„Emir: Leben und Eroberungen des türkischen Herrschers Mehmet", ein 5000 Zeilen langes und in lateinischer Sprache abgefasstes Lobgedicht des venezianischen Dichters Gian Mario Filelfo aus dem Jahr 1475. (Others)
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Die Geschichte ist voll von verlorenen Kunstwerken, aber manchmal sorgt Glück dafür, dass ein zuvor unentdecktes Juwel auftaucht. Wie „Daily Sabah“ berichtet, haben die außerordentliche Professorin für Sozialwissenschaften an der Universität Ankara, Filiz Barın Akman, und ihr ebenfalls als akademischer Forscher tätiger Ehemann Beyazıt Akman ein 5000-zeiliges episches Gedicht aus der Renaissancezeit zutage gefördert. Dieses habe ein italienischer Dichter zu Ehren des osmanischen Sultans Mehmeds des Eroberers verfasst.

Das Werk mit dem Titel „Amyris, de vita et gestis Mahometi Turcorum imperatoris“ („Emir: Das Leben und die Eroberungen von Mehmed, dem türkischen Herrscher“) hatte der Dichter und Historiker Gian Mario Filelfo im Jahr 1475 verfasst.

Lateinisches Original in Genfer Bibliothek vermutet

Das Ehepaar Akman sprach in einem Interview mit der Anadolu Agency (AA) über die Entdeckung und die Besonderheiten des Werkes. Das Werk ist in den fast 550 Jahren seiner Geschichte weder ins Türkische noch ins Englische übersetzt worden und war auch zuvor noch nie Gegenstand einer akademischen Studie.

Beyazıt Akman forscht zusammen mit seiner Frau über die Wahrnehmung der Türken und des Islams im Westen. „Wir versuchen ständig, neue Quellen ausfindig zu machen“, sagte er. „Bei unseren Recherchen sind wir auf mehrere Verweise auf diese Arbeit und den Autor gestoßen, aber die Arbeit selbst hatten wir nie gesehen. Zitate zu dieser Arbeit wurden auch ihrerseits wieder mittels weiterer Zitate belegt. Wir sind auf keine einzige Studie gestoßen, die das Werk von Anfang bis Ende gelesen und interpretiert hätte.“

Akman erklärte, das Forscherpaar sei in den Besitz einer Faksimile-Kopie des Werkes gelangt, die 1978 in Italien gedruckt wurde. Er betonte, man werde versuchen, das lateinische Originalmanuskript aus der Bibliotheque de Genève im schweizerischen Genf zu beschaffen.

Freundliche Darstellung des Sultans passte nicht in den Zeitgeist

Dies soll der erste Schritt dazu sein, die Übersetzung des Gedichts zu vervollständigen. „Bis jetzt sollte es eigentlich in viele Sprachen übersetzt worden sein, nicht nur ins Türkische“ betont der Forscher, „und es sollte Gegenstand vieler Studien sein. Stellen Sie sich vor, ein Italiener verfasste im 15. Jahrhundert ein Werk von 5000 Zeilen über Sultan Mehmed, und es wurde in keine einzige Sprache übersetzt.“

Stattdessen sei das Werk in den Archiven von Bibliotheken gehortet und weggeschlossen worden. Dies, so argwöhnt Akman, habe nicht zuletzt ideologische Gründe gehabt:

„Wäre dieses Werk über einen christlichen Kaiser und nicht über einen muslimischen türkischen Herrscher geschrieben worden, bin ich sicher, dass es unter den klassischen Epen wie Homers Ilias und Virgils Aeneis erwähnt worden wäre.“

Akman zufolge besteht „kein Zweifel, dass die orientalistische Geschichtsschreibung einen großen Einfluss darauf hat, dass das Werk bis heute so unbekannt ist.“ Nun wollen seine Frau und er dieses Werk zunächst ins Türkische und Englische übersetzen und dann analysieren. „Ich weiß nicht, warum es fünf Jahrhunderte lang keine Aufmerksamkeit erregt hat", erklärte er.

Literarisches Pendant zu Bellinis Malerei

Akman unterstrich, Filelfos Gedicht habe ebenso viel historische Bedeutung wie das berühmte Porträt Sultan Mehmeds des Eroberers, das der venezianische Künstler Gentile Bellini malte:

„Zweifelsohne unterscheidet sich dieses Werk nicht von Bellinis Porträt von Mehmed. Was der eine mit der Kunstform der Malerei gestaltet hat, hat der andere auf dem Wege der Literatur gemacht. Es ist wichtig, dass das Werk unserem Volk und auch allen anderen Kulturen mit aktuellen Übersetzungen präsentiert wird. Mit diesem Projekt wollen wir diese Lücke füllen.“

Filiz Akman gab derweil einen Einblick in Hintergrund und Geschichte des Gedichts. Nach der Eroberung Istanbuls durch Sultan Mehmed, so weiß sie zu berichten, war unter den Gefangenen auch der Schwager eines venezianischen Kaufmanns namens Lillo Ferducci aus Ancona. Ferducci schickte einen Brief an den Sultan, in dem er um die Freilassung seines Schwagers bat, und der Sultan ließ diesen frei, ohne ein Lösegeld zu verlangen.

Freigelassener Kaufmann fügte Namen des Reichsgründers seinem eigenen hinzu

Beeinflusst von der galanten Tat des Sultans, fügte Ferducci als Zeichen der Dankbarkeit den Namen „Othman“ seinem Namen hinzu, da dies der Name eines Vorfahren von Sultan Mehmed und des Gründers des Osmanischen Reiches war. Außerdem bat er seinen Freund, den Renaissancedichter Gian Mario Filelfo, der 1426 in Pera geboren wurde, ein episches Gedicht über Sultan Mehmed zu schreiben, in dem er dessen Errungenschaften und Eroberungen beschrieb.

„Sein Ziel war es, dem Sultan zu danken und seine Hochachtung ihm gegenüber auszudrücken“, machte Filiz Akman deutlich.

Sie merkte zudem an, dass das Werk aus dem lateinischen Original ins Türkische und Englische übersetzt wird, begleitet von detaillierten literarischen Lesungen und Erklärungen des historischen Kontextes. Sie rechne damit, dass das Buch in einigen Monaten in den Regalen stehen werde. Veröffentlicht wird es im Kopernik-Verlag unter dem Titel „Emir: Fatih's Epic of Five Centuries“.

TRT Deutsch