Der letzte deutschbaltische Türke in Kars: August Albuk. (TRT World)
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Einst lebten knapp hundert Familien deutscher Herkunft in dem kleinen Dorf Karacaören, das früher Paulinenhof hieß. Es liegt in der türkischen Provinz Kars im Nordosten der Türkei. Heute wohnt dort nur noch ein direkter Nachfahre deutschbaltischer Eltern: August Albuk.

Seine Vorfahren kultivierten damals noch Felder und betrieben Viehzucht. Nun sind alle tot oder haben das Dorf verlassen. Seine Eltern hat er auf dem vor über hundert Jahren errichteten Friedhof neben dem Dorf begraben, wo wahrscheinlich 150 bis 200 weitere Deutschbalten unter der Erde liegen. So genau kann man das heute nicht mehr bestimmen, denn der Friedhof ist mit der Zeit in Vergessenheit geraten und droht zu verschwinden. Mit viel Mühe und Improvisation versucht August die Gräber seiner Eltern zu erhalten. Fast alle ehemaligen Dorfbewohner deutscher Herkunft sind bereits vor Jahrzehnten in die Bundesrepublik ausgewandert. Mit ihnen zusammen verschwanden auch die vielen Erinnerungen.

Die Familien waren einst aus deutsch geprägten Gebieten in Estland gekommen. Sie waren wahrscheinlich 1892 von den Russen in das Gebiet um Kars gebracht worden, das damals zwischenzeitlich Teil des Russischen Kaiserreiches war. Mit dabei hatten die etwa 80 deutschen Familien, darunter viele Handwerker, ihre modernen Gerätschaften. Ihr Dorf samt Gotteshaus stampften sie in kurzer Zeit aus dem Boden und tauften es Paulinenhof. Man erzählt sich heute, dass die deutschen Einwanderer mit ihrem landwirtschaftlichen Pioniergeist eine Vorreiterrolle in der Region übernahmen. Bekannt waren sie zudem für ihre alte Käsekunst, die mittlerweile niemand mehr ausübt. Als Kars 1923 Provinz der Republik Türkei wurde, zählte das Dorf immer noch mehrere Hundert Deutschbalten. Ihre Kultur und ihren protestantischen Glauben bewahrten sie über mehrere Generationen hinweg.

Auch August pflegt seine Traditionen, ist aber zugleich eng mit seiner Umgebung verwurzelt, die sich mittlerweile komplett verändert hat. Den Platz, den die vielen deutschen Auswanderer in den 1970er Jahren frei gemacht hatten, übernahmen später turkmenische Bauern aus dem Umland. Wie auch schon seine Vorfahren lebt August in einem freundschaftlichen Verhältnis mit seinen Nachbarn. Verheiratet ist er mit einer Türkin muslimischen Glaubens. Zusammen ziehen sie einen Sohn und zwei Töchter groß. Die Kinder seien zwar getauft, erzählt August, aber sie sollen später selbst entscheiden, welchen Glauben sie annehmen.

Ältere Dorfbewohner erinnern sich noch gut an die Familie Albuk. Der Vater Frederik Albuk soll zu Lebzeiten wohlhabend und großzügig gewesen sein. So habe er oftmals seine Traktoren oder andere Geräte an die Nachbarn ausgeliehen. Es gebe nichts Schlechtes über die Familie zu berichten, erzählt einer der türkischen Bauern aus der Nachbarschaft.

In späteren Jahren haben sich die Lebensumstände geändert. Von den wirtschaftlichen Umbrüchen sei man nicht verschont geblieben, erklärt August. Heute lebt er in bescheidenen Verhältnissen. Die harte Arbeit vergangener Jahre steht ihm ins Gesicht geschrieben. Doch seinen Mut verliert er nicht. Wegzuziehen oder gar auszuwandern ist für ihn keine Option – das hatte sich sein Vater so gewünscht. Frederik war in Karacaören fest verwurzelt. Es war seine Heimat, die er liebte und nie mehr verlassen wollte – auch nicht nach seinem Tod. So wurde er auf dessen Wunsch 1997 im Dorffriedhof begraben. 2011 verstarb seine Mutter Olga, auch sie wurde dort bestattet.

August spricht mittlerweile kaum mehr Deutsch, dafür aber fließend Türkisch. Auch sonst würde man ihn kaum von seinen türkischen Nachbarn unterscheiden können. Nur seine blauen Augen und blonden Haare stechen hervor. Ähnlich wie sein Vater betrachtet er sein Dorf als seine Heimat. In den vergangenen Jahren hat er sich mit verschiedenen Jobs durchgeschlagen. Nun verfolgt er eine neue Geschäftsidee: bunte Blumen in grauen Betontöpfen.

TRT Deutsch