26. Juli 2022, Hessen, Frankfurt/Main: Bahnreisende gehen an einem Infobildschirm im Frankfurter Hauptbahnhof vorbei,. Die Lufthansa streicht wegen des Verdi-Warnstreiks am Mittwoch, dem 27. Juli 2022, nahezu das komplette Flugprogramm an ihren deutschen Drehkreuzen Frankfurt und München. (dpa)
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Erstmals seit der Corona-Krise drohen wieder Streiks bei der Lufthansa. Die Gewerkschaft Verdi hat die rund 20.000 Beschäftigten des Bodenpersonals für diesen Mittwoch (27. Juli) zu einem flächendeckenden Warnstreik aufgerufen, um den Druck in den laufenden Tarifverhandlungen zu erhöhen. Passagiere müssen sich auf erhebliche Einschränkungen gefasst machen. Wie viele Flüge gestrichen werden, konnte Lufthansa am Montag zunächst nicht sagen. Wie immer in Streiklagen wird ein Sonderflugplan ausgearbeitet.

Die Gewerkschaft rechnet mit verstärkten Flugausfällen und Verspätungen. Zum ganztägigen Ausstand aufgerufen sind ganz unterschiedliche Beschäftigtengruppen wie das Schalterpersonal, Flugzeugtechniker oder die Fahrer der riesigen Schlepper, die Flugzeuge am Flughafen auf die richtigen Positionen schieben. Ohne diese Dienstleistungen können die Jets ebenso wenig abheben wie ohne Piloten oder Kabinenpersonal. Da die Dienste auch anderen Fluggesellschaften außerhalb des Konzerns angeboten werden, sind auch dort Ausfälle möglich, hieß es bei Verdi.

Aufgerufen sind Beschäftigte in Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, München, Berlin, Bremen, Hannover, Stuttgart und Köln. Die Warnstreiks des Bodenpersonals sollen am Mittwoch, dem 27. Juli, um 3.45 Uhr beginnen und bis Donnerstag, 28. Juli, um 6.00 Uhr dauern. Verdi will in den laufenden Tarifverhandlungen bereits nach zwei Verhandlungsrunden den Druck erhöhen. Ein erstes Tarifangebot der Lufthansa hatte die Gewerkschaft abgelehnt, aber für den 3. und 4. August die Fortsetzung der Verhandlungen vereinbart.

Der erste Streik bei Lufthansa nach dem Corona-Schock kommt vor dem Hintergrund eines teilweise chaotisch verlaufenen Neustarts der Branche. Personalengpässe und eine starke Urlaubsnachfrage haben schon ohne Streiks zu erheblichen Abfertigungsproblemen in diesem Sommer geführt. Verdi macht dafür vor allem Missmanagement bei Flughäfen und Airlines verantwortlich. Streikaufruf führt zu scharfer Kritik bei Arbeitgebern

Der Streikaufruf löste scharfe Kritik bei den Arbeitgebern aus. BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter erklärte: „Die Lufthansa und vor allem deren Passagiere mit Lohnforderungen mitten im Sommer zu belasten, ist absolut unverhältnismäßig. Hier wird der nachvollziehbare Urlaubswunsch der Menschen schamlos ausgenutzt, um einen Vorteil zu erlangen.“ Ein Sprecher von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wies hingegen darauf hin, dass in Deutschland Tarifautonomie herrsche.

Die Lufthansa liegt damit mit zweien ihrer drei Gewerkschaften über Kreuz. Bei der „Vereinigung Cockpit“ läuft bereits die Urabstimmung über unbefristete Piloten-Streiks bei den Airlines Lufthansa und Lufthansa Cargo, die am 31. Juli ausgezählt wird. Bei der als sicher eingeschätzten Zustimmung der Stammpiloten wäre die VC ab August voll streikfähig. Das muss nicht automatisch zu einem schnellen Arbeitskampf führen, sondern soll zunächst den Druck auf das Unternehmen in den festgefahrenen Tarifverhandlungen erhöhen.

Auch die Flugbegleiter-Organisation Ufo berichtet von einer aufgeheizten Stimmung unter ihren Mitgliedern, weil Lufthansa beim Neustart den Bogen überspannt habe. Mit dem jüngst abgeschlossenen „Tarifvertrag Sommer“ hat die Ufo-Tarifkommission aber einen Streikverzicht bis Ende Oktober akzeptiert. Die Kabinengewerkschaft will die grundlegenden Themen im Herbst angehen.

Die permanente Überlastung, die hohe Inflation und ein dreijähriger Lohnverzicht würden die Beschäftigten immer mehr unter Druck setzen, erklärte hingegen Verdi-Verhandlungsführerin Christine Behle. „Sie brauchen dringend mehr Geld und sie brauchen Entlastung – für sich selber und für die Passagiere“, sagte die Verdi-Vize-Vorsitzende. Sie bat die Fluggäste um Verständnis. Man habe frühzeitig über den anstehenden Warnstreik informiert, damit sich die Passagiere darauf einstellen und möglicherweise umorientieren könnten.

Die Lufthansa bezeichnete den geplanten Ausstand als „unzumutbar“ für Kundschaft und Mitarbeitende. Eine Arbeitsniederlegung von dieser Dauer über alle Standorte hinweg könne kaum noch als Warnstreik bezeichnet werden, erklärte Personalvorstand Michael Niggemann laut einer Mitteilung. „Das ist umso unverständlicher, als die Arbeitgeberseite bereits hohe und sozial ausgewogene Vergütungserhöhungen angeboten hat – trotz der nach der Corona-Krise wirtschaftlich für die Lufthansa weiter angespannten Situation, hoher Schuldenlasten und unsicheren Aussichten für die Weltwirtschaft.“

Lufthansa hat nach eigenen Angaben bei einer Laufzeit von 18 Monaten eine zweistufige pauschale Gehaltserhöhung um zusammen 250 Euro angeboten, zu der ab Juli kommenden Jahres noch eine gewinnabhängige Steigerung um 2 Prozent käme. Bei einem monatlichen Grundgehalt von 3000 Euro ergäbe sich daraus eine Steigerung von 9 bis 11 Prozent, rechnete das Unternehmen vor.
Behle bezeichnete das Beispiel als „schöngerechnet“. Für andere Gehaltsbereiche betrage die Steigerung nur rund vier Prozent und bringe damit für die Beschäftigten Reallohnverluste, sagte sie „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ (Dienstag). Die Gewerkschaft fordert bei 12 Monaten Laufzeit 9,5 Prozent mehr Geld in den Lohntabellen, mindestens aber 350 Euro. Bei einer Laufzeit von 12 Monaten sollen die unteren Lohngruppen besonders profitieren. Zusätzlich sollten sich alle Stundenlöhne deutlich vom gesetzlichen Mindestlohn absetzen, der im Oktober auf 12 Euro pro Stunde steigt.

Aus Sicht der Beschäftigten scheint die Zeit des allgemeinen Abfertigungschaos günstig, hohe Tarifsteigerungen durchzusetzen. Neben der coronabedingten Lohnpause setzen der Personalmangel sowie der demnächst erhöhte gesetzliche Mindestlohn den Rahmen. In kleineren Haustarifen hat Verdi nach eigenen Angaben an den Flughäfen Düsseldorf und Köln durchgehend zweistellige Lohnerhöhungen durchgesetzt, in der Spitze waren in unteren Lohngruppen sogar über 20 Prozent drin.

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dpa