VW in der Coronakrise (dpa)
Folgen

Die Folgen der Coronavirus-Pandemie schlagen jetzt auch in Deutschland und Europa voll auf die Produktion von Volkswagen durch. Der weltgrößte Autokonzern muss nach Unterbrechungen in China auf dem Heimatmarkt ebenfalls die Fertigung in zahlreichen Werken wegen der Ausbreitung des neuen Erregers vorübergehend aussetzen. Mit den vorgelegten Zahlen für 2019 schnitt VW noch gut ab. An den allermeisten Standorten solle am Freitag die letzte Schicht laufen, hieß es aus dem Betriebsrat in Wolfsburg. In den vergangenen Tagen hatte es auch in deutschen VW-Fabriken erste bestätigte Fälle von Infektionen mit dem Sars-CoV-2-Virus gegeben, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslösen kann. Der Betriebsrat beriet in mehreren Krisensitzungen mit dem Vorstand über die Lage.

Weitere Virusverbreitung einzudämmen hat Priorität

Vorstandschef Herbert Diess sagte, es sei nun Priorität, Standorte abzuschalten, um die weitere Virusverbreitung einzudämmen. Man sei aktuell „in Diskussionen, wie wir beginnend in dieser Woche die Werke runterfahren“. Es zeichne sich ab, dass die Fabriken in Deutschland und Europa für zwei bis drei Wochen pausieren müssen. Das Unternehmen gehe davon aus, dass man die kommende Zeit insbesondere in Deutschland aber mit Kurzarbeitergeld überbrücken könne. Hierzu hatte die Bundesregierung kürzlich Erleichterungen auf den Weg gebracht. Der Betriebsrat erklärte, bei den Gesprächen mit dem Vorstand sei es vor allem um die Lage im „direkten Bereich“ gegangen, „wo auf den Montagelinien Schulter an Schulter an unseren Fahrzeugen gearbeitet wird“. Das Robert-Koch-Institut empfehle etwa Mindestabstände, die an den Stationen aber oft nicht einzuhalten seien. „Wir dringen hier auf verbindliche Ansagen“, hieß es in Richtung Management. Es gab heftige Kritik, viele Mitarbeiter würden nicht ausreichend informiert und beraten. Die Unterbrechung am Freitag komme zu spät. Es sei nicht einzusehen, warum Kollegen „ohne klare Worte aus dem Management für ein paar hundert Autos mehr eine Ansteckung riskieren sollen, die sie dann womöglich früher oder später nach Hause tragen“.

VW Vorstandschef Herbert Diess (DPA)

Gesundheit der Belegschaft hat Vorrang

In einem Schreiben der Konzernbetriebsräte hieß es: „Das neuartige Coronavirus sorgt für eine unwirkliche Situation. Sie bereitet vielen Menschen Sorgen, etlichen macht sie auch Angst.“ Auch der Aufenthalt in engen Team-Räumen sei in der Produktion nicht mehr zu halten. Diess betonte, es sei am wichtigsten, die Gesundheit und Sicherheit der Belegschaft sowie von deren Familien sicherzustellen: „Oberstes Ziel ist es, die Ausbreitung des Coronavirus so stark wie möglich zu verlangsamen.“ Welche genauen Folgen der Schritt für das weltweit verzweigte Produktionsnetz der VW-Marken hat, war zunächst unklar. Für die USA sieht das Management derzeit noch keine Konsequenzen - anders als etwa für Werke in Spanien, Italien oder der Slowakei. Die deutschen VW-Standorte waren nach jüngsten Angaben bisher nur von wenigen nachgewiesenen Sars-Cov-2-Infektionen betroffen. Am vorigen Wochenende wurden Fälle in Kassel und im Stammwerk Wolfsburg bekannt. Die Betreffenden sind in Quarantäne. VW verschärfte Hygieneregeln, schloss Kantinen, verbot Dienstreisen und vertagte Versammlungen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, alle Lebensbereiche müssten sich nun einschränken: „Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen. (...) Wir erwarten den tiefsten Einschnitt in den Alltag in der Geschichte der Bundesrepublik.“

Trotz Zwangspause: Produktion von 100.000 Wagen möglich

Beim größten deutschen Industriekonzern arbeiten weltweit mehr als 670.000 Menschen. Bisher waren die VW-Lieferketten nach offiziellen Angaben nicht nennenswert unterbrochen. Diess sagte, die Werke in Übersee seien „derzeit nicht in kritischem Zustand“. Der durch Software-Probleme verzögerte Start des E-Autos ID.3 - wichtigstes Projekt im laufenden Jahr - soll im Sommer nach wie vor stehen, trotz „temporärer Shutdowns“. Auch bei einer Pause von drei Wochen sei die geplante Produktion von 100.000 Wagen in Zwickau möglich. Audi fährt seine Werke in Ingolstadt, Neckarsulm, Belgien, Mexiko und Ungarn bis zum Wochenende schrittweise herunter. Produktionsvorstand Peter Kössler sagte: „Die aktuelle Lage zwingt uns nun zu den angekündigten Maßnahmen und wird uns weiterhin viel Flexibilität und Solidarität abverlangen.“ Ab Montag solle die Fertigung dann stehen.

Finanzielle Risiken der Viruskrise bisher nicht abschätzbar

In China hatte der VW-Konzern zuletzt fast alle Standorte wieder ans Netz genommen. Laut Finanzvorstand Frank Witter sind die finanziellen Risiken der Viruskrise bisher nicht abschätzbar. Bei der Kernmarke ist eine Auslastung von 60 Prozent nötig, um profitabel zu arbeiten. 2019 konnte die Hauptsparte mit dem VW-Emblem trotz konjunktureller Abkühlung in vielen Ländern noch einen höheren Gewinn einfahren. Das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen stieg bei den VW-Pkw von 3,2 auf 3,8 Milliarden Euro. Die Kosten zur Bewältigung der Dieselkrise blieben mit rund 1,9 Milliarden Euro ungefähr auf Vorjahresniveau. Für Porsche meldete der Konzern vor Sonderfaktoren ein leichtes Gewinnplus um 2,4 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro. Auch Skoda, Seat und Bentley sowie die Lkw-Töchter Scania und MAN verbesserten sich. Bei Audi sank der Betriebsgewinn dagegen von 4,7 auf 4,5 Milliarden Euro, bei den leichten Nutzfahrzeugen von 780 auf 510 Millionen Euro.

VW-Vorstand:„2020 ist ein sehr schwieriges Jahr“

Zum Gesamtkonzern waren die Eckdaten bereits bekannt. Die VW-Gruppe konnte 2019 ihren Gewinn unterm Strich um 12,8 Prozent auf 13,3 Milliarden Euro steigern. Der Umsatz legte um 7,1 Prozent auf 252,6 Milliarden Euro zu. Gemessen an den Auslieferungen blieb sie mit 10,97 Millionen verkauften Autos größter Hersteller vor Toyota.

Die weitere Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Lage stimmt VW eher pessimistisch. „2020 ist ein sehr schwieriges Jahr“, meinte Diess. Branchenexperte Frank Schwope von der NordLB warnte: „Sollte sich die Coronavirus-Krise deutlich verschärfen – wovon auszugehen ist –, führt dies zu Lieferengpässen, Produktionsausfällen, aber auch zu starken Kaufrückgängen, was bis Jahresende nicht aufzuholen wäre.“ Für das abgelaufene Jahr bekommt Konzernchef Diess etwas weniger Gehalt als für 2018. Der Vorstandsvorsitzende soll - Rentenansprüche herausgerechnet - insgesamt rund 7 Millionen Euro erhalten. Im Jahr zuvor hatten die Zuflüsse noch mehr als 7,6 Millionen Euro betragen. Die Werte sind aber nicht direkt vergleichbar. Insgesamt streichen die Konzernvorstände über 45 Millionen Euro ein. Für die 100.000 Tarifbeschäftigten der VW AG gibt es einen Bonus von je 4950 Euro.

dpa