EZB-Direktorin: Zu frühe Zinserhöhung bringt Aufschwung in Gefahr (dpa)
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Mehr als sechs Jahre, nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf null Prozent abgesenkt hat, könnte der Sommer die Zinswende bringen. „Einige Zeit“ nach dem voraussichtlichen Ende der EZB-Anleihekäufe zu Beginn des dritten Quartals werde die Zentralbank den Leitzins erhöhen, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Mittwoch und sprach diesbezüglich von „wenigen Wochen“. Die EZB war zuletzt wegen der immens hohen Inflation zunehmend unter Druck geraten.

„Noch haben wir nicht genau definiert, was ‘einige Zeit danach' bedeutet“, sagte Lagarde bei ihrer Rede in Slowenien. „Ich habe aber sehr klar gesagt, dass es sich dabei um einen Zeitraum von nur wenigen Wochen handeln könnte.“ Der Rat der EZB berät am 9. Juni wieder über die künftige Geldpolitik, das anschließende Treffen findet am 21. Juli statt. Die EZB hatte den Leitzins in der Eurozone im März 2016 auf null abgesenkt und seitdem auf dem historischen Tiefstand belassen.

Lagarde spricht von „schrittweisem und flexiblem Ansatz“

„Es scheint immer unwahrscheinlicher, dass die Tendenzen zur Verlangsamung des Preisanstiegs zurückkehren werden“, sagte Lagarde nun. Eine Normalisierung der Geldpolitik sei deshalb „angebracht“. Bereits in seiner geldpolitischen Entscheidung im April hatte der EZB-Rat ein Ende der Anleihekäufe im dritten Quartal und eine Änderung der Leitzinsen „einige Zeit nach dem Ende der Nettoankäufe“ in Aussicht gestellt.

Da die Inflation voraussichtlich über einen längeren Zeitraum erhöht bleiben werde, seien „Maßnahmen, die unseren Einsatz für Preisstabilität unter Beweis stellen“, nun unverzichtbar, sagte Lagarde. Nur so könnten die Inflationserwartungen und eine mögliche Lohn-Preis-Spirale unter Kontrolle gehalten werden.

Gleichzeitig betonte Lagarde auch den schrittweisen und flexiblen Ansatz der EZB. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs seien Prognosen mit großer Unsicherheit behaftet. Die EZB werde bei der Normalisierung der Geldpolitik deshalb „graduell“ vorgehen und auf Entwicklungen flexibel reagieren. Nur so könne ein „sanfter Übergang“ der Geldpolitik gewährleistet werden. USA und Großbritannien haben Leitzinsen bereits erhöht

Der Druck auf die EZB, die Leitzinsen zu erhöhen, war aufgrund der hohen Inflationsrate im Euroraum zuletzt weiter gestiegen. Im April erreichte die Teuerung ein Rekordhoch von 7,5 Prozent. Eigentlich strebt die EZB einen Wert von zwei Prozent an. In anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien hatten die Notenbanken die Zinsen in diesem Jahr bereits erhöht.

Auch die Gruppe der sogenannten Falken im EZB-Rat, also der Ratsmitglieder, die eine schnellere Normalisierung der Geldpolitik fordern, hatte zuletzt immer lauter eine Zinserhöhung gefordert. Bundesbankpräsident Joachim Nagel hatte etwa am Dienstag erklärt, er halte eine Zinserhöhung im Juli für sinnvoll, sollte der aktuelle Inflationsschub anhalten.

„Da die Inflation im Euroraum weiterhin hoch ist, müssen wir handeln“, forderte Nagel. Eine Verzögerung der Zinserhöhung bezeichnete er als „riskante Strategie“. Je mehr sich der Inflationsdruck ausbreite, desto mehr werde eine „starke und abrupte Zinserhöhung nötig“.

Auch die EZB-Direktorin Isabel Schnabel hatte in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ Anfang Mai betont, dass sie eine schnelle Anpassung des geldpolitischen Kurses der EZB befürworte. „Jetzt reicht es nicht mehr zu reden, wir müssen handeln“, sagte sie. Nach einem Ende der Anleihekäufe Ende Juni halte sie eine „Zinserhöhung im Juli für möglich“.

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AFP