Universitäts-Präsident Metin Tolan: „Jeder Physiker ist ein kleiner Nerd“ (Universität Göttingen)
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von Feride Tavus

Vor mehr als 60 Jahren kam Sani Tolan als sogenannter Gastarbeiter aus der türkischen Stadt Iskenderun nach Deutschland. Mit 27 Jahren heiratete er eine Deutsche und gründete in Schleswig-Holstein eine Familie. Als Maurer war er in ganz Deutschland tätig und baute Industrie-Silos.

Sein Sohn Metin Tolan ist heute ein renommierter Physiker und seit April Präsident der Universität Göttingen. Zuvor war er unter anderem als Professor für Experimentelle Physik an der Technischen Universität Dortmund tätig.

Schon als Kind rechnete Tolan gerne. Später kam die Faszination für James-Bond-Filme dazu.
Im Kino berechnete er im Kopf die theoretische Umsetzbarkeit der Stunts auf der Grundlage der Gesetze der Physik. Das habe ihm Riesen-Spaß gemacht, erinnert sich Tolan. Im Gespräch mit TRT Deutsch erklärt Professor Tolan, warum jeder Physiker ein Nerd sei und was James Bond und Physiker gemeinsam hätten.

Was hat Sie daran gereizt, Ihre Forschungsarbeit an der Uni Dortmund aufzugeben und stattdessen repräsentative und organisatorische Aufgaben in Göttingen zu übernehmen?
Göttingen hat ja eine riesige Physik-Tradition, also die Quantentheorie wurde vor 100 Jahren hier in Göttingen maßgeblich entwickelt. Das ist ja die Theorie, auf der heute unser ganzer technischer Fortschritt beruht. Und deswegen hat Göttingen für einen Physiker schon mal einen ganz anderen Klang als irgendeine andere Stadt.

Mit welchen Aufgaben beschäftigt sich ein Universitätspräsident?

Da beschäftigt man sich mit allem, mit allen Bereichen. Also das geht von Physik über Biologie bis hin zur Archäologie, Philosophie und Germanistik. Also da muss man wirklich sich mit allen Bereichen beschäftigen, allerdings nicht mehr auf forschender Basis, aber trotzdem dadurch, dass man jetzt mit allen Bereichen zu tun hat. Das macht es natürlich besonders interessant.

Hatten Sie schon als Kind den Wunsch, Physiker zu werden?

Es war natürlich wirklich ein Traum, aber ich habe mich immer schon für Physik interessiert. Sie müssen ja wissen, ich bin 1965 geboren. Und das früheste Ereignis, an das ich mich erinnern kann, ist die Mondlandung gewesen. Da hat man sich dann automatisch dafür interessiert: für den Mond, für die Planeten, für die Sterne. Und man hat sich dafür interessiert: Wie funktioniert das alles am Himmel? Und so ist von Anfang an ein Interesse an Wissenschaft, an Physik, an Technik bei mir da gewesen.

Haben Sie als Kind auch mal daran gedacht, James-Bond-Darsteller zu werden?

Nee, das war schon deswegen nicht möglich, weil ich eigentlich ein sehr ängstlicher Mensch bin und das passt ja nicht zu James Bond. Während eines James-Bond-Films bin ich aber auf die Idee gekommen, das mit Physik zu verbinden. Die Szene, die mich dazu gebracht hat, war die Anfangsszene aus dem Film „Golden Eye“ 1995. Da saß ich im Kino und da springt James Bond einem Flugzeug hinterher. Das Flugzeug ist führerlos und fällt von einer Klippe und er springt dem Flugzeug hinterher, holt das Flugzeug in der Luft ein und kann dann mit dem Flugzeug fliegen. Ja, das ganze Publikum hat natürlich gelacht, weil das völlig unrealistisch aussah. Ich habe mir aber sofort überlegt: Könnte das nicht wenigstens theoretisch funktionieren?

Als ein erfolgreicher Physiker, würden sie sich als „Nerd“ bezeichnen – so wie in der Sitcom „The Big Bang Theory”?

Jeder Physiker ist ein Nerd, denn jeder Physiker, den ich kenne, der hat das so ähnlich gemacht wie ich. Dem ist auch von Anfang an irgendwie klar gewesen: Er wird Physiker oder auch sie wird Physikerin. Es gibt heute auch schon viele Frauen, die Physiker sind. Also diese Liebe zur Physik, die entwickelt man irgendwie und dann lässt das einen nicht mehr los. Und deswegen ist jeder Physiker so ein kleiner Nerd, das ist schon gar nicht so falsch.

Haben James Bond und Physiker was gemeinsam?

Ja, James Bond muss sich das ja auch alles ausrechnen. Wenn er sich da mit dem Auto überschlägt, muss er sich ja vorher auch die Geschwindigkeit ausgerechnet haben, mit der er auf die Rampe fährt. Also mit anderen Worten: James Bond muss ein genialer Physiker sein, sonst wäre er schon längst tot.

In Ihren mittlerweile rund 1000 Vorträgen über James Bond und die Physik begeistern sie auch den letzten Physik-Muffel. Steckt in jeden Bond-Fan auch ein Physik-Freund?

Man muss die Substanz vorher durchgerechnet haben und man braucht Physiker, um das überhaupt hinzukriegen. Also beispielsweise den Stunt mit dem Auto, das sich in der Luft dreht. Dieser Stunt, den lasse ich in meinen Physik-Vorlesungen immer richtig durchrechnen. Das kann man ja durchrechnen und das hat man ja auch gemacht, bevor man das wirklich durchgeführt hat. Also mit anderen Worten: Ja, eigentlich müsste jeder James-Bond-Fan auch ein Physik-Fan sein, weil sonst James Bond nicht so schön funktionieren würde.

Welcher James-Bond-Darsteller ist Ihr Favorit?

Mein Favorit ist Pierce Brosnan, der macht das glaube ich am besten. In einem Bond-Film, „Die Welt ist nicht genug“, da verfolgt er am Anfang mit einem Schnellboot ein anderes Schnellboot. Und dann ist es so, dass er mit dem Boot untertauchen muss, unter einem Hindernis durchtaucht. Und da wird er natürlich komplett nass, weil er sich im Wasser befindet. Und als er vollständig unter Wasser ist, richtet er sich seinen Krawattenknoten. Und wer in dem Moment daran denkt, dass er vielleicht nicht so gut aussieht oder nicht so gut gekleidet ist - das ist James Bond und zwar Pierce Brosnan.

Welche Erfahrungen konnten Sie als Wissenschaftler mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungswesen machen?

Es gibt nichts Besseres als Wissenschaft, weil die Wissenschaft ist schon immer so international gewesen, da gibt es keine unterschiedlichen Nationalitäten, da gibt es nur gute Wissenschaft oder nicht gute Wissenschaft. Also die Wissenschaft ist wirklich der beste Raum, um völlig vorurteilsfrei mit Menschen zusammenzuarbeiten, um verschiedene Nationalitäten zusammenzubringen. Das hat Wissenschaft ja auch immer geschafft.

Wie war das in der Schulzeit?

Meine Mutter hatte mir vor der Schule bereits alles beigebracht: Rechnen, Schreiben, ich konnte alles. Ja, und davon habe ich natürlich enorm profitiert. Und deswegen konnte ich ja einfach alles. Da konnte jetzt keiner mehr kommen und sagen: „Oh, das ist ein Türke“ oder so was. Ich konnte ja alles. Meine Klassenkameraden haben ja von mir abgeschrieben. Ja, da gab es natürlich schon ein paar, die dann immer gesagt haben „Oh, dieser Türke“ oder so. Aber auf die war ich ja nicht angewiesen. Ich habe ja die Einsen geschrieben.

Wurden Sie aufgrund Ihres Namens auf Ihre Herkunft angesprochen?

Die Leute erkennen, dass man nicht aus dem Schwarzwald kommt. Das ist schon so. Aber sagen wir mal so: Wenn ich Nachteile hatte, dann haben es mich die Menschen nicht spüren lassen. Dann vielleicht heimlich, so nach dem Motto „der da“, ja, aber nichts, was mir aufgefallen wäre. Es war manchmal, es war sogar früher so, da war so ein Name ja eher ungewöhnlich und der fiel dann immer gleich auf. Und das hat immer auch gleich für eine gewisse Aufmerksamkeit gesorgt. Das ist ja manchmal auch nicht schlecht.

Was empfehlen Sie der türkischen Community?

Ich würde insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund und der türkischen Community empfehlen, etwas Wissenschaftliches oder Naturwissenschaftliches zu machen, weil das ist wirklich das objektiv Beste, was es gibt. Da kann man halt wirklich seine Stärken zeigen, ohne dass man befürchten muss, dass man irgendwie diskriminiert wird. Das ist in anderen Bereichen ja nicht immer so.


Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch