„Medial verzerrtes Bild von Türkei größte Hürde für Geschäftsbeziehungen“ (BWA)
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Von Feride Tavus

Michael Schumann ist Vorsitzender des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Aussenwirtschaft (BWA). Der Verband unterstützt seit 15 Jahren Mitglieder aus dem Mittelstand und Großunternehmen bei der Umsetzung von Geschäftsprojekten im Ausland. Im Interview erläutert er wichtige Aspekte zu den Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei. Die gegenwärtige Wirtschaftslage in dem Land begünstige ein „antizyklisches Investitionsverhalten“. Darin sieht der BWA-Präsident eine Chance für deutsche Unternehmer. Zugleich kritisiert er die Berichterstattung in den deutschen Leitmedien über die Türkei. „Das medial verzerrte Bild“ stelle „die größte Hürde“ für die bilateralen Geschäftsbeziehungen dar.


Wie sehr haben die wirtschaftlichen Beziehungen mit der Türkei unter der Corona-Pandemie gelitten?

Die Corona-Krise stellt sowohl für die Türkei als auch für Deutschland einen Wirtschaftseinbruch von bisher ungekanntem, historischem Ausmaß dar. Nach Angaben des türkischen Statistikamtes vom 31. August 2020 lag die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal des Jahres um elf Prozent unter der des ersten Quartals. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Einbruch um 9,9 Prozent zu verzeichnen. Für den BWA ist die Stärkung des außenwirtschaftlichen Engagements deutscher Unternehmen als Weg aus der Krise ein entscheidender Faktor, weshalb wir insbesondere jetzt für eine verstärkte Zusammenarbeit mit Partnern in der Türkei werben, um gemeinsam diese Krise erfolgreich zu meistern.


Derzeit sind laut dem Auswärtigen Amt mehr als 7400 deutsche Unternehmen in der Türkei engagiert. Wie hoch ist nach Ihrer Schätzung die Kapitalbeteiligung in der Türkei?

Nach Angaben der deutschen Auslandsvertretungen in der Türkei beträgt das Investitionsvolumen deutscher Unternehmen in der Türkei seit 1980 etwa 14,5 Mrd. US-Dollar. Bei den meisten dieser Investitionen handelt es sich um langfristige Neuinvestitionen, die zur nachhaltigen Schaffung von hunderttausenden Arbeitsplätzen beitragen.


Die Türkische Lira hat derzeit mit Kursschwankungen zu kämpfen. Werden die deutschen Unternehmer dadurch abgeschreckt - oder ist dieser Umstand ein zusätzlicher Anreiz für Investitionen?

Die gegenwärtige Situation begünstigt ein antizyklisches Investitionsverhalten, worin ich eine Chance für deutsche Unternehmer sehe, die es zu nutzen gilt. Dank guter Rücklagen aus den letzten Jahren hat der deutsche Mittelstand aktuell die Möglichkeiten, trotz der Corona-Krise auch an Investitionen zu denken. Auf der anderen Seite sollten wir nicht übersehen, dass der Fall der Lira für die Menschen und die Kaufkraft in der Türkei mit massiven Herausforderungen verbunden ist. Aber auch dieses Tal wird durchschritten und die Türkei wird als regionale Gestaltungsmacht und wichtiger Wirtschaftsstandort im östlichen Mittelmeerraum tendenziell an Bedeutung zunehmen.


Machen der Erdgasfund im Schwarzen Meer und der Ausblick auf weitere Entdeckungen von Energiequellen die Türkei für Investoren attraktiver?

Die Erschließung neuer Ressourcen ist aus meiner Sicht grundsätzlich zu begrüßen. Von oberster Priorität ist die Stabilität in der Mittelmeerregion und wir plädieren für eine besonnene und friedliche Kommunikation zwischen allen Akteuren auf bilateraler und multilateraler Ebene. Deutschland sollte sich in Bezug auf die Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland in Zurückhaltung üben, da diese Fragen letztendlich nur von den beteiligten Ländern selbst gelöst werden können.


Was bildet derzeit die größte Hürde für Unternehmen, die ihre Geschäftsbeziehungen mit der Türkei weiter auszubauen wollen?

Aus meiner Sicht ist das medial verzerrte Bild, das in deutschen Leitmedien von der Türkei gezeichnet wird, die größte Hürde für die weitere Intensivierung der bilateralen Geschäftsbeziehungen. Die reflexartigen politischen Diskurse über die Türkei entziehen sich meist einer fundierten Kenntnis der Wirklichkeit und liegen nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft. Hier bedarf es aus meiner Sicht einer grundlegenden Kurskorrektur in der deutschen Außenpolitik.


Könnte die Politik mehr tun, um die Wirtschaftsbeziehungen zu intensivieren?

Die Türkei und Deutschland sind durch eine lange Geschichte miteinander verbunden, die bis zu den Beziehungen des Deutschen Kaiserreichs mit dem Osmanischen Reich zurückreicht. Unsere türkischstämmigen Mitbürger tragen heute einen erheblichen Teil zur Wertschöpfung des Wirtschaftsstandortes Deutschland bei. Vor diesem Hintergrund sollten wir die Corona-Krise auch als eine Chance nutzen, um die deutsch-türkische Partnerschaft im positiven Sinne neu zu justieren und zusammen gestärkt aus dieser Prüfung hervorzugehen.


Vielen Dank für das Gespräch!




TRT Deutsch