18.04.2016, Russland, Moskau: Logo und Schriftzug von Gazprom sind auf der Industrieausstellung für die Öl- und Gasindustrie, „Neftegaz“, zu sehen. (dpa)
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Die Gaskunden in Europa können nach Monaten der Energiekrise von dieser Woche an auf zusätzliche Energielieferungen aus Russland hoffen. Knapp zwei Wochen ist es her, dass Russlands Präsident Wladimir Putin unter dem Druck steigender Preise und schlecht gefüllter Speicher den staatlichen Gasriesen Gazprom anwies, die Reserven in Deutschland und Österreich aufzufüllen. Zuerst sollten noch die heimischen Vorräte aufgefüllt werden. Doch nun soll Gazprom auch die Ventile für Europa weiter aufdrehen.
Russlands Staatsmedien jubelten, Putin sei der „Retter in der Gasnot“ und bewahre die EU vor dem Kälteschock. Kurz vor dem Start bekräftigte ein Sprecher Putins, der Plan stehe, Gazprom liefere nach dem 8. November noch mehr als die vereinbarten Pflichtmengen. Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hatte die Ankündigung Moskaus begrüßt. Ende Oktober waren laut Verband die von Gazprom belieferten Anlagen in Deutschland nur zu 21 Prozent gefüllt, unterdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Gasspeichern.
Indes ist die Verärgerung in Russland weiter groß über Vorwürfe, das Land treibe durch das Zurückhalten von Gas die Preise in die Höhe. Als Russlands wichtigste Frau im Gasexport wies Jelena Burmistrowa eine Verantwortung für die Energiekrise gerade erst wieder auf internationaler Bühne entschieden zurück. Wer „solche Spekulationen über böswillige Handlungen Gazproms“ aufstelle, sei weit weg von der Realität, sagte die Chefin von Gazprom-Export auf einer Konferenz in Amsterdam Anfang des Monats.
Weltweite Gaskrise nach Wiederhochfahren von Wirtschaft
Russland wies immer wieder darauf hin, dass es eine Gaskrise weltweit gebe. Die Gründe lägen im Wiederhochfahren der Wirtschaft nach den Einschränkungen durch die Pandemie. Es gebe vor allem in Asien einen Energiehunger. Nicht zuletzt hätten die USA zusätzliches Flüssiggas lieber dorthin und nicht nach Europa geliefert, sagte Burmistrowa.
Kremlchef Putin hatte den Europäern vorgeworfen, sie hätten es nach einem kalten Winter versäumt, ihre Gasspeicher ordentlich zu füllen. Erschwerend kam wegen einer Windflaute in der Nordsee hinzu, dass die Windkrafträder dort weniger Strom produzierten. Es musste mehr Gas verstromt werden. Das schmälerte die Speichervorräte zusätzlich.
Gleichwohl sah Russland sich in Deutschland und in anderen EU-Staaten politischen Vorwürfen ausgesetzt, es halte Lieferungen knapp, um so eine rasche Inbetriebnahme der fertigen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu erwirken. Der Kreml warb eindringlich, Nord Stream 2 könne die Lage entspannen. Doch betonte Moskau zugleich, dass unabhängig davon alle vereinbarten Mengen geliefert würden. Auch Abnehmer im Westen bestätigten, dass Russland verlässlich liefere.
Verzicht auf Ukraine als Transitland
Dabei ist gar nicht strittig, dass der Rohstoffriese seine Verträge erfüllt. Streitpunkt ist vielmehr, ob Russland wirklich alles tut, um zusätzliche Mengen zu liefern. Putin selbst machte deutlich, dass es für ihn da Grenzen gebe. So will Gazprom etwa auf die Ukraine als lange Zeit wichtigstes Transitland für russische Gaslieferungen nach Europa verzichten.
Der Weg durch die Ukraine sei länger und deshalb teurer; zudem sei das ukrainische Durchleitungsnetz marode und könnte dem höheren Druck durch den Transit nicht standhalten, erklärte Putin. Angebote der Ukraine, die Gebühren zu senken, liefen ins Leere. Das verarmte Land ist dringend auf die Einnahmen aus dem Transit angewiesen.
Als Vizechefin von Gazprom erklärte Burmistrowa bei der Konferenz in Amsterdam außerdem, dass Russland kein Interesse an extrem hohen Gaspreisen habe. Die „Rekordpreise“ könnten den Übergang zu erneuerbaren Energien in der EU beschleunigen. Das auf Petrodollars angewiesene Riesenreich will aber noch lange in Europa mit fossilen Brennstoffen Geld für seinen Staatshaushalt verdienen.
Putin will langfristige Verträge
Dabei sprach sich Putin mehrfach für eine Rückkehr zu langfristigen Verträgen aus, weil Russland so Planungssicherheit für die Erschließung neuer Lagerstätten habe. Der Gaspreis soll demnach an den für Öl gekoppelt sein. Zwar produziert auch Russland zunehmend Flüssiggas und kann so schneller auf akute Situationen reagieren. „Im Unterschied zu den flexiblen Lieferanten von Flüssiggas sind wir fest gebunden an Europa durch unser Leitungssystem“, sagte Burmistrowa.
Dass nun eine für mehr als zehn Milliarden Euro gebaute Gasleitung noch nicht für den Betrieb freigegeben ist, löst deshalb nur noch verständnisloses Kopfschütteln in Russland aus. 55 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr sollen künftig nach Europa fließen. Einen Starttermin gibt es wegen ausstehender Genehmigungen aber nicht.
Derweil betonen die Russen, sie hätten angesichts der Gaskrise schon bisher mehr geliefert als vereinbart. Allein der Export nach Deutschland sei in den ersten neuneinhalb Monaten um 30 Prozent gestiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, hieß es. Deutschland ist in der EU der größte Gazprom-Kunde. Rund 46 Milliarden Kubikmeter Gas kaufte das Land 2020 von Russland – rund ein Drittel des gesamten Verbrauchs in der Bundesrepublik. Trotzdem reicht das nicht.
Ein Zusammenbruch der Versorgung in Europa droht aber aktuell nicht. Analysten sehen die Speicher insgesamt in Europa im Moment noch mit rund 82 Milliarden Kubikmeter oder 76 Prozent aktivem Gas befüllt. Das seien etwa 15 Prozentpunkte weniger als das durchschnittliche Niveau der vergangenen fünf Jahre. Aber die Speicher von Gazprom in Deutschland und Österreich, das räumte Konzernchef Alexej Miller bei einem Gespräch mit Putin ein, hätten kaum noch Gas. Deshalb werde nun geliefert.

dpa