Schweiz und Türkei erneuern ihr Freihandelsabkommen: Was sich nun ändert (AA)
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von Feride Tavus


Am 1. Oktober tritt das modernisierte Freihandelsabkommen (FHA) zwischen der Schweiz und der Türkei in Kraft. Damit soll der Handel zwischen den beiden Ländern ausgebaut werden. Welche Vereinbarungen konkret in dem aktualisierten FHA-Abkommen enthalten sind, erläutert Pressesprecherin Livia Willi vom Eidgenössischen Departement für Wirtschaft in der Schweiz im Gespräch mit TRT Deutsch.

Das überarbeitete Freihandelsabkommen (FHA) zwischen der Schweiz und der Türkei tritt ab Oktober in Kraft. Was ist neu an dieser Vereinbarung?

Das bestehende Freihandelsabkommen (FHA) zwischen der Schweiz und der Türkei ist das älteste unter unseren Freihandelsabkommen, das noch in Kraft ist. Es umfasst den Handel mit Industrieprodukten sowie landwirtschaftlichen Verarbeitungsprodukten und enthält Bestimmungen zum Schutz der geistigen Eigentumsrechte. Der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten wird in einem separaten Briefwechsel geregelt und enthält lediglich einseitige Zollkonzessionen der Schweiz an die Türkei. Das FHA sowie das bilaterale Agrarabkommen wurden modernisiert. An den Zugeständnissen im Bereich der Industrieprodukte ändert sich nichts, diese können bereits jetzt zollbefreit gehandelt werden. Hingegen gibt es Verbesserungen im Bereich der landwirtschaftlichen Verarbeitungsprodukte. Im Agrarbereich erhält nun auch die Schweiz Zugeständnisse für ihre wichtigsten unverarbeiteten Landwirtschaftsprodukte.

Zudem sind mit der Modernisierung neue Bestimmungen zur gegenseitigen Anerkennung der Resultate von Konformitätsprüfungen, zu den Ursprungsregeln, zum Schutz des geistigen Eigentums, zum Dienstleistungshandel sowie zu Handel und nachhaltiger Entwicklung im Abkommen verankert.

Das neue Abkommen soll Diskriminierungen von Schweizer Wirtschaftsakteuren auf dem türkischen Markt vermeiden, die sich insbesondere aufgrund der Zollunion zwischen der Europäischen Union (EU) und der Türkei ergeben könnten. Von welcher Art von Diskriminierungen ist da konkret die Rede?


Die Diskriminierung betrifft verschiedene Bereiche, u. a. auch Landwirtschaftsprodukte. Schweizer Ausführer haben diesbezüglich gegenüber ihren Konkurrenten aus der EU einen Nachteil auf dem türkischen Markt. Mit der Revision des bilateralen Agrarabkommens sichert sich die Schweiz nun auch einen Zugang zum türkischen Markt für wichtige Exportprodukte.
Auch im Bereich der verarbeiteten Landwirtschaftsprodukte konnten Verbesserungen erreicht werden, welche in Zukunft Diskriminierungen vermeiden werden. Eine wichtige Änderung betrifft auch die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen. Für das Inverkehrbringen schweizerischer Produkte auf dem türkischen Markt werden nun die gleichen Regen gelten wie für die Produkte aus der EU.
Und auch im Dienstleistungsbereich und im Bereich des geistigen Eigentums konnten wichtige Lücken geschlossen werden, welche es Schweizer Wirtschaftsbeteiligten in Zukunft erlauben werden, mit mehr Rechtssicherheit und Planbarkeit auf dem türkischen Markt zu agieren.


Welche institutionellen Mechanismen sind für die Umsetzung dieser Bestimmungen vorgesehen?


Wie bei allen FHA gibt es einen Gemischten Ausschuss, um die Verwaltung des Abkommens und die ordnungsgemäße Anwendung der darin enthaltenen Bestimmungen zu gewährleisten. Dieser Gemischte Ausschuss besteht bereits unter dem bestehenden Abkommen. Neu hingegen ist der Einschluss eines Streitbeilegungskapitels. Falls es bei der Anwendung des Abkommens zu Streitfällen kommen sollte, bemühen sich die Parteien auf dem Konsultationsweg um eine gütliche Einigung. Gelingt dies nicht, kann ein zwischenstaatliches Schiedsverfahren in Anspruch genommen werden, bei dem ein Schiedsgericht entscheidet. Der Schiedsgerichtsentscheid ist endgültig und für die Streitparteien bindend.


Wie sieht die wechselseitige Regelung zu Zollkonzessionen für Landwirtschaftsprodukte in der modernisierten Fassung des FHA im Detail aus und wer profitiert am meisten davon?


Die Schweiz und die Türkei räumen einander im Bereich der verarbeiteten und unverarbeiteten Agrarprodukte gewisse zusätzliche Konzessionen ein. Wie bereits zuvor erwähnt, können durch das neu verhandelte Landwirtschaftsabkommen mit der Türkei wichtige Ungleichbehandlungen im Vergleich mit der EU beseitigt werden. Die Türkei gewährt der Schweiz künftig einen präferenziellen Zugang für landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Käse, Butter, Äpfel, Fruchtsäfte, zubereitete Fleischprodukte wie Würste sowie Wein, Tiernahrung und Zigaretten.

Im bestehenden (alten) Abkommen waren lediglich einseitige Konzessionen der Schweiz zugunsten der Türkei vorgesehen. Die Konzession für Käse zum Beispiel stellt einen Vorteil gegenüber den Erzeugnissen mit Herkunft aus der EU dar. Die Türkei gewährt der Schweiz nun ein zollfreies Kontingent von 350 Tonnen für Käse. Angesichts des Umfangs der EU-Ausfuhren liegt das Kontingent der Schweiz im Verhältnis somit deutlich über demjenigen der EU.

Auch im Bereich der unverarbeiteten Landwirtschaftsprodukte gibt es Verbesserungen. Die Türkei gewährt neue Konzessionen unter anderem für Milchprodukte wie Käse, Fleischzubereitungen, Fruchtsäfte, Kaffee, Tee, Tomatenkonserven, Konfitüren, Essig, Tabak, Schokolade, Biskuits, Müesli und bestimmte Säuglingsnahrung.

Die Schweiz gewährt eine verbesserte Behandlung zum Beispiel für Gurken und Cornichons, Olivenöl, Nüsse, haltbar gemachte Kapern und Artischocken, Fruchtsäfte, Süsswein, Kaffee, Tee, Tomatenkonserven, Konfitüren, Essig, Kaugummi, Schokolade, Weizenbulgur und gewisse Biskuits.


Das bilaterale Handelsvolumen zwischen der Türkei und der Schweiz betrug 2020 insgesamt rund 3,1 Milliarden Schweizerfranken. Ist im neuen FHA eine deutliche Anhebung vorgesehen?

Freihandelsabkommen verbessern die Rahmenbedingungen und erhöhen die Rechtssicherheit der Handelsbeziehungen für die beteiligten Akteure. Alle Parteien profitieren von den Möglichkeiten, die sich durch neue Zugeständnisse und einen verstärkten Handel ergeben. Es ist jedoch nicht möglich, zum jetzigen Zeitpunkt bereits eine Prognose zu machen, wie sich das Handelsvolumen entwickelt wird, weil viele Faktoren die Handelsströme beeinflussen können.

Wie groß ist der Anteil der Türkei auf dem Schweizer Absatzmarkt?

Gemäss der Schweizer Statistik war die Türkei im Jahr 2020 auf Platz 23 unter den wichtigsten Märkten für Schweizer Exporte (CHF 1,61 Mrd). Bei den Einfuhren lag die Türkei auf Platz 19 (CHF 1,51 Mrd). Im Jahr 2020 machten die Einfuhren aus der Türkei 0,8 Prozent aller Schweizer Einfuhren (CHF 182,3 Mrd.) aus.

Welche Industriegüter bezieht die Schweiz aus der Türkei?

Die wichtigsten aus der Türkei in die Schweiz importierten Produkte sind Textilien, Automobilteile und Zubehör, Maschinen, Pharmazeutische Erzeugnisse sowie Waren aus Metall (Aluminium, Eisen, Stahl).

Wie sieht es im Dienstleistungssektor aus?

Das modernisierte FHA enthält erstmals auch Bestimmungen zum Dienstleistungshandel. Die EFTA ist einer der ersten Freihandelspartner der Türkei, mit denen das Land substantielle Verpflichtungen im Dienstleistungsbereich eingegangen ist. Die Rechtssicherheit für Schweizer Dienstleistungserbringer wird nun auch auf dem türkischen Markt erhöht. Das Abkommen enthält spezifische Regeln, die über das bestehende WTO/GATS-Niveau hinausgehen. Im für die Schweiz prioritären Finanzbereich handelt es sich beispielsweise darum, die Ausnahme für aufsichtsrechtliche Maßnahmen ausgewogener zu gestalten, die Fristen zur Bewilligung von Lizenzen klar und transparent zu definieren, und die Transparenz betreffend die Kriterien und Verfahren bei der Behandlung von Bewilligungsgesuchen zu verbessern.

Auch das Marktzugangsverpflichtungsniveau der Türkei liegt deutlich über dem in der WTO gebundenen Verpflichtungsniveau, insbesondere für das aus Sicht der Schweiz wichtige Installations- und Wartungspersonal von Maschinen und Anlagen sowie für die Erbringer von Logistikdienstleistungen. Die Türkei ist zudem neue Verpflichtungen und Zugeständnisse eingegangen, wie z. B. für Stagiaires (Praktikanten), bei Finanzdienstleistungen in Bezug auf die grenzüberschreitende Erbringung von Rückversicherungsdienstleistungen sowie bei den Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten und für Flugzeuge sowie im Bereich Straßenverkehr.

Wo sehen Sie die größten Zukunftspotenziale für den wechselseitigen Austausch?


Die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei sind aus wirtschaftlicher Sicht wichtig und vielfältig. In allen Bereichen gibt es ein Potenzial zur Steigerung des Handels. Das Abkommen ist insbesondere auch in Anbetracht der Wertschöpfungsketten, die die Wirtschaftsakteure und die beiden Volkswirtschaften miteinander verbinden, von großer Bedeutung.

Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch