Archivbild. 30.03.2022, Baden-Württemberg, Stuttgart: Ein Mitarbeiter eines Einzelhandelsgeschäfts nimmt einen 5-Euro-Schein aus einer Einkaufskasse. (dpa)
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Einkommensschwache Haushalte leiden besonders stark unter der rasanten Teuerung, werden von der Bundesregierung bislang aber nur unzureichend entlastet. Das ist das Ergebnis einer am Mittwoch veröffentlichten Studie im Auftrag der Diakonie Deutschland. Zentrales Ergebnis: Wer ein geringes Einkommen hat, muss davon einen höheren Anteil für Preistreiber Nahrungsmittel, Wohnen und Haushaltsenergie ausgeben als andere. Die Diakonie forderte als Konsequenz einen Notfallmechanismus, der zusätzliche Hilfen für Bedürftige ermöglichen soll.

Der Studie zufolge geben die einkommensschwächsten 20 Prozent der Haushalte nahezu zwei Drittel (62,1 Prozent) ihres Konsums für die Grundbedarfe wie Nahrungsmittel und Energie aus. Bei den einkommensstärksten 20 Prozent sind es nur 44,1 Prozent, wie die Studie der Beratungstochter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW Econ, ergab. Das Fazit der Forscher: die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung entfalten zwar ihre Wirkung, die existenzbedrohende Belastung der einkommensschwächsten Haushalte können sie aber nicht ausgleichen.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte bei der Vorstellung der Studie, rund acht Millionen Menschen in Deutschland lebten von existenzsichernden Leistungen. Hinzu kämen die vielen Familien sowie Rentnerinnen und Rentner, deren Einkommen knapp über den Anspruchsgrenzen für Unterstützungsleistungen liege.

Entlastet werden müssten vorrangig die besonders Bedürftigen, betonte Lilie. Denn anders als Gutverdiener könnten sie die Preissteigerungen für lebensnotwendige Güter nicht durch Einsparungen oder Ersparnisse auffangen. „Wer jeden einzelnen Euro für Grundbedarfe braucht, hat eben keine Rücklagen.“ Diakonie schlägt Notfallmechanismus vor

Die Diakonie Deutschland schlägt deshalb einen Notfallmechanismus vor: Der Bundestag solle eine sozialen Notlage von nationaler Tragweite feststellen – und damit die Voraussetzung dafür schaffen, dass Haushalte, die Wohngeld, Kinderzuschlag, Grundsicherung für Arbeitssuchende, Sozialgeld oder Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit beziehen, einen Krisenzuschlag erhalten. Dieser müsse derzeit mindestens 100 Euro pro Monat für eine Dauer von sechs Monaten betragen.

Die Bundesregierung wollte den Vorschlag der Diakonie noch nicht bewerten. Es sei aber klar, dass sich die Regierung dieses Problems annehmen werde, sagte ihr Sprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Dazu gebe es die konzertierte Aktion mit Arbeitgebern und Gewerkschaften. Bis zu Ergebnissen werde es „aber jetzt noch einige Wochen dauern“.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, sprach von einer dramatischen sozialen Lage, die sich noch verschärfen werde. „Wir haben die Fahnenstange noch nicht gesehen.“ Fratzscher sah eine „höchst unsoziale Inflation“. Als besonderes Problem für Deutschland nannte er, dass ein rundes Drittel der Menschen praktisch keine Rücklagen habe. Dies sei hierzulande stärker ausgeprägt als anderswo. Fratzscher prognostizierte, dass die Preise voraussichtlich auf lange Sicht hoch bleiben werden. „Wir werden wahrscheinlich nie wieder das Vorkrisenniveau erreichen.“ Notwendig seien daher permanent höhere Löhne und Sozialleistungen.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken forderte eine Anhebung der Tariflöhne. „Der Staat kann nur diejenigen dauerhaft unterstützen, die wirklich in Not sind“, sagte sie dem Nachrichtenportal watson.de. „Wer ein Erwerbseinkommen hat, der oder die soll sich davon ein ordentliches Leben leisten können.“

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AFP