Osteuropa-Experte: Türkei auch ohne EU ein wichtiger Akteur in Europa
Der polnische Sicherheitsexperte Dr. Bornio von der Universität Breslau rechnet zwar nicht damit, dass die Türkei militärisches Know-how teilen wird. Dennoch werde sie künftig auch für Polen, Rumänien oder die Ukraine ein wichtiger Partner bleiben.
Der polnische Präsident Duda (l.) zu Besuch bei einer Pressekonfernz mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan (r.) in Ankara.  (AA)

von Ali Özkök

Der Ankauf von 24 Bayraktar-Drohnen aus türkischer Produktion durch Nato-Partner Polen hat innerhalb des gesamten Bündnisses Aufmerksamkeit erregt. TRT Deutsch hat aus diesem Anlass mit Dr. Jakub Bornio von der Universität Breslau gesprochen, der Politikwissenschaftler mit Spezialgebiet „Internationale Beziehungen“ ist und unter anderem in der Regionalvertretung der Europäischen Kommission tätig war. Bornio forscht unter anderem zum Themenkomplex der europäischen Sicherheit mit Schwerpunkt Osteuropa. Der Beitrittsprozess der Türkei zur EU mag stocken. Der Drohnen-Deal mit Polen und die militärische Zusammenarbeit mit der Ukraine zeigen jedoch ihre Bedeutung im östlichen Teil Europas. Wie wird die Zusammenarbeit zwischen Ankara und Osteuropa künftig aussehen? Zunächst einmal ist zu betonen, dass Europa und die EU nicht so kohärent sind und nie waren, wie manche es gerne hätten. Auch nicht ihre Außenpolitik. Oder genauer gesagt, ihre „Außenpolitiken“. Daher gibt es große Unterschiede, wenn es um die Haltung verschiedener europäischer Hauptstädte gegenüber Ankara geht. Auch wenn - wie Sie richtig bemerkt haben - nicht zu erwarten ist, dass die Türkei in nächster Zeit der EU beitreten wird, und vielleicht hat die Türkei insgeheim selbst dieser Idee abgeschworen, bleibt sie ein wichtiger Akteur, der Europa in wirkungsvoller Weise beeinflussen kann. Allerdings unterscheiden sich die Sorgen und Interessen der Europäer erheblich voneinander. Während die West- und Südeuropäer vor allem über den Migrationsdruck besorgt sind, den sich die Türkei recht effektiv zunutze macht, sehen einige Mittel- und Osteuropäer die Türkei als Partner im Kampf gegen Russland oder als entscheidendes Element in den Verhandlungen mit anderen Partnern, z. B. den USA. Ein mögliches türkisches Engagement im Ostsee-Schwarzmeer-Korridor hat das Potenzial, die regionale Sicherheit zu verändern. Ich beziehe mich hier hauptsächlich auf die Ostflanke der Nato. Doch trotz der kürzlich eingeleiteten polnisch-türkischen Zusammenarbeit hat sich bisher nicht viel getan. Dabei geht es nicht nur um konkrete Initiativen/Aktivitäten, sondern vielmehr um Glaubwürdigkeit und gegenseitiges Vertrauen. Die Länder der Region sind zu Recht besorgt über den geopolitischen „Alleingang“ der Türkei in letzter Zeit. Gleichzeitig bleibt die Türkei ein Schlüsselelement des Schwarzmeer-Sicherheitskomplexes. Einerseits ergreift Brüssel mit großem Eifer Maßnahmen gegen Polen und die Türkei wegen angeblicher Defizite in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Auf der anderen Seite beklagen sie russische Hegemonialbestrebungen, die nur von Ländern wie Polen und der Türkei wirksam bekämpft werden. Wie ordnen Sie diese widersprüchlichen Signale ein? Was ist mit Brüssel gemeint? Das institutionelle und rechtliche Gefüge der EU ist zu komplex, um es mit diesem stark vereinfachten Bild vom „supranationalen Brüssel“ zu beschreiben. In Wirklichkeit - um es möglichst einfach auszudrücken - gibt es zwischenstaatliche und supranationale Institutionen innerhalb der EU. Und deren Politik gegenüber „Demokratiedefiziten“ in Polen und der Türkei, aber auch in Ungarn unterscheidet sich erheblich. Wenn es um Außenpolitik und Russland geht, sind es eher die Mitgliedsstaaten (plus die Europäische Kommission, wenn es um die Außenwirtschaftsbeziehungen geht), die dafür zuständig sind, und deren Politik ist sehr zweideutig. Sie hat ihren Ursprung vor allem in der unterschiedlichen geopolitischen Position der Länder und im Fehlen einer gemeinsamen europäischen Wahrnehmung Russlands. Darüber hinaus gibt es nicht so etwas wie ein gemeinsames Verständnis der internationalen Rolle Russlands. Auch die nationalen Interessen sind unterschiedlich. Im wahrsten Sinne des Wortes verhalten sich einige EU-Mitgliedstaaten so, als wollten sie den Kuchen haben und auch essen. Selbst 2014 gab es unter den Westeuropäern wenig Sympathie und Verständnis für die Sorgen an den EU-Ostgrenzen. Denken Sie daran zurück, wie problematisch es war, Deutschland davon zu überzeugen, dass eine Militarisierung der Nato-Ostflanke notwendig ist. Und es gibt immer noch nicht viele Nato-Truppen vor Ort im Baltikum.

Was die „widersprüchlichen Signale“ der USA angeht, wie Sie sie beschrieben haben, gibt es die verbreitete Meinung, dass die USA nur mit demokratischen Regimen Bündnisse eingehen. Saudi-Arabien ist jedoch ein perfektes Beispiel dafür, dass dies nicht zwingend notwendig ist. Die USA haben natürlich ihre strategischen Interessen, und sie haben auch jedes Recht, diese zu wahren. Und es gibt keinen Grund, warum wir denken sollten, dass die USA sich von anderen Ländern oder Großmächten unterscheiden und andere Eigenschaften höher bewerten als ihre nationalen Interessen. Die USA sind ein Hegemon. Sie sind sich ihrer Rolle voll bewusst und wissen, wie sie ihren Vorteil gegenüber anderen Ländern, einschließlich Verbündeten, nutzen können. Vor allem dann, wenn sie zum einzigen Garanten für deren Sicherheit werden, wie im Falle Polens. In diesem Sinne könnten angebliche „Demokratiedefizite“ ein perfektes Druckmittel werden. In Teilen Polens und der Ukraine hat die Idee eines Intermariums an Bedeutung gewonnen, also eines eigenständigen Machtblocks der mittel- und osteuropäischen Mächte als möglicher Puffer zwischen dem „alten Europa" und Russland. Wohin wird sich dieses Denkmodell Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln - und welche Rolle würde die Türkei dabei spielen? Das Intermarium ist eine relativ alte Idee, die ihren Ursprung im 20. Jahrhundert im politischen Denken von Józef Piłsudski hat. Das Konzept sah vor, eine Föderation von Ländern zu schaffen, die das Gebiet des ehemaligen polnisch-litauischen Commonwealth umfasst. Dennoch ist das Konzept tief in den Köpfen und Seelen der Polen verwurzelt, und überraschenderweise wurde es in einigen Kreisen in der Ukraine attraktiv, da Kiew verzweifelt nach Verbündeten sucht. Ich glaube nicht, dass das Konzept in seiner ursprünglichen Form übernommen werden kann. Dennoch bietet es eine große Chance, eine politische, diplomatische und soziale Einheit unter den Nationen zu schaffen, die sich auf das Erbe des Commonwealth berufen. Und solche Signale gibt es bereits. Im Jahr 2020 gründeten Litauen, Polen und die Ukraine das sogenannte Lubliner Dreieck und waren bereit, Weißrussland in die Plattform einzuladen. Ich denke, dass die Türkei eine viel größere Rolle an der Ostflanke der Nato zu spielen hat, da Ankara zusammen mit Bukarest von Warschau als eine der Säulen dieser Plattform wahrgenommen wird. Ein solches Narrativ wird mindestens seit 2019 wiederholt. Auf dem letzten Duda-Erdogan-Gipfel wurden einige Hoffnungen auf die Zusammenarbeit Warschau-Bukarest-Ankara gesetzt. Es gibt bereits die Three Seas Initiative (3SI) als Verbund für die Entwicklung von Infrastruktur und Binnenhandel. Welches Potenzial hat dieses Projekt über diese Bereiche hinaus? Trotz des deklarativ rein wirtschaftlichen Charakters ist die Initiative von großer geopolitischer und geostrategischer Bedeutung. Man sollte bedenken, dass die Strecken-, Schienen-, Technologie- und Übertragungsinfrastruktur - die alle hinter der 3SI stehen - nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die militärischen Fähigkeiten der Nato und der beteiligten Staaten stärken. Wenn die Entwicklung der Infrastruktur fortgesetzt wird, könnte sie auch die strategischen Ströme innerhalb der Europäischen Union neu gestalten und die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten stärken. Auch die Unterstützung der USA für die Initiative ist bedeutsam. Es ist kein Geheimnis, dass die langjährige Politik der Angelsachsen darin besteht, die deutsch-russische Zusammenarbeit zu verhindern/begrenzen. Auch in der Rivalität mit China möchte Washington die EU auf seiner Seite haben. Aus US-Sicht ist die 3SI ein Gegengewicht zum chinesischen Engagement in der Region, das mit der 17+1-Initiative (jetzt wieder 16+1) deutlich geworden war. Welche bilateralen Projekte zwischen Polen und der Türkei sind in naher Zukunft nach dem vielbeachteten Drohnenkauf zu erwarten? Ich glaube nicht, dass die Türkei bereit ist, eine intensivere militärische Zusammenarbeit voranzutreiben, auch wenn Polen einige türkische Truppen an der Ostflanke der Nato sehen möchte, einschließlich solche auf polnischem Boden. Der türkische Militärsektor hat viel zu bieten, ist aber gleichzeitig nicht bereit, sein Know-how mit den polnischen Kollegen zu teilen. Das ist es aber, was Polen anstreben würde. Das bereits erwähnte Dreieck Polen-Rumänien-Türkei auf gehobener Präsidentenebene ist in naher Zukunft erreichbar. In Bezug auf die wirtschaftlichen Beziehungen gibt es noch viel zu tun. Dieser Bereich der Zusammenarbeit wurde von Präsident Erdoğan auch nach dem jüngsten Treffen mit Präsident Duda stark betont. Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch