Afghanistan-Krise: Die Türkei will sich zukünftig noch enger mit NATO-Partnern, EU, Russland sowie allen Konfliktparteien in Afghanistan und der Region abstimmen. (Reuters)
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Nach dem verheerenden Terroranschlag am Flughafen Kabul vom vergangenen Donnerstag reiste Bundesaußenminister Maas am Sonntag für vier Tage in fünf Länder der Region, die für die zukünftige Entwicklung des Landes am Hindukusch bedeutsam sind, darunter Usbekistan, Tadschikistan und die Türkei.

Usbekistan engagiert sich für die Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans

Usbekistan tritt seit seiner Unabhängigkeit vor 30 Jahren international als Fürsprecher des Staates am Hindukusch auf und organisiert hochrangige Konferenzen im eigenen Land zu den Entwicklungen und zukünftigen Herausforderungen in Afghanistan, etwa 2019 und Mitte Juli 2021 unter Beteiligung von Präsident Aschraf Ghani und weiteren hochrangigen Politikern. 1997 war das Land aktiv an der Gründung der VN-Kontaktgruppe „Nachbarn und Freunde Afghanistans“ im 6+2 Format beteiligt.

Nach der Wahl von Präsident Schawkat Mirsijojew 2016 bekam die usbekische Afghanistan-Politik einen neuen Impuls und wurde auf die Grundlage eines ganzheitlichen Ansatzes gestellt. Die usbekische Administration ist der Ansicht, dass die sicherheitspolitische Lage Afghanistans auch eine Frage der Stabilität Usbekistans ist und die politische Situation im Nachbarland noch stärker auf die regionale und globale Agenda gesetzt werden muss. Deshalb war Usbekistan auch am Zustandekommen der Gespräche zwischen der US-Administration unter Präsident Donald Trump und den paschtunischen Taliban in Katar beteiligt.

Zudem unterstützt Usbekistan den afghanischen Nachbarn auch ökonomisch, liefert beispielsweise Strom nach Afghanistan über einen Zeitraum von zehn Jahren. Darüber hinaus engagiert sich der usbekische Staat bei der Verlängerung der Eisenbahnverbindung zwischen dem usbekischen Termez und der nordafghanischen Metropole Mazar-i-Scharif. Ein befriedetes Afghanistan ist für Usbekistan, das ohne eigenen Meereszugang ist, auch als Transitland zu den Häfen des Persischen Golfs sowie des Indischen Ozeans wichtig.

Situation in Afghanistan hat Auswirkungen auf sicherheitspolitische Lage in Tadschikistan

Die sicherheitspolitische Lage in Tadschikistan ist eng mit der Situation im Nachbarland verbunden. Wie im Falle Usbekistans verbindet beide Länder ein gemeinsamer Kultur- und Sprachraum mit gemeinsamer Geschichte und überlappenden historischen Territorien.

Derzeit haben sich viele Afghanen aus dem nördlichen Teil des Landes in Tadschikistan in Sicherheit gebracht, was eine gewisse Tradition hat. Aber auch Tadschiken flohen während des Bürgerkrieges zwischen 1993 und 1997 nach Afghanistan und suchten dort Schutz. Russland, das seinen weltweit größten militärischen Auslandsstützpunkt in diesem zentralasiatischen Land unterhält, führt derzeit in der Grenzregion zu Afghanistan große Manöver durch. Die Regierung in Duschanbe ist politisch und wirtschaftlich zu schwach, um bei Konfliktlösungsbemühungen aktiv eine Rolle zu spielen, und orientiert sich an den Interessen der Russischen Föderation.

Das Engagement der Türkei in Afghanistan

Obwohl Afghanistan nicht zu den turksprachigen Ländern in Zentralasien gehört, hat die Islamische Republik eine besondere Bedeutung für die Türkei. Stabilität und Frieden in dem Land am Hindukusch standen und stehen ganz oben auf der Prioritätenliste der türkischen Diplomatie. Deshalb unternahm die Regierung in Ankara im März Vermittlungsbemühungen zwischen den beiden verfeindeten Konfliktparteien.

Laut Aussage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat die Taliban-Führung nach dem verheerenden terroristischen Anschlag vom vergangenen Donnerstag, der vom sogenannten Daesh verübt wurde und bei dem 108 Menschen, darunter 13 US-Soldaten, ums Leben kamen, die türkische Regierung ersucht, den Kabuler Flughafen operationell zu betreiben. Die Kontrolle wollen die neuen Machthaber aber selbst übernehmen. Erdogan verknüpfte eine Entscheidung türkischerseits an Bedingungen, etwa eine Stabilisierung der Lage vor Ort und Angaben zur Zusammensetzung einer neuen afghanischen Regierung.

Bereits vor dem endgültigen Abzug der NATO-Truppen hatte es im Juni Informationen gegeben, dass die Türkei möglicherweise langfristig das Management des Flughafens, eines der wichtigsten Infrastrukturobjekte der Islamischen Republik Afghanistan, übernehmen könnte, da türkische Unternehmen hierbei langjährige und umfassende Erfahrungen vorweisen können. Auch für die Sicherheit des Flughafens könnte die Türkei sorgen, möglicherweise mit Partnerländern und mit logistischer Unterstützung durch den Nordatlantik-Pakt. Allerdings zieht das türkische Militär gemeinsam mit seinen NATO-Partnern ab und will diese Entscheidung auch nicht nach dem Terroranschlag korrigieren. Die örtliche diplomatische Vertretung der Türkei wurde an den Flughafen verlegt, jedoch nicht geschlossen.

In der Frage der Aufnahme von zu erwartenden Flüchtlingen aus Afghanistan hält sich die Regierung in Ankara zurück. Die Türkei ist schon jetzt das größte Aufnahmeland für Flüchtlinge weltweit. 4,1 Millionen Menschen, mehrheitlich aus Syrien, dem Irak und dem Iran, aber auch ca. 200 000 Migranten aus Afghanistan haben in der Türkischen Republik bereits seit vielen Jahren Zuflucht gefunden. Diese hohe Zahl an Geflüchteten belastet die finanziellen Ressourcen sowie die Infrastruktur des Landes stark. Deshalb forderte das türkische Staatsoberhaupt kurz nach dem Einmarsch der Taliban in Kabul die Europäische Union auf, sowohl afghanische Binnenflüchtlinge als auch solche, die sich in den Nachbarländern befinden, materiell zu unterstützen, damit keine neuen Flüchtlingsströme entstehen. Vorsorglich wird nun die türkische Ostgrenze zu Iran stärker befestigt.

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