13.12.2013, Baden-Württemberg, Höchsten: Frost überzieht ein Wegekreuz in der Nähe des Berges „Höchsten“ bei Illmensee. (dpa)
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von Ali Özkök & Burcu Karaaslan

In Medien und Politik hat der Münchner Kardinal Reinhard Marx großes Lob dafür bekommen, dass er als äußeres Zeichen der Verantwortungsübernahme für Missbrauchsvorwürfe gegen die Katholische Kirche Papst Franziskus seinen Rücktritt angeboten hatte.

Der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer zweifelt an der Aufrichtigkeit dieses Angebots. Der Wissenschaftler, dessen Forschungsinstitut KFN ursprünglich Missbrauchsvorwürfe gegen die Kirche aufarbeiten sollte, was 2013 am Rückzug der Deutschen Bischofskonferenz scheiterte, wittert ein abgekartetes Spiel.

Im Gespräch mit der TRT Deutsch erklärt er, wie er zu diesem Gedankenspiel kommt und was er an der Rolle von Kardinal Marx als fragwürdig empfindet.

Wenn ich das richtig verstehe, wollte die Kirche am Ende die Kontrolle darüber behalten, welche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse Ihres [2013 durch die Kirche gestoppten] Forschungsprojekts an die Öffentlichkeit gelangen? Können Sie das mal kurz zusammenfassen? In wenigen Worten einfach, dass wir das einfach mal so festhalten können.

Wir hatten einen liberalen, vernünftigen Vertrag ausgehandelt mit der Kirche, einstimmig war dieser verabschiedet worden. Er hätte vor allen Gerichtshöfen Bestand gehabt. Dann wollten wir loslegen mit der Forschung und auf einmal kommt aus München der Gegenvorschlag: „Nein, diese Forschung machen wir nur mit, wenn ihr etwas unterschreibt.“

Wenn ihr akzeptiert, dass jede Veröffentlichung, sei es eine Presseerklärung, sei es eine Doktorarbeit, ein Fachaufsatz, erst einmal von der Kirche genehmigt werden muss. Nur, wenn das akzeptiert wird, kann auch veröffentlicht werden. Da haben wir gesagt: „Das ist Zensur, das ist das Mittelalter. So können wir nicht zusammenarbeiten.“ Das Projekt scheiterte.

Die Folge war, dass dann die Kollegen, die nach uns kamen, auch nur ohne Transparenz arbeiten konnten. Der ihnen von der Kirche zur Verfügung gestellte Datensatz betraf nur Deutschland insgesamt. Er ermöglichte es also nicht, für jedes Bistum getrennt zu klären, wie man dort jeweils mit Tätern und Opfern umgegangen ist. Auch das hatte Kardinal Marx als Sprecher der Bischofskonferenz zu verantworten.

Kardinal Woelki hat das wenigstens für Köln ermöglicht, dass man Verantwortlichkeiten ermitteln konnte. Aber das freilich wiederum so, dass man weiterhin die Frage im Raum stehen hat: Hat denn Woelki alles richtig gemacht? Das blieb ungeklärt.

Eine interessante Perspektive eröffnet sich aus ihren Schilderungen hinsichtlich des Rücktrittsersuchens, das Kardinal Marx an den Papst gerichtet hatte. Inwiefern könnte dieses, was Sie ja an anderer Stelle schon ein bisschen angedeutet haben, gewissermaßen Showcharakter gehabt haben?

Am 21. Mai war Kardinal Marx in Rom und hat persönlich sein Rücktrittsgesuch vorgestellt. Er hat den Text verlesen. Es gab Bildberichte von ihm und der Papst hat sich intensiv mit ihm darüber unterhalten, ob das nötig ist und richtig ist, dass er diese Rücktrittsankündigung öffentlich macht. Und dann habe ich mich gefragt: Haben die beiden etwa nicht auch gleich darüber gesprochen, ob der Papst dieses Rücktrittsgesuch annimmt?

Normalerweise würde man das doch tun, wenn man miteinander spricht und er extra nach Rom reist und er auch noch ergänzt, er hätte in der Zwischenzeit, bevor dann seine Rücktrittserklärung kam, mehrfach mit dem Papst telefoniert.

Also war es dann so, frage ich, dass er erst einmal Ruhm und Ehre einheimsen wollte für diesen großen Schritt? „Ich will zurücktreten, weil wir als Kirche Fehler begangen haben unter meiner Leitung, und ich selber auch persönlich Fehler begangen habe.“ Und dann kommt Beifall von allen Seiten, Respektbekundungen und er hat einen super Stand in der Öffentlichkeit. Und dann kommt der Papst und sagt: „Nein, Kardinal Marx, auf Sie können wir nicht verzichten. Bitte um Fortsetzung Ihrer Aktivitäten.“ War das abgesprochen?

Erst einmal ein gutes Image kriegen und sich ein bisschen sonnen dürfen in Respekt und Anerkennungsbekundungen aus der Politik und aus den Medien. Und dann darf er seinen Weg fortsetzen. War das von vornherein der Plan? Mich hat nur gestört, dass die Journalisten in Deutschland diese Fragen nicht offen gestellt haben. Ganz wenige Zeitungen haben so etwas angedeutet.

Vielleicht gab es eine Absprache zwischen Papst und Marx. Wir wissen es nicht. Aber dass unsere Medien so passiv blieben und die Option nicht einmal erwogen, dass das alles ein abgekartetes Spiel, eine Art Theater zwischen beiden sein könnte… um Marx einen Superstart in eine Zukunft als Anführer der inneren Reform Deutschlands in der Katholischen Kirche optimalen Stabs zu ermöglichen. Diese Frage war mir zu wenig in der Öffentlichkeit. Die Antwort können nur die beiden geben, aber sie müsste beiden überhaupt erst mal gestellt werden.

Zuletzt lobte auch Bundesaußenminister Heiko Maas Kardinal Reinhard Marx mit den Worten, er sei dankbar, dass Marx der Katholischen Kirche in Deutschland und auf der Welt erhalten bleibe als jemand, der die Kraft seiner Führung suche und sich so im Austausch mit allen Teilen der Kirche befinde. Können Sie diesen Aussagen zustimmen – oder inwiefern inszeniert denn auch hier die politische Seite jetzt diese Entwicklung? Es gibt einen spannenden Vorgang, den ich selber zur Diskussion stelle: 2019 hatte der Papst eine Weltkonferenz organisiert. Man nennt sie den Missbrauchsgipfel von 2019 und da hat er dem Kardinal Marx eine große Aufgabe gegeben. Er hat eine Rede gehalten, die wirklich exzellent ist, über Transparenz. Und klargemacht: „Wir als Katholische Kirche kommen nur voran, wenn wir endlich mit der Heimlichtuerei um die Missbrauchsgeschichten Schluss machen. Wenn wir Transparenz herstellen: Wer hat Verantwortung? Was haben wir falsch gemacht?“ Das war ein fulminanter Inhalt. Er hat allerdings kein Wort darüber verloren, dass er selber der Verhinderer von Transparenz in Deutschland war. Zum Beispiel darüber, dass eine riesige Anzahl von Priestern weitermachen durfte, trotz der Beschuldigung eines Missbrauchs, an irgendeinem anderen Ort, in einer anderen Diözese, in die sie versetzt wurden oder in einer anderen Gemeinde. Diese Dinge hatte Marx selber verhindert in seiner Rolle als Rächer der Bischöfe. Das hätte er in Rom schon auch ansprechen können. „Ich selber habe nicht immer für Transparenz gestanden“ - diese selbstkritische Position fehlte in dieser Rede. Lauter offene Fragen, die in meinen Augen gestellt werden müssen. Hat er Priester weiterbeschäftigt, obwohl sie als Beschuldigte von Missbrauch feststanden? Oft werden auch Geistliche oder Erzieher beschuldigt, die zum Teil sogar schon lange verstorben sind und deshalb wenig Möglichkeit haben, den Anschuldigungen entgegenzutreten. Ist es da nicht bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar, dass die Kirche sich vor falschen Behauptungen oder Anschuldigungen und Trittbrettfahrern schützen will, die es einfach nur aufs Geld abgesehen haben? Die verschiedenen Opfer-Organisationen haben sich 2019 parallel zu dem Missbrauchsgipfel ebenfalls in Rom getroffen. Sie haben folgende Grundregel aufgestellt: „Ein Priester, der ein Kind missbraucht hat, muss aufhören als Priester. Ein Bischof, der einen Priester als Täter gedeckt hat, muss als Bischof zurücktreten. Diese Forderungen sind transparent und bisher nirgends konsequent umgesetzt.“ Zweitens, wir haben in unserer eigenen Forschung herausgefunden: Gläubige Katholiken leiden unter einem Missbrauch sehr viel stärker als Menschen, die dem Glauben ferne stehen und nur weil die Eltern es wollten, als Kind mitgemacht haben bei katholischen Aktivitäten oder als Messdiener oder Dienerin in einer Kirchengemeinde. Also dem muss die Kirche Rechnung tragen. Dass es für die Menschen in der Therapie richtig schwierig war, mit ihrem Glauben klarzukommen. Die Menschen leiden stärker als Opfer des Missbrauchs durch Priester als die, die durch einen Lehrer oder einen Sporttrainer missbraucht worden sind. Das ist nachgewiesen durch Forschung, das muss ich auch umsetzen in den Schadensersatzleistungen. Die Kirche hat zu wenig Engagement gezeigt, in Deutschland ebenfalls dem Schaden gerecht zu werden, den sie angerichtet hat. Da gibt es doch was zu tun. Und dann die Menschen als Trittbrettfahrer zu bezeichnen, ist einfach völlig falsch. Denn wer öffentlich sich bekennt „Ich bin Opfer“, der er ist erst einmal einer, der ein Stigma öffentlich macht. Das ist eine Art Selbstbeschädigung, wie man gleichzeitig begeht, wenn man sich in die Medien begibt und sagt: „Ich bin missbraucht worden.“ Deswegen mein großer Respekt vor denen, die das getan haben. Mein Appell an die Kirche ist in diesem Sinne, den Konflikt zu sehen, den gläubige Katholiken haben, wenn sie einen Priester des Missbrauchs beschuldigen. Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch