Gaza: Stolperstein für Bidens Wiederwahl?
Weniger als ein Jahr vor der Wahl steht es nicht gut um eine Wiederwahl Bidens. Insbesondere seine Israelpolitik könnte ihm in Bundesstaaten mit vielen Wechselwählern (Swing States) den Wiedereinzug ins Weiße Haus kosten.
Archivfoto: US-Präsident Biden. / Photo: AA (AA)

Bidens Umfragewerte stürzen immer weiter nach unten und befinden sich derzeit auf einem historischen Tiefstand: Ganze 55 Prozent sind mit seiner Regierungsperformance zufrieden, nur knapp 39 Prozent finden Gefallen an seiner Regierungsarbeit. Gegenüber seinem derzeitig wahrscheinlichsten Herausforderer, dem ehemaligen Präsidenten Donald J. Trump, hinkt er nicht nur drei Prozentpunkte hinterher. Er unterliegt ihm auch in jedem der wichtigen Bundesstaaten mit besonders vielen Wechselwählern. All dies geschieht trotz der wirtschaftlich relativ guten Entwicklung des Landes. Weniger als sein direkter Herausforderer auf republikanischer Seite schaden ihm zusätzlich die Vielzahl an unabhängigen Kandidaten, vor allem jene aus einem linken Spektrum wie der Philosophieprofessor und Menschenrechtler Cornel West.

Außenpolitik als Faktor?

Außenpolitische Fragen sind generell nicht bestimmend für Wahlmotive in einem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Und auch wenn noch einige Monate Zeit vergehen werden bis zum Wahlkampfduell, so zeichnet sich eines ab: Der Dauerbeschuss Israels auf den Gazastreifen lässt die breite Koalition, die 2020 Biden den Einzug ins Weiße Haus ermöglicht hatte, bröckeln. Insbesondere wenn es um den israelisch-palästinensischen Konflikt geht. Wie eine neue Umfrage zeigt, sind nur 33 Prozent der Wählerschaft mit Bidens Politik in diesem Zusammenhang zufrieden, während 57 Prozent sie ablehnen. 46 % gehen davon aus, dass Trump hier einen besseren Job machen würde als Biden, dem 38 Prozent dies zutrauen. Insbesondere die Jungwähler stechen hier heraus: Dreiviertel aller 18- bis 29-Jährigen sind mit Bidens Management des Krieges in Gaza unzufrieden, gut die Hälfte würde bei einer Wahl ihr Kreuzchen hier bei Trump machen.

Der Faktor Gaza bei Wechselwählern

Während Muslime und arabischstämmige Wähler eine Minderheit in den Vereinigten Staaten ausmachen, zählen sie umso mehr in jenen zentralen Swing States, wo tatsächlich jede einzelne Stimme ausschlaggebend sein kann. Die Biden-Kampagne hatte es 2020 geschafft, hier klare Akzente zu setzen. So hieß es 2020 noch: „Joe versteht auch den Schmerz, den muslimische Amerikaner angesichts dessen empfinden, was in Ländern mit muslimischer Mehrheit und in Ländern mit bedeutenden muslimischen Bevölkerungsanteilen geschieht.“ Doch nun fühlen sich mehr muslimische Amerikaner in einem wichtigen Swing State vom Präsidenten im Stich gelassen und sagen, dass sie „niemals für Biden stimmen werden.“ In der Tat könnte Biden auf massive muslimische Unterstützung in Michigan zählen, das mit 240.000 Muslimen eine der größten arabischen und muslimischen amerikanischen Bevölkerungen des Landes beherbergt. Im Jahr 2020 gewann Biden dort mit einem leichten Vorsprung von 150.000 Stimmen.

Doch während die Unterstützung Israels im Senat und im Kongress weitgehend parteiübergreifender Konsens ist, könnten die Stimmen der Muslime und Araber in wichtigen Swing States den Ausschlag geben, da sie sich in einem Dilemma befinden. Eine weitere Unterstützung Bidens würde bedeuten, dass sie Israels Krieg weiter unterstützen, der zu mehr als zwanzigtausend Toten im Gazastreifen und Hunderten in der Westbank geführt hat, und dass viele Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft verhaftet werden. Eine Ablehnung Bidens könnte jedoch zu einer noch schlechteren israelisch-palästinensischen Politik führen, vor allem, wenn Trump sein einziger realistischer Herausforderer werden sollte.

Palästina als Mobilisierungsthema

Auch wenn Muslime und arabischstämmige Amerikaner keine einheitliche Wählergruppe darstellen, hat eine Mehrheit 2020 eindeutig für Biden gestimmt. Selbst inmitten der Pandemie stimmten sechs von zehn Muslimen Bidens Arbeitsleistung zu, was bemerkenswert höher ist als in der Allgemeinheit (42 %). Unabhängig von der innermuslimischen und innerarabischen Diversität stellt die Palästina-Frage für viele Araber und Muslime ein verbindendes Thema dar und überschreitet viele andere politischen, klassenmäßigen, religiösen oder geschlechtsspezifischen Grenzen.

In einem offenen Brief des National Muslim Democratic Council forderten diese nicht nur einen sofortigen Waffenstillstand, sondern versprachen auch, „muslimische, arabische und verbündete Wähler“ zu mobilisieren, um „jedem Kandidaten, der die israelische Offensive gegen das palästinensische Volk unterstützt, die Unterstützung zu verweigern.“ Kurz gesagt: Kein Waffenstillstand in Gaza bedeutet keine Stimmen für Biden. Führende Persönlichkeiten aus der eigenen Partei wie die palästinensisch-amerikanische Abgeordnete Rashida Tlaib machten dies in ihrer Botschaft an Biden deutlich: „Rechnen Sie nicht mit unserer Stimme im Jahr 2024“.

Unabhängige Gegenkandidaten wie Cornel West nutzen die Gunst der Stunde und beziehen eine klare Stellung, die vor allem die junge Wählerschaft wie auch die arabische und muslimische Wählerschaft ansprechen kann. Aber würde eine massive Unterstützung eines Unabhängigen zu noch schlechteren Ergebnissen führen, ähnlich wie es viele Demokraten im Jahr 2000 empfanden, als Ralph Nader von der Grünen Partei Al Gore vom Weißen Haus fernhielt und den Weg für Bush junior ebnete?

Trump II?

Gegenstimmen lenken ein: Sollte es Trump gelingen, erneut für die Republikaner zu kandidieren, würde dies die Politik der Vereinigten Staaten gegenüber den Palästinensern nicht noch weiter verschlechtern? Während Trump als der am wenigsten interventionistische Präsident der letzten zwei Jahrzehnte in der Außenpolitik in Erinnerung geblieben ist, hat er auch das getan, was jeder andere Präsidentschaftskandidat bei seinem AIPAC-Besuch versprochen, aber nie in die Praxis umgesetzt hatte: Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen und die US-Botschaft dorthin zu verlegen.

Einem Bericht über Trumps Einwanderungspläne für 2025 zufolge will er im Falle seiner Wiederwahl seine früheren drakonischen Gesetze ausweiten und verschärfen. Unter anderem soll eine seiner ersten Durchführungsverordnungen, die als „Muslim Ban“ berüchtigt geworden ist und an Bidens erstem Tag im Amt beendet wurde, wieder in Kraft gesetzt werden. In Bezug auf Palästina versucht Trump Berichten zufolge, Visa für ausländische Studenten zu annullieren, die an israelfeindlichen oder pro-palästinensischen Kundgebungen teilnehmen, und weist die US-Konsulate an, die ideologische Überprüfung von Visabewerbern auszuweiten, um Personen auszusperren, die die künftige Trump-Regierung für unerwünscht hält. Was würde es angesichts dieser Aussichten für das mittelfristige Ergebnis einer Trump-Präsidentschaft bedeuten, bei den Präsidentschaftswahlen 2024 zu Hause zu bleiben, auch in Bezug auf die Palästina-Frage?

Dilemma

Wäre Biden dann nicht das „kleinere Übel“, wie es der libanesisch-amerikanische Politikberater Hussein Dabajeh bezeichnete? Er scheint, wie viele andere auch, darauf festgelegt zu sein, Biden fallen zu lassen. Angesichts mehrerer Tausend Zivilisten, die jeden Tag sterben, angesichts von Kindern und älteren Menschen, die in Krankenhäusern sterben, angesichts von Krankenhäusern, die mit amerikanischen Steuergeldern bombardiert werden: „Ich denke, die Botschaft, die unsere Gemeinschaft verkünden wird, lautet: Geht wählen, zeigt ihnen, dass wir zahlreich sind, aber wählt niemanden.“ So sehen es viele andere bekannte Persönlichkeiten. Die Macht der Bilder und das Leid übertrumpfen jedes wahltaktische Kalkül.

Jede Verlängerung des Krieges bedeutet für Biden das Schrumpfen seiner Chance, 2024 wiedergewählt zu werden.

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