung als Ablenkung gelegen kommen. Netanyahu befindet sich in einer politischen Krise. Neben Gerichtsverfahren wegen Betrugs und Bestechung ist es ihm erneut nicht gelungen, eine Regierung zu bilden.

Repräsentation in den Medien

Trotz der Sichtbarkeit der aktuellen Gewalt greifen viele Medien in ihrer Berichterstattung auf traditionelle, orientalistische Darstellungen zurück.

Die oftmals einseitige Darstellung der Ereignisse in westlichen Massenmedien trägt seit Langem zur Marginalisierung der Palästinenser bei. Berichte über die Gewalt in Jerusalem verschleiern oft Ursachen und Folgen. Anstatt eines historischen und politischen Kontextes werden die gleichen Tropen kopiert und eingefügt, die seit Jahren Palästinenser als Initiatoren der Gewalt darstellen.

Die daraus resultierende Verharmlosung der israelischen Gewalt ist vor allem in deutschen Medien deutlich. Dabei werden die Ereignisse sprachlich verzerrt und als „Auseinandersetzungen“, „Zusammenstöße“ oder „Streitfragen im Nahostkonflikt“ dargestellt, die angeblich zwischen zwei verschiedenen Völkern ausgetragen werden. Dass es sich hierbei weder um einen ethnischen, noch um einen religiösen Konflikt handelt, wird weniger deutlich. Die koloniale Struktur wird nicht erwähnt. Im Gegenteil: Palästinenser werden als Feindbild konstruiert.

So propagiert das ZDF zum Beispiel: „Vor der Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg attackierten Gläubige die Sicherheitskräfte mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern, während die Polizei Gummigeschosse und Blendgranaten auf sie abfeuerte.“

Palästinenser, in diesem Fall Muslime, werden als gewalttätige Initiatoren dargestellt. Dass die Präsenz israelischer „Sicherheitskräfte“ in Ost-Jerusalem laut internationalem Recht illegal ist und diese bewaffneten Israelis die Al-Aksa-Moschee stürmen, wird nicht ersichtlich.

In ähnlicher Weise bedient sich die Tagesschau einiger Euphemismen, um die israelische Politik schönzureden. So „stand“ die israelische Polizei palästinensischen Demonstranten „gegenüber.“ Palästinenser warfen „mit Steinen auf die Sicherheitskräfte“. Die Tagesschau berichtet, dass „rund 30 Palästinenser mit der Zwangsräumung ihrer Wohnungen rechnen müssen, die von jüdischen Israelis beansprucht werden.“ Unter einer Zwangsräumung könnte man verstehen, dass die Bewohner die Miete unterschlagen hätten und nicht Opfer einer offiziellen Politik der ethnischen Säuberung seien. Wie die deutsche Regierung tragen auch deutsche Medieninstitute signifikant zu einer Fortsetzung der anti-palästinensischen Politik bei.

Internationale Passivität

Die verzerrte Darstellung der Ereignisse wird auch in den Äußerungen vor allem westlicher Regierungen deutlich, die oftmals „beide Seiten“ dazu aufrufen, Spannungen zu entschärfen. Die Europäische Union zeigt sich oftmals oberflächlich „besorgt,“ formuliert aber keine substantielle Kritik. Im Bezug auf die momentane Situation lehnte die EU„Gewalt und Anstiftung“ ab und betonte: „Politische, religiöse und kommunale Führer auf allen Seiten sollten Zurückhaltung und Verantwortung zeigen und alle Anstrengungen unternehmen, um diese volatile Situation zu beruhigen.“ Die mit dieser Rhetorik einhergehende Gleichstellung von Opfern und Tätern dient einer Normalisierung der israelischen Politik.

Was sollen Palästinenser denn „unternehmen“, wenn ihr einziges Verbrechen darin besteht, dass sie sich zu Hause aufhalten und somit den Siedlern im Weg stehen?

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